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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 5. Ende der Kriegszeit.
friedlichen Waffen gegen Rußland aufzutreten; um dies Einverständniß
zu vollenden ist soeben General Nugent nach London geschickt worden,
derselbe Diplomat, der schon im Jahre 1810 die Annäherung der beiden
Höfe bewirkt hatte. Ueberdies will Oesterreich sein Heer verstärken und
"eine imposante Haltung" annehmen. Nach Humboldts Ansicht muß
auch Preußen sich diesen Bestrebungen anschließen; denn schon die Ver-
einigung Polens mit Rußland ist gefährlich, noch weit verderblicher aber
die Wiederherstellung der polnischen Krone, gleichviel unter welchem Namen.
In der sächsischen Sache haben wir von Oesterreich nichts zu fürchten.
Zwar lärmt die Militärpartei, an ihrer Spitze General Radetzky, wegen
der Preisgebung der Pässe des Erzgebirges; einige andere Personen for-
dern daß Oesterreich selbst sich in Sachsen vergrößern soll. "Aber der
Fürst Metternich, dessen Rath sicher allein von dem Kaiser befolgt werden
wird, betrachtet diese Sache von dem richtigen Gesichtspunkte" und wünscht
uns die nothwendige Abrundung in Deutschland. Da die einfache Ent-
thronung des gefangenen Albertiners den legitimistischen Anschauungen der
Zeit unfaßbar war, so hatte der Staatskanzler durch Humboldt vorschlagen
lassen, Friedrich August solle durch die Legationen entschädigt werden.
In Deutschland konnte das seiner Erblande beraubte sächsische Haus nur
Unfrieden stiften; als König der Romagna hätte Friedrich August die
Rolle eines ergebenen k. k. Vasallen sicher ebenso glücklich gespielt wie
seine Vettern in Florenz und Modena. Metternich aber, so erzählt Hum-
boldt arglos, fand bei dem Vorschlage "die größten Schwierigkeiten".
Nicht als ob Oesterreich die Legationen für sich selber wünschte; vielmehr
würde Kaiser Franz sehr gern seinen Verwandten dort im Süden ver-
sorgen. Aber der Papst wird diese Abtretung niemals zugeben und der
bigotte König, aus Furcht vor dem Kirchenbanne, sie niemals annehmen.
Humboldt ahnt also gar nichts weder von dem geheimen Verkehre zwischen
den Lothringern und den Albertinern, noch von Oesterreichs Absichten
auf Bologna und Ferrara.

Ebenso schlecht unterrichtet zeigt er sich in der Mainzer Sache. Er
befürchtet zwar, diese Frage werde schwere Verwicklungen herbeiführen, da
Baiern die rheinische Festung stürmisch für sich fordere; doch auf Oester-
reich meint er sich stützen zu können. Hatte er doch soeben bei den k. k.
Staatsmännern zu seiner Beruhigung eine Karte von Deutschland, "wahr-
scheinlich nach Stadions Entwürfen," gesehen, worauf Mainz als preußi-
sche Stadt verzeichnet war! In der deutschen Verfassungsfrage endlich
will Metternich "noch mehr als in jeder anderen Angelegenheit sich auf
Hardenberg verlassen, dem er unbegrenztes Vertrauen schenkt." -- Wahr-
lich, es war kaum möglich die Absichten der Hofburg gröblicher mißzuver-
stehen. Die Denkschrift mußte, trotz einzelner Bedenken, dem Staats-
kanzler um so zuverlässiger erscheinen, da sie seiner eigenen vorgefaßten
Meinung entsprach. Er schenkte der Aussage seines Gegners diesmal

