thum Berg und die Lande zwischen Maas und Mosel durch Preußen, die Striche südlich der Mosel durch Baiern und Oesterreich, die belgischen Lande durch England und Holland verwaltet werden; Mainz aber erhielt eine gemischte Garnison von Preußen und Oesterreichern, ausdrücklich da- mit die Entscheidung frei bliebe. Hardenberg hatte bei seiner Niederlage nur den einen Trost, daß sein gefährlichster Gegner, Frankreich, bei der Gebietsvertheilung nicht mitwirken sollte. Aber die praktische Bedeutung dieser Bestimmung hing offenbar lediglich von der Eintracht der Verbün- deten ab. Verständigten sie sich nicht unter sich, so mußte ein Staat von der Macht und den weitverzweigten Verbindungen Frankreichs, wenn er einmal an dem Congresse theilnahm, unausbleiblich auch in die Gebiets- streitigkeiten hineingezogen worden, ja er konnte vielleicht allen Verab- redungen zum Trotz das entscheidende Wort sprechen. Dies ward auch schon in Paris dunkel geahnt. Czar Alexander und Stein erfuhren bald von einem verdächtigen geheimen Verkehre zwischen Talleyrand, Metternich und Castlereagh; man fühlte, wie die Coalition sich lockerte, wie England und Oesterreich nach Bundesgenossen suchten um die preußisch-russischen Pläne zu vereiteln.
Während also Preußens unversöhnlichster Feind von einigen der verbündeten Mächte umworben wurde, begann zugleich die Freundschaft zwischen dem preußischen und dem russischen Cabinet bedenklich zu erkalten. Schon die wohlfeile Großmuth des Czaren hatte den Staatskanzler tief verstimmt, und jetzt wurde auch von dem Plane der Wiederherstellung Polens Einiges ruchbar. Man vernahm, wie der Czar im Hotel Talley- rand begeistert von Polens Freiheit sprach; der kluge Franzose bedurfte noch der russischen Gunst für die Abwicklung der Friedensverhandlungen und bestärkte den kaiserlichen Gast durch harmlose zustimmende Bemerkungen in seiner Schwärmerei. Alexander besuchte mehrmals die Festlichkeiten der polnischen Emigranten, die ihn huldigend umdrängten; er nahm die pol- nischen Regimenter, die unter Napoleon gefochten, sofort in seinen Dienst und schickte sie unter dem Banner des weißen Adlers in die Heimath. Auch das russische Heer marschirte alsbald nach dem Friedensschlusse eilig nach Polen zurück; zugleich trafen die Reserven aus dem Osten des Reiches in Warschau ein. Während des Sommers versammelte sich am Bug und Narew eine Truppenmasse doppelt so stark als das Heer, das der Czar gegen Frankreich ins Feld geführt; die Generale drohten laut, sie wollten doch sehen, wer einer solchen Kriegsmacht das eroberte Polen entreißen würde. Man hörte, daß der Czar unter seiner polnischen Krone fast das gesammte Großherzogthum Warschau und vielleicht auch Litthauen zu vereinigen hoffe; nur ein kleiner Strich Landes in der Nähe Krakaus, doch ohne diese Stadt, sollte an Oesterreich, nur Posen bis zur Prosna, aber ohne das altdeutsche Thorn, sollte an Preußen abgetreten werden. Dabei vermied Alexander nach wie vor jede offene Erklärung über die
