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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Die Monarchen in England.

Auch in England waren die Preußen die Helden des Tages, als der
König und der Czar mit Metternich und Blücher von Paris aus zum
Besuche des Prinzregenten hinüberkamen. Die unverdorbene Masse des
Volkes drängte sich mit urkräftiger Begeisterung um Blücher und Gnei-
senau, kaum waren sie ihres Lebens sicher bei den tollen Ausbrüchen der
ungestümen Freude; höchstens der tapfere Kosakenhetman Platow kam
neben ihnen noch auf. Wie viel hundertmal, bis zum Tode des alten Feld-
marschalls, ist in englischen Häusern der Ruf erklungen: drink a cup
for old Blucher!
Dem stolzen Adel aber gefiel weder die schlichte Er-
scheinung des Königs noch die soldatische Derbheit seiner Generale. Allein
Metternich verstand die Herzen der vornehmen Welt zu gewinnen; sein
Verhältniß zu dem Tory-Cabinet ward täglich vertrauter. Die Abneigung
des Hofes gegen Rußland steigerte sich durch den persönlichen Verkehr bis
zu tiefem Hasse. Die vollendete Nichtigkeit des Welfen widerte den Czaren
an; der liberale Selbstherrscher vernahm mit unverhohlener Verachtung,
wie der Prinzregent sich kaum auf die Straße hinaus wagen durfte, wie
der Londoner Pöbel dem Ehebrecher zurief: wo hast Du Deine Frau
gelassen? Die Torys ihrerseits hörten mit Abscheu die großen Worte
Alexanders über Völkerfreiheit und Völkerglück; er war ihnen "halb ein
Narr, halb ein Bonaparte". Ihr Zorn wuchs noch als eben in diesen
Tagen ein Lieblingswunsch ihres Hofes zu Schanden wurde. Der junge
Prinz von Oranien war in London eingetroffen um die lang geplante
Verlobung mit der Prinzessin Charlotte abzuschließen; Alles hoffte auf
die Wiederkehr der Zeiten Wilhelms III. Wenn nur der kleine Trotzkopf
der Prinzessin selber nicht gewesen wäre, der doch auch mitzureden hatte!
Mit dem lauten Ausrufe "I hate Orange" wies sie vor versammeltem
Hofe eine Schale voll Apfelsinen zurück, und der unglückliche Freier mußte
abziehen. Der Welfe aber schäumte vor Grimm. Er glaubte zu wissen,
daß Alexanders Schwester, die geistreiche Großfürstin Katharina, seine
Tochter aufgestiftet habe*), fand die Anmaßung der Russen ganz uner-
träglich und bot dem österreichischen Minister geradezu eine geheime Allianz
gegen den Czaren an, wie Humboldt bald darauf durch Metternich selbst
erfuhr.**)

Auf der Rückreise besuchte der König seine wiedergewonnenen Neuf-
chateller, und die allgemeine ungeheuchelte Freude des treuen Völkchens
zeigte, wie fest unter einem wohlwollenden Regimente selbst eine unna-
türliche politische Verbindung sich einwurzeln kann. Zu Anfang August
kehrte er in die Mark zurück. Unterdeß zogen auch die Truppen heim.
Dem alten Blücher gönnten seine dankbaren Landsleute keine Erholung
von den englischen Jubelstrapazen; fast in jeder Stadt mußte er zum

*) Hardenbergs Tagebuch 29. Juni 1814.
**) Humboldts Bericht an den König, Wien 20. August 1814.
Die Monarchen in England.

Auch in England waren die Preußen die Helden des Tages, als der
König und der Czar mit Metternich und Blücher von Paris aus zum
Beſuche des Prinzregenten hinüberkamen. Die unverdorbene Maſſe des
Volkes drängte ſich mit urkräftiger Begeiſterung um Blücher und Gnei-
ſenau, kaum waren ſie ihres Lebens ſicher bei den tollen Ausbrüchen der
ungeſtümen Freude; höchſtens der tapfere Koſakenhetman Platow kam
neben ihnen noch auf. Wie viel hundertmal, bis zum Tode des alten Feld-
marſchalls, iſt in engliſchen Häuſern der Ruf erklungen: drink a cup
for old Blucher!
Dem ſtolzen Adel aber gefiel weder die ſchlichte Er-
ſcheinung des Königs noch die ſoldatiſche Derbheit ſeiner Generale. Allein
Metternich verſtand die Herzen der vornehmen Welt zu gewinnen; ſein
Verhältniß zu dem Tory-Cabinet ward täglich vertrauter. Die Abneigung
des Hofes gegen Rußland ſteigerte ſich durch den perſönlichen Verkehr bis
zu tiefem Haſſe. Die vollendete Nichtigkeit des Welfen widerte den Czaren
an; der liberale Selbſtherrſcher vernahm mit unverhohlener Verachtung,
wie der Prinzregent ſich kaum auf die Straße hinaus wagen durfte, wie
der Londoner Pöbel dem Ehebrecher zurief: wo haſt Du Deine Frau
gelaſſen? Die Torys ihrerſeits hörten mit Abſcheu die großen Worte
Alexanders über Völkerfreiheit und Völkerglück; er war ihnen „halb ein
Narr, halb ein Bonaparte“. Ihr Zorn wuchs noch als eben in dieſen
Tagen ein Lieblingswunſch ihres Hofes zu Schanden wurde. Der junge
Prinz von Oranien war in London eingetroffen um die lang geplante
Verlobung mit der Prinzeſſin Charlotte abzuſchließen; Alles hoffte auf
die Wiederkehr der Zeiten Wilhelms III. Wenn nur der kleine Trotzkopf
der Prinzeſſin ſelber nicht geweſen wäre, der doch auch mitzureden hatte!
Mit dem lauten Ausrufe „I hate Orange“ wies ſie vor verſammeltem
Hofe eine Schale voll Apfelſinen zurück, und der unglückliche Freier mußte
abziehen. Der Welfe aber ſchäumte vor Grimm. Er glaubte zu wiſſen,
daß Alexanders Schweſter, die geiſtreiche Großfürſtin Katharina, ſeine
Tochter aufgeſtiftet habe*), fand die Anmaßung der Ruſſen ganz uner-
träglich und bot dem öſterreichiſchen Miniſter geradezu eine geheime Allianz
gegen den Czaren an, wie Humboldt bald darauf durch Metternich ſelbſt
erfuhr.**)

