und gerechte Verwaltung sein geringes polnisches Gebiet gegen die sarma- tische Begehrlichkeit zu behaupten. Mitten im Rausche der Siegestrunken- heit fühlte Alexander doch zuweilen lebhaft die Gefahren seiner vereinsamten Stellung. Auf der Rückreise von London traf er in Bruchsal mit Metter- nich zusammen und versuchte dort sich mit der Hofburg über Polens Zu- kunft zu verständigen; der österreichische Staatsmann wich behutsam der verfänglichen Frage aus. Ein gewandter preußischer Diplomat, der die Eitelkeit des Czaren zu schonen verstand, hätte also höchstwahrschein- lich für das Angebot der polnischen Krone eine leidliche Regelung der Ostgrenze erreichen können; ein treues Zusammengehen der beiden alten Bundesgenossen in der Mainzer und der sächsischen Frage ergab sich dann von selbst, da Rußland die bairisch-österreichischen Zettelungen sehr ungünstig ansah und seinem Nachbarn von vornherein Sachsen zur Ent- schädigung für Warschau angeboten hatte.
Zu Preußens Unheil hat Hardenberg diesen einzigen Weg, der zum Ziele führen konnte, erst sehr spät, nach monatelangen Irrgängen, einge- schlagen. Er konnte den niederschlagenden Eindruck, den ihm die über- raschende erste Kunde von Alexanders polnischen Plänen hinterlassen, lange nicht verwinden; er sah eine unberechenbar schwere Gefahr vom Osten her gegen seinen Staat heranrücken und wollte mit England und Oesterreich vereint das sogenannte Interesse Europas vertheidigen, die Eroberungslust des Czaren in Schranken halten ohne doch den Bund mit Rußland auf- zugeben. Die Dankbarkeit der Hofburg und des Cabinets von St. James sollte ihm dann den Besitz von Sachsen sichern. Er bemerkte nicht, daß er dadurch den Staat unvermeidlich zwischen zwei Feuer führte und seinen sächsischen Ansprüchen selber den Boden unter den Füßen hinwegzog.
Der Staatskanzler wurde in seinem Irrthume bestärkt durch einen ausführlichen Bericht Humboldts vom 20. August über die Stimmungen des Wiener Hofes -- ein merkwürdiges Schriftstück, das mit überraschen- der Klarheit beweist, wie gröblich selbst ein großer Kopf von entschiedener politischer Begabung die diplomatischen Verhältnisse des Augenblicks ver- kennen kann, wenn er die kleinen Pflichten des Gesandten verschmäht.*) Von Oesterreichs inneren Verhältnissen, von der verderbten Verwaltung, dem zerrütteten Staatshaushalte und der steigenden Unzufriedenheit der Italiener gab der geistvolle Mann eine meisterhafte Schilderung. Ueber die nächsten Zwecke der Hofburg dagegen hatte er sich durch Metternichs glatte Zunge völlig täuschen lassen. Hinsichtlich der polnischen Händel sagt er zuversichtlich: Metternich sei fest überzeugt, daß Czar Alexander vor dem einmüthigen Widerspruche Englands, Oesterreichs und Preußens zurückweichen werde, da die Russen wie die Polen selbst den Plänen des Czaren widerstrebten. England und Oesterreich sind entschlossen, mit
*) Humboldts Bericht an den König, Wien 20. August 1814.
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Humboldts Bericht aus Wien.
und gerechte Verwaltung ſein geringes polniſches Gebiet gegen die ſarma- tiſche Begehrlichkeit zu behaupten. Mitten im Rauſche der Siegestrunken- heit fühlte Alexander doch zuweilen lebhaft die Gefahren ſeiner vereinſamten Stellung. Auf der Rückreiſe von London traf er in Bruchſal mit Metter- nich zuſammen und verſuchte dort ſich mit der Hofburg über Polens Zu- kunft zu verſtändigen; der öſterreichiſche Staatsmann wich behutſam der verfänglichen Frage aus. Ein gewandter preußiſcher Diplomat, der die Eitelkeit des Czaren zu ſchonen verſtand, hätte alſo höchſtwahrſchein- lich für das Angebot der polniſchen Krone eine leidliche Regelung der Oſtgrenze erreichen können; ein treues Zuſammengehen der beiden alten Bundesgenoſſen in der Mainzer und der ſächſiſchen Frage ergab ſich dann von ſelbſt, da Rußland die bairiſch-öſterreichiſchen Zettelungen ſehr ungünſtig anſah und ſeinem Nachbarn von vornherein Sachſen zur Ent- ſchädigung für Warſchau angeboten hatte.
Zu Preußens Unheil hat Hardenberg dieſen einzigen Weg, der zum Ziele führen konnte, erſt ſehr ſpät, nach monatelangen Irrgängen, einge- ſchlagen. Er konnte den niederſchlagenden Eindruck, den ihm die über- raſchende erſte Kunde von Alexanders polniſchen Plänen hinterlaſſen, lange nicht verwinden; er ſah eine unberechenbar ſchwere Gefahr vom Oſten her gegen ſeinen Staat heranrücken und wollte mit England und Oeſterreich vereint das ſogenannte Intereſſe Europas vertheidigen, die Eroberungsluſt des Czaren in Schranken halten ohne doch den Bund mit Rußland auf- zugeben. Die Dankbarkeit der Hofburg und des Cabinets von St. James ſollte ihm dann den Beſitz von Sachſen ſichern. Er bemerkte nicht, daß er dadurch den Staat unvermeidlich zwiſchen zwei Feuer führte und ſeinen ſächſiſchen Anſprüchen ſelber den Boden unter den Füßen hinwegzog.