I. 5. Ende der Kriegszeit.
thum Berg und die Lande zwiſchen Maas und Moſel durch Preußen, die Striche ſüdlich der Moſel durch Baiern und Oeſterreich, die belgiſchen Lande durch England und Holland verwaltet werden; Mainz aber erhielt eine gemiſchte Garniſon von Preußen und Oeſterreichern, ausdrücklich da- mit die Entſcheidung frei bliebe. Hardenberg hatte bei ſeiner Niederlage nur den einen Troſt, daß ſein gefährlichſter Gegner, Frankreich, bei der Gebietsvertheilung nicht mitwirken ſollte. Aber die praktiſche Bedeutung dieſer Beſtimmung hing offenbar lediglich von der Eintracht der Verbün- deten ab. Verſtändigten ſie ſich nicht unter ſich, ſo mußte ein Staat von der Macht und den weitverzweigten Verbindungen Frankreichs, wenn er einmal an dem Congreſſe theilnahm, unausbleiblich auch in die Gebiets- ſtreitigkeiten hineingezogen worden, ja er konnte vielleicht allen Verab- redungen zum Trotz das entſcheidende Wort ſprechen. Dies ward auch ſchon in Paris dunkel geahnt. Czar Alexander und Stein erfuhren bald von einem verdächtigen geheimen Verkehre zwiſchen Talleyrand, Metternich und Caſtlereagh; man fühlte, wie die Coalition ſich lockerte, wie England und Oeſterreich nach Bundesgenoſſen ſuchten um die preußiſch-ruſſiſchen Pläne zu vereiteln.
Während alſo Preußens unverſöhnlichſter Feind von einigen der verbündeten Mächte umworben wurde, begann zugleich die Freundſchaft zwiſchen dem preußiſchen und dem ruſſiſchen Cabinet bedenklich zu erkalten. Schon die wohlfeile Großmuth des Czaren hatte den Staatskanzler tief verſtimmt, und jetzt wurde auch von dem Plane der Wiederherſtellung Polens Einiges ruchbar. Man vernahm, wie der Czar im Hotel Talley- rand begeiſtert von Polens Freiheit ſprach; der kluge Franzoſe bedurfte noch der ruſſiſchen Gunſt für die Abwicklung der Friedensverhandlungen und beſtärkte den kaiſerlichen Gaſt durch harmloſe zuſtimmende Bemerkungen in ſeiner Schwärmerei. Alexander beſuchte mehrmals die Feſtlichkeiten der polniſchen Emigranten, die ihn huldigend umdrängten; er nahm die pol- niſchen Regimenter, die unter Napoleon gefochten, ſofort in ſeinen Dienſt und ſchickte ſie unter dem Banner des weißen Adlers in die Heimath. Auch das ruſſiſche Heer marſchirte alsbald nach dem Friedensſchluſſe eilig nach Polen zurück; zugleich trafen die Reſerven aus dem Oſten des Reiches in Warſchau ein. Während des Sommers verſammelte ſich am Bug und Narew eine Truppenmaſſe doppelt ſo ſtark als das Heer, das der Czar gegen Frankreich ins Feld geführt; die Generale drohten laut, ſie wollten doch ſehen, wer einer ſolchen Kriegsmacht das eroberte Polen entreißen würde. Man hörte, daß der Czar unter ſeiner polniſchen Krone faſt das geſammte Großherzogthum Warſchau und vielleicht auch Litthauen zu vereinigen hoffe; nur ein kleiner Strich Landes in der Nähe Krakaus, doch ohne dieſe Stadt, ſollte an Oeſterreich, nur Poſen bis zur Prosna, aber ohne das altdeutſche Thorn, ſollte an Preußen abgetreten werden. Dabei vermied Alexander nach wie vor jede offene Erklärung über die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0582"n="566"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">I.</hi> 5. Ende der Kriegszeit.</fw><lb/>
thum Berg und die Lande zwiſchen Maas und Moſel durch Preußen, die<lb/>