Auf der Rückreiſe beſuchte der König ſeine wiedergewonnenen Neuf-
chateller, und die allgemeine ungeheuchelte Freude des treuen Völkchens
zeigte, wie feſt unter einem wohlwollenden Regimente ſelbſt eine unna-
türliche politiſche Verbindung ſich einwurzeln kann. Zu Anfang Auguſt
kehrte er in die Mark zurück. Unterdeß zogen auch die Truppen heim.
Dem alten Blücher gönnten ſeine dankbaren Landsleute keine Erholung
von den engliſchen Jubelſtrapazen; faſt in jeder Stadt mußte er zum

*) Hardenbergs Tagebuch 29. Juni 1814.
**) Humboldts Bericht an den König, Wien 20. Auguſt 1814.
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[571/0587] Die Monarchen in England. Auch in England waren die Preußen die Helden des Tages, als der König und der Czar mit Metternich und Blücher von Paris aus zum Beſuche des Prinzregenten hinüberkamen. Die unverdorbene Maſſe des Volkes drängte ſich mit urkräftiger Begeiſterung um Blücher und Gnei- ſenau, kaum waren ſie ihres Lebens ſicher bei den tollen Ausbrüchen der ungeſtümen Freude; höchſtens der tapfere Koſakenhetman Platow kam neben ihnen noch auf. Wie viel hundertmal, bis zum Tode des alten Feld- marſchalls, iſt in engliſchen Häuſern der Ruf erklungen: drink a cup for old Blucher! Dem ſtolzen Adel aber gefiel weder die ſchlichte Er- ſcheinung des Königs noch die ſoldatiſche Derbheit ſeiner Generale. Allein Metternich verſtand die Herzen der vornehmen Welt zu gewinnen; ſein Verhältniß zu dem Tory-Cabinet ward täglich vertrauter. Die Abneigung des Hofes gegen Rußland ſteigerte ſich durch den perſönlichen Verkehr bis zu tiefem Haſſe. Die vollendete Nichtigkeit des Welfen widerte den Czaren an; der liberale Selbſtherrſcher vernahm mit unverhohlener Verachtung, wie der Prinzregent ſich kaum auf die Straße hinaus wagen durfte, wie der Londoner Pöbel dem Ehebrecher zurief: wo haſt Du Deine Frau gelaſſen? Die Torys ihrerſeits hörten mit Abſcheu die großen Worte Alexanders über Völkerfreiheit und Völkerglück; er war ihnen „halb ein Narr, halb ein Bonaparte“. Ihr Zorn wuchs noch als eben in dieſen Tagen ein Lieblingswunſch ihres Hofes zu Schanden wurde. Der junge Prinz von Oranien war in London eingetroffen um die lang geplante Verlobung mit der Prinzeſſin Charlotte abzuſchließen; Alles hoffte auf die Wiederkehr der Zeiten Wilhelms III. Wenn nur der kleine Trotzkopf der Prinzeſſin ſelber nicht geweſen wäre, der doch auch mitzureden hatte! Mit dem lauten Ausrufe „I hate Orange“ wies ſie vor verſammeltem Hofe eine Schale voll Apfelſinen zurück, und der unglückliche Freier mußte abziehen. Der Welfe aber ſchäumte vor Grimm. Er glaubte zu wiſſen, daß Alexanders Schweſter, die geiſtreiche Großfürſtin Katharina, ſeine Tochter aufgeſtiftet habe *), fand die Anmaßung der Ruſſen ganz uner- träglich und bot dem öſterreichiſchen Miniſter geradezu eine geheime Allianz gegen den Czaren an, wie Humboldt bald darauf durch Metternich ſelbſt erfuhr. **) Auf der Rückreiſe beſuchte der König ſeine wiedergewonnenen Neuf- chateller, und die allgemeine ungeheuchelte Freude des treuen Völkchens zeigte, wie feſt unter einem wohlwollenden Regimente ſelbſt eine unna- türliche politiſche Verbindung ſich einwurzeln kann. Zu Anfang Auguſt kehrte er in die Mark zurück. Unterdeß zogen auch die Truppen heim. Dem alten Blücher gönnten ſeine dankbaren Landsleute keine Erholung von den engliſchen Jubelſtrapazen; faſt in jeder Stadt mußte er zum *) Hardenbergs Tagebuch 29. Juni 1814. **) Humboldts Bericht an den König, Wien 20. Auguſt 1814.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 571. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/587>, abgerufen am 20.06.2024.