Der Staatskanzler wurde in ſeinem Irrthume beſtärkt durch einen ausführlichen Bericht Humboldts vom 20. Auguſt über die Stimmungen des Wiener Hofes — ein merkwürdiges Schriftſtück, das mit überraſchen- der Klarheit beweiſt, wie gröblich ſelbſt ein großer Kopf von entſchiedener politiſcher Begabung die diplomatiſchen Verhältniſſe des Augenblicks ver- kennen kann, wenn er die kleinen Pflichten des Geſandten verſchmäht.*) Von Oeſterreichs inneren Verhältniſſen, von der verderbten Verwaltung, dem zerrütteten Staatshaushalte und der ſteigenden Unzufriedenheit der Italiener gab der geiſtvolle Mann eine meiſterhafte Schilderung. Ueber die nächſten Zwecke der Hofburg dagegen hatte er ſich durch Metternichs glatte Zunge völlig täuſchen laſſen. Hinſichtlich der polniſchen Händel ſagt er zuverſichtlich: Metternich ſei feſt überzeugt, daß Czar Alexander vor dem einmüthigen Widerſpruche Englands, Oeſterreichs und Preußens zurückweichen werde, da die Ruſſen wie die Polen ſelbſt den Plänen des Czaren widerſtrebten. England und Oeſterreich ſind entſchloſſen, mit
*) Humboldts Bericht an den König, Wien 20. Auguſt 1814.
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Humboldts Bericht aus Wien.
und gerechte Verwaltung ſein geringes polniſches Gebiet gegen die ſarma-
tiſche Begehrlichkeit zu behaupten. Mitten im Rauſche der Siegestrunken-
heit fühlte Alexander doch zuweilen lebhaft die Gefahren ſeiner vereinſamten
Stellung. Auf der Rückreiſe von London traf er in Bruchſal mit Metter-
nich zuſammen und verſuchte dort ſich mit der Hofburg über Polens Zu-
kunft zu verſtändigen; der öſterreichiſche Staatsmann wich behutſam der
verfänglichen Frage aus. Ein gewandter preußiſcher Diplomat, der die
Eitelkeit des Czaren zu ſchonen verſtand, hätte alſo höchſtwahrſchein-
lich für das Angebot der polniſchen Krone eine leidliche Regelung der
Oſtgrenze erreichen können; ein treues Zuſammengehen der beiden alten
Bundesgenoſſen in der Mainzer und der ſächſiſchen Frage ergab ſich
dann von ſelbſt, da Rußland die bairiſch-öſterreichiſchen Zettelungen ſehr
ungünſtig anſah und ſeinem Nachbarn von vornherein Sachſen zur Ent-
ſchädigung für Warſchau angeboten hatte.
Zu Preußens Unheil hat Hardenberg dieſen einzigen Weg, der zum
Ziele führen konnte, erſt ſehr ſpät, nach monatelangen Irrgängen, einge-
ſchlagen. Er konnte den niederſchlagenden Eindruck, den ihm die über-
raſchende erſte Kunde von Alexanders polniſchen Plänen hinterlaſſen, lange
nicht verwinden; er ſah eine unberechenbar ſchwere Gefahr vom Oſten her
gegen ſeinen Staat heranrücken und wollte mit England und Oeſterreich
vereint das ſogenannte Intereſſe Europas vertheidigen, die Eroberungsluſt
des Czaren in Schranken halten ohne doch den Bund mit Rußland auf-
zugeben. Die Dankbarkeit der Hofburg und des Cabinets von St. James
ſollte ihm dann den Beſitz von Sachſen ſichern. Er bemerkte nicht, daß
er dadurch den Staat unvermeidlich zwiſchen zwei Feuer führte und ſeinen
ſächſiſchen Anſprüchen ſelber den Boden unter den Füßen hinwegzog.
Der Staatskanzler wurde in ſeinem Irrthume beſtärkt durch einen
ausführlichen Bericht Humboldts vom 20. Auguſt über die Stimmungen
des Wiener Hofes — ein merkwürdiges Schriftſtück, das mit überraſchen-
der Klarheit beweiſt, wie gröblich ſelbſt ein großer Kopf von entſchiedener
politiſcher Begabung die diplomatiſchen Verhältniſſe des Augenblicks ver-
kennen kann, wenn er die kleinen Pflichten des Geſandten verſchmäht. *)
Von Oeſterreichs inneren Verhältniſſen, von der verderbten Verwaltung,
dem zerrütteten Staatshaushalte und der ſteigenden Unzufriedenheit der
Italiener gab der geiſtvolle Mann eine meiſterhafte Schilderung. Ueber
die nächſten Zwecke der Hofburg dagegen hatte er ſich durch Metternichs
glatte Zunge völlig täuſchen laſſen. Hinſichtlich der polniſchen Händel
ſagt er zuverſichtlich: Metternich ſei feſt überzeugt, daß Czar Alexander
vor dem einmüthigen Widerſpruche Englands, Oeſterreichs und Preußens
zurückweichen werde, da die Ruſſen wie die Polen ſelbſt den Plänen des
Czaren widerſtrebten. England und Oeſterreich ſind entſchloſſen, mit
*) Humboldts Bericht an den König, Wien 20. Auguſt 1814.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 579. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/595>, abgerufen am 22.11.2024.
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