ausnahmsweise Glauben, obgleich die verdächtigsten Anzeichen für Oester- reichs sächsische Pläne vorlagen. obgleich Goltz aus Paris berichtete, aus den Aeußerungen des k. k. Gesandten Grafen Bombelles gehe hervor, daß Metternich die Wiederherstellung der Albertiner wünsche*), und nahm den Bericht Humboldts zur Grundlage für seinen diplomatischen Feld- zugsplan.
Darauf schickte Hardenberg dem Geschäftsträger in Petersburg, Oberst von Schöler, ein ostensibles Ministerialschreiben und einen Brief des Königs an den Czaren.**) Der König, dem ersichtlich bei dem Handel nicht wohl zu Muthe war, begnügte sich seinen kaiserlichen Freund mit warmen Worten um Mäßigung zu bitten. Das Ministerialschreiben, offenbar durch Humboldts Bericht veranlaßt, sprach die Hoffnung aus, der Kaiser werde von seinen polnischen Plänen abstehen. "Seine Ab- sichten sind rein, groß, hochherzig, aber offen gestanden, ich glaube, daß er sich irrt." Die Polen verlangen unbelehrbar die Grenzen von 1772 zurück, darum darf nicht eine Wiederherstellung Polens unter russischer Führung erfolgen, sondern nur eine neue Theilung des Landes; Rußland mag den größten Theil von Polen seinem Reiche einverleiben, nur nicht Kalisch, Czenstochau, Thorn und Krakau. Preußen fordert sodann, daß ihm die Verwaltung von Sachsen baldigst übergeben werde, und verlangt freie Hand für zeitgemäße Reformen in Sachsen, da die Aufrechterhal- tung der alten unbrauchbaren Gesetze "nur den Oligarchen willkom- men ist".
Oberst Schöler war ein literarischer Dilettant, wie es ihrer viele gab unter den Offizieren jenes ästhetischen Zeitalters, fein gebildet, wohl- meinend, von angenehmen Formen. Empfänglich für die liberalen Ideen, hatte er einst die Reformen Steins und Schoens in einem begeisterten Akrostichon besungen; in der Theilung Polens sah er ein politisches Ver- brechen: "die Vorsehung hat offenbar zum ewigen Memento in der Po- litik die Herstellung Polens beschlossen." Sicheres staatsmännisches Urtheil und scharfe Menschenkenntniß blieb ihm versagt. Er hatte den Czaren in großer Zeit, um das Jahr 1811, von der besten Seite kennen gelernt und sich eine sehr günstige Ansicht von dem Charakter des Monarchen gebildet. Nachher, während der Kriege, verlor er ihn aus den Augen und konnte auch nach der Heimkehr des Czaren lange keine vertrauliche Unterredung erlangen, da Alexander den Verkehr mit dem diplomatischen Corps absichtlich vermied. Der Oberst fiel aus allen seinen Himmeln, da ihm nun plötzlich die polnischen Pläne des Kaisers enthüllt wurden. Er konnte kaum fassen, wie Alexander, sonst so empfänglich für alles Edle "in diese wirkliche Napoleonspolitik" verfallen mochte, und war, wie
*) Goltz's Bericht, 31. August 1814.
**) Hardenberg an Schöler, 26. August 1814.
Hardenberg gegen Rußland.
ausnahmsweiſe Glauben, obgleich die verdächtigſten Anzeichen für Oeſter- reichs ſächſiſche Pläne vorlagen. obgleich Goltz aus Paris berichtete, aus den Aeußerungen des k. k. Geſandten Grafen Bombelles gehe hervor, daß Metternich die Wiederherſtellung der Albertiner wünſche*), und nahm den Bericht Humboldts zur Grundlage für ſeinen diplomatiſchen Feld- zugsplan.
Darauf ſchickte Hardenberg dem Geſchäftsträger in Petersburg, Oberſt von Schöler, ein oſtenſibles Miniſterialſchreiben und einen Brief des Königs an den Czaren.**) Der König, dem erſichtlich bei dem Handel nicht wohl zu Muthe war, begnügte ſich ſeinen kaiſerlichen Freund mit warmen Worten um Mäßigung zu bitten. Das Miniſterialſchreiben, offenbar durch Humboldts Bericht veranlaßt, ſprach die Hoffnung aus, der Kaiſer werde von ſeinen polniſchen Plänen abſtehen. „Seine Ab- ſichten ſind rein, groß, hochherzig, aber offen geſtanden, ich glaube, daß er ſich irrt.“ Die Polen verlangen unbelehrbar die Grenzen von 1772 zurück, darum darf nicht eine Wiederherſtellung Polens unter ruſſiſcher Führung erfolgen, ſondern nur eine neue Theilung des Landes; Rußland mag den größten Theil von Polen ſeinem Reiche einverleiben, nur nicht Kaliſch, Czenſtochau, Thorn und Krakau. Preußen fordert ſodann, daß ihm die Verwaltung von Sachſen baldigſt übergeben werde, und verlangt freie Hand für zeitgemäße Reformen in Sachſen, da die Aufrechterhal- tung der alten unbrauchbaren Geſetze „nur den Oligarchen willkom- men iſt“.
