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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Der Friedensschluß.
polnische Sache. Es war nur menschlich, daß Hardenberg durch dies
hinterlistige Verfahren des überschwänglich zärtlichen Freundes tief er-
bittert wurde und jetzt den Einflüsterungen der englisch-österreichischen
Diplomaten sein Ohr lieh. Gleichwohl forderte die schwer bedrängte Lage
des Staates gebieterisch, solche Empfindlichkeit zu unterdrücken und eine
Verständigung mit dem Czaren zu suchen; denn wer anders als Rußland
konnte die Forderungen Preußens ehrlich unterstützen?

Die Friedensurkunde, am 30. Mai unterzeichnet, enthielt über die
Vertheilung der Eroberungen nur einige kurze Sätze, das Wenige worüber
man sich verständigt hatte: die Länder des linken Rheinufers sollten zur
Entschädigung für Holland, Preußen und andere deutsche Staaten ver-
wendet, Oesterreichs italienischer Besitz im Westen durch den Tessin und
den Langen See begrenzt, das Gebiet der alten Republik Genua mit dem
wiederhergestellten Königreich Sardinien vereinigt werden. Die anderen
Fragen blieben sämmtlich offen. Oesterreich sah also doch nicht alle seine
ausschweifenden italienischen Hoffnungen erfüllt. Den Kirchenstaat über-
ging der Friedensvertrag mit Stillschweigen; aber da der Papst soeben,
am 24. Mai, in der ewigen Stadt wieder einzog und die romantisch
aufgeregte Welt ihn überall mit Entzücken begrüßte, so war bereits sicher,
daß er mindestens einen Theil seines Landes zurück erlangen würde. Auch
die Auslieferung von Genua an den alten Nebenbuhler Piemont war für
die Hofburg ein schwerer Schlag; England hatte die Stadt soeben erobert
und erklärte sich unbedenklich bereit sie an König Victor Emanuel dahin-
zugeben, weil man ihn für die Abtretung von Savoyen entschädigen mußte.
Rußland ergriff, seinen alten Ueberlieferungen getreu, die Partei der Pie-
montesen, und auch Frankreich erwies sich ihnen günstig; denn Talleyrand
erkannte, scharfsinniger als die Diplomaten der Coalition, daß die Ver-
stärkung der Zwischenstaaten für Frankreich eher vortheilhaft als gefähr-
lich war. Wie er gegen die Bildung des Königreichs der vereinigten
Niederlande nichts einzuwenden hatte, so suchte er auch das Polsterkissen,
das im Süden die Gebiete Oesterreichs und Frankreichs auseinander
halten sollte, möglichst zu verstärken. Dem vereinigten Widerspruche dieser
drei Mächte mußte Oesterreich nachgeben. Kaiser Franz ertrug die halbe
Niederlage sehr unwirsch; auf den Besitz des Kirchenstaates hatte er be-
stimmt gerechnet, war doch schon im Jahre 1799 die Secularisation des
Patrimonium Petri von Thugut in vollem Ernst geplant worden. Met-
ternich übergab dem englischen Cabinet einen feierlichen, auf die naive
Unwissenheit der Torys berechneten Protest, erinnerte die Briten an die
im vorigen Sommer zu Prag gegebenen Versprechungen und verwahrte
die unbestreitbaren Rechte auf den Kirchenstaat, welche das Haus Oester-
reich als König der Römer sowie als erblicher Kaiser und Oberhaupt des
deutschen Reichskörpers besitze. Immerhin waren Oesterreichs wesentliche
Ziele erreicht; sein italienischer Besitz hatte sich vervierfacht, seine Vettern

Der Friedensſchluß.
polniſche Sache. Es war nur menſchlich, daß Hardenberg durch dies
hinterliſtige Verfahren des überſchwänglich zärtlichen Freundes tief er-
bittert wurde und jetzt den Einflüſterungen der engliſch-öſterreichiſchen
Diplomaten ſein Ohr lieh. Gleichwohl forderte die ſchwer bedrängte Lage
des Staates gebieteriſch, ſolche Empfindlichkeit zu unterdrücken und eine
Verſtändigung mit dem Czaren zu ſuchen; denn wer anders als Rußland
konnte die Forderungen Preußens ehrlich unterſtützen?