Striche ſüdlich der Moſel durch Baiern und Oeſterreich, die belgiſchen<lb/>
Lande durch England und Holland verwaltet werden; Mainz aber erhielt<lb/>
eine gemiſchte Garniſon von Preußen und Oeſterreichern, ausdrücklich da-<lb/>
mit die Entſcheidung frei bliebe. Hardenberg hatte bei ſeiner Niederlage<lb/>
nur den einen Troſt, daß ſein gefährlichſter Gegner, Frankreich, bei der<lb/>
Gebietsvertheilung nicht mitwirken ſollte. Aber die praktiſche Bedeutung<lb/>
dieſer Beſtimmung hing offenbar lediglich von der Eintracht der Verbün-<lb/>
deten ab. Verſtändigten ſie ſich nicht unter ſich, ſo mußte ein Staat von<lb/>
der Macht und den weitverzweigten Verbindungen Frankreichs, wenn er<lb/>
einmal an dem Congreſſe theilnahm, unausbleiblich auch in die Gebiets-<lb/>ſtreitigkeiten hineingezogen worden, ja er konnte vielleicht allen Verab-<lb/>
redungen zum Trotz das entſcheidende Wort ſprechen. Dies ward auch<lb/>ſchon in Paris dunkel geahnt. Czar Alexander und Stein erfuhren bald<lb/>
von einem verdächtigen geheimen Verkehre zwiſchen Talleyrand, Metternich<lb/>
und Caſtlereagh; man fühlte, wie die Coalition ſich lockerte, wie England<lb/>
und Oeſterreich nach Bundesgenoſſen ſuchten um die preußiſch-ruſſiſchen<lb/>
Pläne zu vereiteln.</p><lb/><p>Während alſo Preußens unverſöhnlichſter Feind von einigen der<lb/>
verbündeten Mächte umworben wurde, begann zugleich die Freundſchaft<lb/>
zwiſchen dem preußiſchen und dem ruſſiſchen Cabinet bedenklich zu erkalten.<lb/>
Schon die wohlfeile Großmuth des Czaren hatte den Staatskanzler tief<lb/>
verſtimmt, und jetzt wurde auch von dem Plane der Wiederherſtellung<lb/>
Polens Einiges ruchbar. Man vernahm, wie der Czar im Hotel Talley-<lb/>
rand begeiſtert von Polens Freiheit ſprach; der kluge Franzoſe bedurfte<lb/>
noch der ruſſiſchen Gunſt für die Abwicklung der Friedensverhandlungen und<lb/>
beſtärkte den kaiſerlichen Gaſt durch harmloſe zuſtimmende Bemerkungen<lb/>
in ſeiner Schwärmerei. Alexander beſuchte mehrmals die Feſtlichkeiten der<lb/>
polniſchen Emigranten, die ihn huldigend umdrängten; er nahm die pol-<lb/>
niſchen Regimenter, die unter Napoleon gefochten, ſofort in ſeinen Dienſt<lb/>
und ſchickte ſie unter dem Banner des weißen Adlers in die Heimath.<lb/>
Auch das ruſſiſche Heer marſchirte alsbald nach dem Friedensſchluſſe<lb/>
eilig nach Polen zurück; zugleich trafen die Reſerven aus dem Oſten des<lb/>
Reiches in Warſchau ein. Während des Sommers verſammelte ſich am<lb/>
Bug und Narew eine Truppenmaſſe doppelt ſo ſtark als das Heer, das<lb/>
der Czar gegen Frankreich ins Feld geführt; die Generale drohten laut,<lb/>ſie wollten doch ſehen, wer einer ſolchen Kriegsmacht das eroberte Polen<lb/>
entreißen würde. Man hörte, daß der Czar unter ſeiner polniſchen Krone<lb/>
faſt das geſammte Großherzogthum Warſchau und vielleicht auch Litthauen<lb/>
zu vereinigen hoffe; nur ein kleiner Strich Landes in der Nähe Krakaus,<lb/>
doch ohne dieſe Stadt, ſollte an Oeſterreich, nur Poſen bis zur Prosna,<lb/>
aber ohne das altdeutſche Thorn, ſollte an Preußen abgetreten werden.<lb/>
Dabei vermied Alexander nach wie vor jede offene Erklärung über die<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[566/0582]