I. 5. Ende der Kriegszeit.
friedlichen Waffen gegen Rußland aufzutreten; um dies Einverſtändniß
zu vollenden iſt ſoeben General Nugent nach London geſchickt worden,
derſelbe Diplomat, der ſchon im Jahre 1810 die Annäherung der beiden
Höfe bewirkt hatte. Ueberdies will Oeſterreich ſein Heer verſtärken und
„eine impoſante Haltung“ annehmen. Nach Humboldts Anſicht muß
auch Preußen ſich dieſen Beſtrebungen anſchließen; denn ſchon die Ver-
einigung Polens mit Rußland iſt gefährlich, noch weit verderblicher aber
die Wiederherſtellung der polniſchen Krone, gleichviel unter welchem Namen.
In der ſächſiſchen Sache haben wir von Oeſterreich nichts zu fürchten.
Zwar lärmt die Militärpartei, an ihrer Spitze General Radetzky, wegen
der Preisgebung der Päſſe des Erzgebirges; einige andere Perſonen for-
dern daß Oeſterreich ſelbſt ſich in Sachſen vergrößern ſoll. „Aber der
Fürſt Metternich, deſſen Rath ſicher allein von dem Kaiſer befolgt werden
wird, betrachtet dieſe Sache von dem richtigen Geſichtspunkte“ und wünſcht
uns die nothwendige Abrundung in Deutſchland. Da die einfache Ent-
thronung des gefangenen Albertiners den legitimiſtiſchen Anſchauungen der
Zeit unfaßbar war, ſo hatte der Staatskanzler durch Humboldt vorſchlagen
laſſen, Friedrich Auguſt ſolle durch die Legationen entſchädigt werden.
In Deutſchland konnte das ſeiner Erblande beraubte ſächſiſche Haus nur
Unfrieden ſtiften; als König der Romagna hätte Friedrich Auguſt die
Rolle eines ergebenen k. k. Vaſallen ſicher ebenſo glücklich geſpielt wie
ſeine Vettern in Florenz und Modena. Metternich aber, ſo erzählt Hum-
boldt arglos, fand bei dem Vorſchlage „die größten Schwierigkeiten“.
Nicht als ob Oeſterreich die Legationen für ſich ſelber wünſchte; vielmehr
würde Kaiſer Franz ſehr gern ſeinen Verwandten dort im Süden ver-
ſorgen. Aber der Papſt wird dieſe Abtretung niemals zugeben und der
bigotte König, aus Furcht vor dem Kirchenbanne, ſie niemals annehmen.
Humboldt ahnt alſo gar nichts weder von dem geheimen Verkehre zwiſchen
den Lothringern und den Albertinern, noch von Oeſterreichs Abſichten
auf Bologna und Ferrara.

Ebenſo ſchlecht unterrichtet zeigt er ſich in der Mainzer Sache. Er
befürchtet zwar, dieſe Frage werde ſchwere Verwicklungen herbeiführen, da
Baiern die rheiniſche Feſtung ſtürmiſch für ſich fordere; doch auf Oeſter-
reich meint er ſich ſtützen zu können. Hatte er doch ſoeben bei den k. k.
Staatsmännern zu ſeiner Beruhigung eine Karte von Deutſchland, „wahr-
ſcheinlich nach Stadions Entwürfen,“ geſehen, worauf Mainz als preußi-
ſche Stadt verzeichnet war! In der deutſchen Verfaſſungsfrage endlich
will Metternich „noch mehr als in jeder anderen Angelegenheit ſich auf
Hardenberg verlaſſen, dem er unbegrenztes Vertrauen ſchenkt.“ — Wahr-
lich, es war kaum möglich die Abſichten der Hofburg gröblicher mißzuver-
ſtehen. Die Denkſchrift mußte, trotz einzelner Bedenken, dem Staats-
kanzler um ſo zuverläſſiger erſcheinen, da ſie ſeiner eigenen vorgefaßten
Meinung entſprach. Er ſchenkte der Ausſage ſeines Gegners diesmal

