Volke reden, immer fröhlich und hochgemuth, aber auch fromm und tief bescheiden. Gott allein gab er die Ehre, die neue Fürstenwürde merkte ihm Niemand an, und das Wörtchen "mir" bestrafte er als ein echter Niederdeutscher noch immer mit stiller Verachtung. Neuer Jubel in der Hauptstadt, als die Berliner Landwehr heimkehrte; die Massen ließen sich nicht halten, die Bataillone brachen aus einander, die Frauen stürzten den Gatten in die Arme, die Jungen trugen den Vätern die Flinten und so wogte der lange Zug dahin, die Wehrmänner ganz mit Kränzen über- deckt, Soldaten und Bürger, Männer und Frauen in krausem Durchein- ander -- recht eigentlich ein Volk in Waffen. Nur der König war un- zufrieden, in Sachen des Parademarsches verstand er keinen Scherz. Am 7. August endlich feierlicher Einmarsch der Armee, ein wenig gestört durch die Bescheidenheit Friedrich Wilhelms. Der Rücksichtsvolle hatte nicht nur, wie billig, den gefangenen Friedrich August schleunigst nach dem benach- barten Friedrichsfelde übersiedeln lassen um ihm den kränkenden Anblick des Siegesfestes zu ersparen; sein demüthiger Sinn nahm sogar Anstoß an den von Schinkel aufgestellten Siegessäulen und Trophäen, er wollte jede Beleidigung des geschlagenen Feindes vermeiden, und noch in der Nacht mußten die französischen Fahnen und Waffen unter dicken Kränzen ver- hüllt werden. --
Während also im preußischen Volke die Freude hohe Wellen schlug, gestalteten sich die Aussichten für den Congreß täglich trüber. Der König fühlte mit seinem Sinne für das Wirkliche rasch heraus, daß sein Freund in Wien keineswegs gesonnen war mit ihm die Herrschaft in Deutschland zu theilen: "mich will man, sagte er bitter, zum Regierungsrath des Kaisers von Oesterreich machen." Seine Staatsmänner aber gaben ihre dualistischen Pläne noch nicht auf. Knesebeck entwarf noch in Paris eine neue Denkschrift, die dem Hause Oesterreich nochmals den Breisgau und außerdem Mannheim, als den künftigen Hauptwaffenplatz Süddeutschlands, anbot.*) Unter den Wiener Staatsmännern war allein Stadion diesem Gedanken günstig; er lebte noch in den Anschauungen eines schwäbischen Reichsgrafen und sagte zu Humboldt treffend: durch den Verzicht auf seine oberrheinischen Lande "würde Oesterreich fast aufhören ein deutscher Staat zu sein". Metternich aber blieb fest und erklärte endlich im Au- gust dem preußischen Gesandten mit ungewohnter Bestimmtheit: der ganze Plan sei unannehmbar. So hat Oesterreich, nach Stadions Worten, auf- gehört ein deutscher Staat zu sein -- allein durch den freien Entschluß seines Hofes, gegen Preußens dringenden Wunsch.
In jeder der großen schwebenden Gebietsfragen war Metternich der entschiedene Gegner Preußens. Wie er Mainz bereits an Baiern ver-
*) Knesebecks Denkschrift über den Frieden von Paris (undatirt, in Paris ge- schrieben).
I. 5. Ende der Kriegszeit.
Volke reden, immer fröhlich und hochgemuth, aber auch fromm und tief beſcheiden. Gott allein gab er die Ehre, die neue Fürſtenwürde merkte ihm Niemand an, und das Wörtchen „mir“ beſtrafte er als ein echter Niederdeutſcher noch immer mit ſtiller Verachtung. Neuer Jubel in der Hauptſtadt, als die Berliner Landwehr heimkehrte; die Maſſen ließen ſich nicht halten, die Bataillone brachen aus einander, die Frauen ſtürzten den Gatten in die Arme, die Jungen trugen den Vätern die Flinten und ſo wogte der lange Zug dahin, die Wehrmänner ganz mit Kränzen über- deckt, Soldaten und Bürger, Männer und Frauen in krauſem Durchein- ander — recht eigentlich ein Volk in Waffen. Nur der König war un- zufrieden, in Sachen des Parademarſches verſtand er keinen Scherz. Am 7. Auguſt endlich feierlicher Einmarſch der Armee, ein wenig geſtört durch die Beſcheidenheit Friedrich Wilhelms. Der Rückſichtsvolle hatte nicht nur, wie billig, den gefangenen Friedrich Auguſt ſchleunigſt nach dem benach- barten Friedrichsfelde überſiedeln laſſen um ihm den kränkenden Anblick des Siegesfeſtes zu erſparen; ſein demüthiger Sinn nahm ſogar Anſtoß an den von Schinkel aufgeſtellten Siegesſäulen und Trophäen, er wollte jede Beleidigung des geſchlagenen Feindes vermeiden, und noch in der Nacht mußten die franzöſiſchen Fahnen und Waffen unter dicken Kränzen ver- hüllt werden. —
Während alſo im preußiſchen Volke die Freude hohe Wellen ſchlug, geſtalteten ſich die Ausſichten für den Congreß täglich trüber. Der König fühlte mit ſeinem Sinne für das Wirkliche raſch heraus, daß ſein Freund in Wien keineswegs geſonnen war mit ihm die Herrſchaft in Deutſchland zu theilen: „mich will man, ſagte er bitter, zum Regierungsrath des Kaiſers von Oeſterreich machen.“ Seine Staatsmänner aber gaben ihre dualiſtiſchen Pläne noch nicht auf. Kneſebeck entwarf noch in Paris eine neue Denkſchrift, die dem Hauſe Oeſterreich nochmals den Breisgau und außerdem Mannheim, als den künftigen Hauptwaffenplatz Süddeutſchlands, anbot.*) Unter den Wiener Staatsmännern war allein Stadion dieſem Gedanken günſtig; er lebte noch in den Anſchauungen eines ſchwäbiſchen Reichsgrafen und ſagte zu Humboldt treffend: durch den Verzicht auf ſeine oberrheiniſchen Lande „würde Oeſterreich faſt aufhören ein deutſcher Staat zu ſein“. Metternich aber blieb feſt und erklärte endlich im Au- guſt dem preußiſchen Geſandten mit ungewohnter Beſtimmtheit: der ganze Plan ſei unannehmbar. So hat Oeſterreich, nach Stadions Worten, auf- gehört ein deutſcher Staat zu ſein — allein durch den freien Entſchluß ſeines Hofes, gegen Preußens dringenden Wunſch.