I. 5. Ende der Kriegszeit.
thum Berg und die Lande zwiſchen Maas und Moſel durch Preußen, die
Striche ſüdlich der Moſel durch Baiern und Oeſterreich, die belgiſchen
Lande durch England und Holland verwaltet werden; Mainz aber erhielt
eine gemiſchte Garniſon von Preußen und Oeſterreichern, ausdrücklich da-
mit die Entſcheidung frei bliebe. Hardenberg hatte bei ſeiner Niederlage
nur den einen Troſt, daß ſein gefährlichſter Gegner, Frankreich, bei der
Gebietsvertheilung nicht mitwirken ſollte. Aber die praktiſche Bedeutung
dieſer Beſtimmung hing offenbar lediglich von der Eintracht der Verbün-
deten ab. Verſtändigten ſie ſich nicht unter ſich, ſo mußte ein Staat von
der Macht und den weitverzweigten Verbindungen Frankreichs, wenn er
einmal an dem Congreſſe theilnahm, unausbleiblich auch in die Gebiets-
ſtreitigkeiten hineingezogen worden, ja er konnte vielleicht allen Verab-
redungen zum Trotz das entſcheidende Wort ſprechen. Dies ward auch
ſchon in Paris dunkel geahnt. Czar Alexander und Stein erfuhren bald
von einem verdächtigen geheimen Verkehre zwiſchen Talleyrand, Metternich
und Caſtlereagh; man fühlte, wie die Coalition ſich lockerte, wie England
und Oeſterreich nach Bundesgenoſſen ſuchten um die preußiſch-ruſſiſchen
Pläne zu vereiteln.
Während alſo Preußens unverſöhnlichſter Feind von einigen der
verbündeten Mächte umworben wurde, begann zugleich die Freundſchaft
zwiſchen dem preußiſchen und dem ruſſiſchen Cabinet bedenklich zu erkalten.
Schon die wohlfeile Großmuth des Czaren hatte den Staatskanzler tief
verſtimmt, und jetzt wurde auch von dem Plane der Wiederherſtellung
Polens Einiges ruchbar. Man vernahm, wie der Czar im Hotel Talley-
rand begeiſtert von Polens Freiheit ſprach; der kluge Franzoſe bedurfte
noch der ruſſiſchen Gunſt für die Abwicklung der Friedensverhandlungen und
beſtärkte den kaiſerlichen Gaſt durch harmloſe zuſtimmende Bemerkungen
in ſeiner Schwärmerei. Alexander beſuchte mehrmals die Feſtlichkeiten der
polniſchen Emigranten, die ihn huldigend umdrängten; er nahm die pol-
niſchen Regimenter, die unter Napoleon gefochten, ſofort in ſeinen Dienſt
und ſchickte ſie unter dem Banner des weißen Adlers in die Heimath.
Auch das ruſſiſche Heer marſchirte alsbald nach dem Friedensſchluſſe
eilig nach Polen zurück; zugleich trafen die Reſerven aus dem Oſten des
Reiches in Warſchau ein. Während des Sommers verſammelte ſich am
Bug und Narew eine Truppenmaſſe doppelt ſo ſtark als das Heer, das
der Czar gegen Frankreich ins Feld geführt; die Generale drohten laut,
ſie wollten doch ſehen, wer einer ſolchen Kriegsmacht das eroberte Polen
entreißen würde. Man hörte, daß der Czar unter ſeiner polniſchen Krone
faſt das geſammte Großherzogthum Warſchau und vielleicht auch Litthauen
zu vereinigen hoffe; nur ein kleiner Strich Landes in der Nähe Krakaus,
doch ohne dieſe Stadt, ſollte an Oeſterreich, nur Poſen bis zur Prosna,
aber ohne das altdeutſche Thorn, ſollte an Preußen abgetreten werden.
Dabei vermied Alexander nach wie vor jede offene Erklärung über die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 566. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/582>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.