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[580/0596] I. 5. Ende der Kriegszeit. friedlichen Waffen gegen Rußland aufzutreten; um dies Einverſtändniß zu vollenden iſt ſoeben General Nugent nach London geſchickt worden, derſelbe Diplomat, der ſchon im Jahre 1810 die Annäherung der beiden Höfe bewirkt hatte. Ueberdies will Oeſterreich ſein Heer verſtärken und „eine impoſante Haltung“ annehmen. Nach Humboldts Anſicht muß auch Preußen ſich dieſen Beſtrebungen anſchließen; denn ſchon die Ver- einigung Polens mit Rußland iſt gefährlich, noch weit verderblicher aber die Wiederherſtellung der polniſchen Krone, gleichviel unter welchem Namen. In der ſächſiſchen Sache haben wir von Oeſterreich nichts zu fürchten. Zwar lärmt die Militärpartei, an ihrer Spitze General Radetzky, wegen der Preisgebung der Päſſe des Erzgebirges; einige andere Perſonen for- dern daß Oeſterreich ſelbſt ſich in Sachſen vergrößern ſoll. „Aber der Fürſt Metternich, deſſen Rath ſicher allein von dem Kaiſer befolgt werden wird, betrachtet dieſe Sache von dem richtigen Geſichtspunkte“ und wünſcht uns die nothwendige Abrundung in Deutſchland. Da die einfache Ent- thronung des gefangenen Albertiners den legitimiſtiſchen Anſchauungen der Zeit unfaßbar war, ſo hatte der Staatskanzler durch Humboldt vorſchlagen laſſen, Friedrich Auguſt ſolle durch die Legationen entſchädigt werden. In Deutſchland konnte das ſeiner Erblande beraubte ſächſiſche Haus nur Unfrieden ſtiften; als König der Romagna hätte Friedrich Auguſt die Rolle eines ergebenen k. k. Vaſallen ſicher ebenſo glücklich geſpielt wie ſeine Vettern in Florenz und Modena. Metternich aber, ſo erzählt Hum- boldt arglos, fand bei dem Vorſchlage „die größten Schwierigkeiten“. Nicht als ob Oeſterreich die Legationen für ſich ſelber wünſchte; vielmehr würde Kaiſer Franz ſehr gern ſeinen Verwandten dort im Süden ver- ſorgen. Aber der Papſt wird dieſe Abtretung niemals zugeben und der bigotte König, aus Furcht vor dem Kirchenbanne, ſie niemals annehmen. Humboldt ahnt alſo gar nichts weder von dem geheimen Verkehre zwiſchen den Lothringern und den Albertinern, noch von Oeſterreichs Abſichten auf Bologna und Ferrara. Ebenſo ſchlecht unterrichtet zeigt er ſich in der Mainzer Sache. Er befürchtet zwar, dieſe Frage werde ſchwere Verwicklungen herbeiführen, da Baiern die rheiniſche Feſtung ſtürmiſch für ſich fordere; doch auf Oeſter- reich meint er ſich ſtützen zu können. Hatte er doch ſoeben bei den k. k. Staatsmännern zu ſeiner Beruhigung eine Karte von Deutſchland, „wahr- ſcheinlich nach Stadions Entwürfen,“ geſehen, worauf Mainz als preußi- ſche Stadt verzeichnet war! In der deutſchen Verfaſſungsfrage endlich will Metternich „noch mehr als in jeder anderen Angelegenheit ſich auf Hardenberg verlaſſen, dem er unbegrenztes Vertrauen ſchenkt.“ — Wahr- lich, es war kaum möglich die Abſichten der Hofburg gröblicher mißzuver- ſtehen. Die Denkſchrift mußte, trotz einzelner Bedenken, dem Staats- kanzler um ſo zuverläſſiger erſcheinen, da ſie ſeiner eigenen vorgefaßten Meinung entſprach. Er ſchenkte der Ausſage ſeines Gegners diesmal

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 580. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/596>, abgerufen am 22.11.2024.