In jeder der großen ſchwebenden Gebietsfragen war Metternich der entſchiedene Gegner Preußens. Wie er Mainz bereits an Baiern ver-
*) Kneſebecks Denkſchrift über den Frieden von Paris (undatirt, in Paris ge- ſchrieben).
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I. 5. Ende der Kriegszeit.
Volke reden, immer fröhlich und hochgemuth, aber auch fromm und tief
beſcheiden. Gott allein gab er die Ehre, die neue Fürſtenwürde merkte
ihm Niemand an, und das Wörtchen „mir“ beſtrafte er als ein echter
Niederdeutſcher noch immer mit ſtiller Verachtung. Neuer Jubel in der
Hauptſtadt, als die Berliner Landwehr heimkehrte; die Maſſen ließen ſich
nicht halten, die Bataillone brachen aus einander, die Frauen ſtürzten
den Gatten in die Arme, die Jungen trugen den Vätern die Flinten und
ſo wogte der lange Zug dahin, die Wehrmänner ganz mit Kränzen über-
deckt, Soldaten und Bürger, Männer und Frauen in krauſem Durchein-
ander — recht eigentlich ein Volk in Waffen. Nur der König war un-
zufrieden, in Sachen des Parademarſches verſtand er keinen Scherz. Am
7. Auguſt endlich feierlicher Einmarſch der Armee, ein wenig geſtört durch
die Beſcheidenheit Friedrich Wilhelms. Der Rückſichtsvolle hatte nicht nur,
wie billig, den gefangenen Friedrich Auguſt ſchleunigſt nach dem benach-
barten Friedrichsfelde überſiedeln laſſen um ihm den kränkenden Anblick des
Siegesfeſtes zu erſparen; ſein demüthiger Sinn nahm ſogar Anſtoß an
den von Schinkel aufgeſtellten Siegesſäulen und Trophäen, er wollte jede
Beleidigung des geſchlagenen Feindes vermeiden, und noch in der Nacht
mußten die franzöſiſchen Fahnen und Waffen unter dicken Kränzen ver-
hüllt werden. —
Während alſo im preußiſchen Volke die Freude hohe Wellen ſchlug,
geſtalteten ſich die Ausſichten für den Congreß täglich trüber. Der König
fühlte mit ſeinem Sinne für das Wirkliche raſch heraus, daß ſein Freund
in Wien keineswegs geſonnen war mit ihm die Herrſchaft in Deutſchland
zu theilen: „mich will man, ſagte er bitter, zum Regierungsrath des
Kaiſers von Oeſterreich machen.“ Seine Staatsmänner aber gaben ihre
dualiſtiſchen Pläne noch nicht auf. Kneſebeck entwarf noch in Paris eine
neue Denkſchrift, die dem Hauſe Oeſterreich nochmals den Breisgau und
außerdem Mannheim, als den künftigen Hauptwaffenplatz Süddeutſchlands,
anbot. *) Unter den Wiener Staatsmännern war allein Stadion dieſem
Gedanken günſtig; er lebte noch in den Anſchauungen eines ſchwäbiſchen
Reichsgrafen und ſagte zu Humboldt treffend: durch den Verzicht auf
ſeine oberrheiniſchen Lande „würde Oeſterreich faſt aufhören ein deutſcher
Staat zu ſein“. Metternich aber blieb feſt und erklärte endlich im Au-
guſt dem preußiſchen Geſandten mit ungewohnter Beſtimmtheit: der ganze
Plan ſei unannehmbar. So hat Oeſterreich, nach Stadions Worten, auf-
gehört ein deutſcher Staat zu ſein — allein durch den freien Entſchluß
ſeines Hofes, gegen Preußens dringenden Wunſch.
In jeder der großen ſchwebenden Gebietsfragen war Metternich der
entſchiedene Gegner Preußens. Wie er Mainz bereits an Baiern ver-
*) Kneſebecks Denkſchrift über den Frieden von Paris (undatirt, in Paris ge-
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 572. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/588>, abgerufen am 23.07.2024.
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