Die Friedensurkunde, am 30. Mai unterzeichnet, enthielt über die
Vertheilung der Eroberungen nur einige kurze Sätze, das Wenige worüber
man ſich verſtändigt hatte: die Länder des linken Rheinufers ſollten zur
Entſchädigung für Holland, Preußen und andere deutſche Staaten ver-
wendet, Oeſterreichs italieniſcher Beſitz im Weſten durch den Teſſin und
den Langen See begrenzt, das Gebiet der alten Republik Genua mit dem
wiederhergeſtellten Königreich Sardinien vereinigt werden. Die anderen
Fragen blieben ſämmtlich offen. Oeſterreich ſah alſo doch nicht alle ſeine
ausſchweifenden italieniſchen Hoffnungen erfüllt. Den Kirchenſtaat über-
ging der Friedensvertrag mit Stillſchweigen; aber da der Papſt ſoeben,
am 24. Mai, in der ewigen Stadt wieder einzog und die romantiſch
aufgeregte Welt ihn überall mit Entzücken begrüßte, ſo war bereits ſicher,
daß er mindeſtens einen Theil ſeines Landes zurück erlangen würde. Auch
die Auslieferung von Genua an den alten Nebenbuhler Piemont war für
die Hofburg ein ſchwerer Schlag; England hatte die Stadt ſoeben erobert
und erklärte ſich unbedenklich bereit ſie an König Victor Emanuel dahin-
zugeben, weil man ihn für die Abtretung von Savoyen entſchädigen mußte.
Rußland ergriff, ſeinen alten Ueberlieferungen getreu, die Partei der Pie-
monteſen, und auch Frankreich erwies ſich ihnen günſtig; denn Talleyrand
erkannte, ſcharfſinniger als die Diplomaten der Coalition, daß die Ver-
ſtärkung der Zwiſchenſtaaten für Frankreich eher vortheilhaft als gefähr-
lich war. Wie er gegen die Bildung des Königreichs der vereinigten
Niederlande nichts einzuwenden hatte, ſo ſuchte er auch das Polſterkiſſen,
das im Süden die Gebiete Oeſterreichs und Frankreichs auseinander
halten ſollte, möglichſt zu verſtärken. Dem vereinigten Widerſpruche dieſer
drei Mächte mußte Oeſterreich nachgeben. Kaiſer Franz ertrug die halbe
Niederlage ſehr unwirſch; auf den Beſitz des Kirchenſtaates hatte er be-
ſtimmt gerechnet, war doch ſchon im Jahre 1799 die Seculariſation des
Patrimonium Petri von Thugut in vollem Ernſt geplant worden. Met-
ternich übergab dem engliſchen Cabinet einen feierlichen, auf die naive
Unwiſſenheit der Torys berechneten Proteſt, erinnerte die Briten an die
im vorigen Sommer zu Prag gegebenen Verſprechungen und verwahrte
die unbeſtreitbaren Rechte auf den Kirchenſtaat, welche das Haus Oeſter-
reich als König der Römer ſowie als erblicher Kaiſer und Oberhaupt des
deutſchen Reichskörpers beſitze. Immerhin waren Oeſterreichs weſentliche
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[567/0583] Der Friedensſchluß. polniſche Sache. Es war nur menſchlich, daß Hardenberg durch dies hinterliſtige Verfahren des überſchwänglich zärtlichen Freundes tief er- bittert wurde und jetzt den Einflüſterungen der engliſch-öſterreichiſchen Diplomaten ſein Ohr lieh. Gleichwohl forderte die ſchwer bedrängte Lage des Staates gebieteriſch, ſolche Empfindlichkeit zu unterdrücken und eine Verſtändigung mit dem Czaren zu ſuchen; denn wer anders als Rußland konnte die Forderungen Preußens ehrlich unterſtützen? Die Friedensurkunde, am 30. Mai unterzeichnet, enthielt über die Vertheilung der Eroberungen nur einige kurze Sätze, das Wenige worüber man ſich verſtändigt hatte: die Länder des linken Rheinufers ſollten zur Entſchädigung für Holland, Preußen und andere deutſche Staaten ver- wendet, Oeſterreichs italieniſcher Beſitz im Weſten durch den Teſſin und den Langen See begrenzt, das Gebiet der alten Republik Genua mit dem wiederhergeſtellten Königreich Sardinien vereinigt werden. Die anderen Fragen blieben ſämmtlich offen. Oeſterreich ſah alſo doch nicht alle ſeine ausſchweifenden italieniſchen Hoffnungen erfüllt. Den Kirchenſtaat über- ging der Friedensvertrag mit Stillſchweigen; aber da der Papſt ſoeben, am 24. Mai, in der ewigen Stadt wieder einzog und die romantiſch aufgeregte Welt ihn überall mit Entzücken begrüßte, ſo war bereits ſicher, daß er mindeſtens einen Theil ſeines Landes zurück erlangen würde. Auch die Auslieferung von Genua an den alten Nebenbuhler Piemont war für die Hofburg ein ſchwerer Schlag; England hatte die Stadt ſoeben erobert und erklärte ſich unbedenklich bereit ſie an König Victor Emanuel dahin- zugeben, weil man ihn für die Abtretung von Savoyen entſchädigen mußte. Rußland ergriff, ſeinen alten Ueberlieferungen getreu, die Partei der Pie- monteſen, und auch Frankreich erwies ſich ihnen günſtig; denn Talleyrand erkannte, ſcharfſinniger als die Diplomaten der Coalition, daß die Ver- ſtärkung der Zwiſchenſtaaten für Frankreich eher vortheilhaft als gefähr- lich war. Wie er gegen die Bildung des Königreichs der vereinigten Niederlande nichts einzuwenden hatte, ſo ſuchte er auch das Polſterkiſſen, das im Süden die Gebiete Oeſterreichs und Frankreichs auseinander halten ſollte, möglichſt zu verſtärken. Dem vereinigten Widerſpruche dieſer drei Mächte mußte Oeſterreich nachgeben. Kaiſer Franz ertrug die halbe Niederlage ſehr unwirſch; auf den Beſitz des Kirchenſtaates hatte er be- ſtimmt gerechnet, war doch ſchon im Jahre 1799 die Seculariſation des Patrimonium Petri von Thugut in vollem Ernſt geplant worden. Met- ternich übergab dem engliſchen Cabinet einen feierlichen, auf die naive Unwiſſenheit der Torys berechneten Proteſt, erinnerte die Briten an die im vorigen Sommer zu Prag gegebenen Verſprechungen und verwahrte die unbeſtreitbaren Rechte auf den Kirchenſtaat, welche das Haus Oeſter- reich als König der Römer ſowie als erblicher Kaiſer und Oberhaupt des deutſchen Reichskörpers beſitze. Immerhin waren Oeſterreichs weſentliche Ziele erreicht; ſein italieniſcher Beſitz hatte ſich vervierfacht, ſeine Vettern

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 567. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/583>, abgerufen am 22.11.2024.