Oberſt Schöler war ein literariſcher Dilettant, wie es ihrer viele gab unter den Offizieren jenes äſthetiſchen Zeitalters, fein gebildet, wohl- meinend, von angenehmen Formen. Empfänglich für die liberalen Ideen, hatte er einſt die Reformen Steins und Schoens in einem begeiſterten Akroſtichon beſungen; in der Theilung Polens ſah er ein politiſches Ver- brechen: „die Vorſehung hat offenbar zum ewigen Memento in der Po- litik die Herſtellung Polens beſchloſſen.“ Sicheres ſtaatsmänniſches Urtheil und ſcharfe Menſchenkenntniß blieb ihm verſagt. Er hatte den Czaren in großer Zeit, um das Jahr 1811, von der beſten Seite kennen gelernt und ſich eine ſehr günſtige Anſicht von dem Charakter des Monarchen gebildet. Nachher, während der Kriege, verlor er ihn aus den Augen und konnte auch nach der Heimkehr des Czaren lange keine vertrauliche Unterredung erlangen, da Alexander den Verkehr mit dem diplomatiſchen Corps abſichtlich vermied. Der Oberſt fiel aus allen ſeinen Himmeln, da ihm nun plötzlich die polniſchen Pläne des Kaiſers enthüllt wurden. Er konnte kaum faſſen, wie Alexander, ſonſt ſo empfänglich für alles Edle „in dieſe wirkliche Napoleonspolitik“ verfallen mochte, und war, wie
*) Goltz’s Bericht, 31. Auguſt 1814.
**) Hardenberg an Schöler, 26. Auguſt 1814.
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Hardenberg gegen Rußland.
ausnahmsweiſe Glauben, obgleich die verdächtigſten Anzeichen für Oeſter-
reichs ſächſiſche Pläne vorlagen. obgleich Goltz aus Paris berichtete, aus
den Aeußerungen des k. k. Geſandten Grafen Bombelles gehe hervor,
daß Metternich die Wiederherſtellung der Albertiner wünſche *), und nahm
den Bericht Humboldts zur Grundlage für ſeinen diplomatiſchen Feld-
zugsplan.
Darauf ſchickte Hardenberg dem Geſchäftsträger in Petersburg,
Oberſt von Schöler, ein oſtenſibles Miniſterialſchreiben und einen Brief
des Königs an den Czaren. **) Der König, dem erſichtlich bei dem Handel
nicht wohl zu Muthe war, begnügte ſich ſeinen kaiſerlichen Freund mit
warmen Worten um Mäßigung zu bitten. Das Miniſterialſchreiben,
offenbar durch Humboldts Bericht veranlaßt, ſprach die Hoffnung aus,
der Kaiſer werde von ſeinen polniſchen Plänen abſtehen. „Seine Ab-
ſichten ſind rein, groß, hochherzig, aber offen geſtanden, ich glaube, daß
er ſich irrt.“ Die Polen verlangen unbelehrbar die Grenzen von 1772
zurück, darum darf nicht eine Wiederherſtellung Polens unter ruſſiſcher
Führung erfolgen, ſondern nur eine neue Theilung des Landes; Rußland
mag den größten Theil von Polen ſeinem Reiche einverleiben, nur nicht
Kaliſch, Czenſtochau, Thorn und Krakau. Preußen fordert ſodann, daß
ihm die Verwaltung von Sachſen baldigſt übergeben werde, und verlangt
freie Hand für zeitgemäße Reformen in Sachſen, da die Aufrechterhal-
tung der alten unbrauchbaren Geſetze „nur den Oligarchen willkom-
men iſt“.
Oberſt Schöler war ein literariſcher Dilettant, wie es ihrer viele
gab unter den Offizieren jenes äſthetiſchen Zeitalters, fein gebildet, wohl-
meinend, von angenehmen Formen. Empfänglich für die liberalen Ideen,
hatte er einſt die Reformen Steins und Schoens in einem begeiſterten
Akroſtichon beſungen; in der Theilung Polens ſah er ein politiſches Ver-
brechen: „die Vorſehung hat offenbar zum ewigen Memento in der Po-
litik die Herſtellung Polens beſchloſſen.“ Sicheres ſtaatsmänniſches Urtheil
und ſcharfe Menſchenkenntniß blieb ihm verſagt. Er hatte den Czaren
in großer Zeit, um das Jahr 1811, von der beſten Seite kennen gelernt
und ſich eine ſehr günſtige Anſicht von dem Charakter des Monarchen
gebildet. Nachher, während der Kriege, verlor er ihn aus den Augen
und konnte auch nach der Heimkehr des Czaren lange keine vertrauliche
Unterredung erlangen, da Alexander den Verkehr mit dem diplomatiſchen
Corps abſichtlich vermied. Der Oberſt fiel aus allen ſeinen Himmeln,
da ihm nun plötzlich die polniſchen Pläne des Kaiſers enthüllt wurden.
Er konnte kaum faſſen, wie Alexander, ſonſt ſo empfänglich für alles
Edle „in dieſe wirkliche Napoleonspolitik“ verfallen mochte, und war, wie
*) Goltz’s Bericht, 31. Auguſt 1814.
**) Hardenberg an Schöler, 26. Auguſt 1814.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 581. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/597>, abgerufen am 22.11.2024.
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