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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 5. Ende der Kriegszeit.
zwischen den heimkehrenden Emigranten und der Masse des Volks eine
tiefe unübersteigliche Kluft sich aufthat. Vom ersten Tage der neuen Re-
gierung an hatten die Alliirten geringes Vertrauen zu ihrem Bestande.
Aber statt aus solchen unheimlichen Anzeichen den Schluß zu ziehen, daß
Frankreichs Nachbarn verstärkt und zum Widerstande gegen diese unbe-
rechenbare Macht in Stand gesetzt werden müßten, dachten die Staats-
männer von Rußland, England und Oesterreich vielmehr durch milde
Friedensbedingungen dem alten Königshause seine dornige Aufgabe zu er-
leichtern.

In Deutschland hatten unterdessen jene Töne, welche Arndt in seiner
Schrift über den Rhein angeschlagen, mannichfachen Widerhall gefunden.
Der vielgeschäftige Reichspatriot Gagern forderte in einem wunderlichen
Büchlein "zur Berichtigung einiger politischen Ideen" die avulsa imperii,
Elsaß und Lothringen für das Reich zurück: dies sei der Weg für Oester-
reich zur Kaiserkrone; "die Krone Preußen aber wird ohne Unbill dadurch
den Raum gewinnen, der zur Haltung dieses Reichs nothwendig scheint,
und ein Zutrauen, ohne welches unsere Zukunft trübe wäre." Ein
Herman Teuthold schrieb einen "Appell an die Nation", wollte alle Lande
des linken Ufers zu einem Königreiche Burgund vereinigen. In gleichem
Sinne sprachen der Rheinische Mercur und die Teutschen Blätter. Arndt,
Görres und ihre Freunde huldigten fast alle der Hardenbergischen An-
sicht, daß Oesterreich im Elsaß, Preußen in den Mosellanden die Grenz-
hut übernehmen müsse. Ein beliebtes Lied sagte:

Gehalten hier von Oesterreichs Macht,
Von Preußens Helden dort bewacht,
Am Rhein, am Rhein
Muß Deutschlands Markung eisern sein.

Ein allgemeines leidenschaftliches Verlangen nach der Vogesengrenze zeigte
sich in diesem Jahre jedoch noch nicht. Es gab ihrer doch Viele, die mit
einem gelehrten Poeten das Jahr 1814 sprechen ließen: jam vicisse sat
est, victor non ultor habebor.
Der wunderbare Siegeszug vom Memel
bis zur Seine hatte die kühnsten Hoffnungen übertroffen. Mancher er-
klärte sich befriedigt, wenn nur die alte Grenze im Nordwesten wieder-
hergestellt und der Tyrann gezüchtigt würde: den Tod des Corsen forderte
man fast allgemein, die Zeitungen sprachen viel von Harmodios und
Aristogeiton.

Nach Allem was geschehen, war eine Verschärfung der Friedensbe-
dingungen in der That fast unmöglich. Der Czar hatte soeben noch,
beim Einzuge, erklärt, daß die Verbündeten das alte Königthum und die
alten Grenzen Frankreichs wiederherstellen wollten. Es ging kaum an,
diese so oft wiederholte Zusage jetzt plötzlich zu brechen und den befreun-
deten Bourbonen härtere Zumuthungen zu stellen als dem Feinde Na-
poleon. Daher wagten die preußischen Diplomaten gar nicht einen förm-

I. 5. Ende der Kriegszeit.
zwiſchen den heimkehrenden Emigranten und der Maſſe des Volks eine
tiefe unüberſteigliche Kluft ſich aufthat. Vom erſten Tage der neuen Re-
gierung an hatten die Alliirten geringes Vertrauen zu ihrem Beſtande.
Aber ſtatt aus ſolchen unheimlichen Anzeichen den Schluß zu ziehen, daß
Frankreichs Nachbarn verſtärkt und zum Widerſtande gegen dieſe unbe-
rechenbare Macht in Stand geſetzt werden müßten, dachten die Staats-
männer von Rußland, England und Oeſterreich vielmehr durch milde
Friedensbedingungen dem alten Königshauſe ſeine dornige Aufgabe zu er-
leichtern.

In Deutſchland hatten unterdeſſen jene Töne, welche Arndt in ſeiner
Schrift über den Rhein angeſchlagen, mannichfachen Widerhall gefunden.
Der vielgeſchäftige Reichspatriot Gagern forderte in einem wunderlichen
Büchlein „zur Berichtigung einiger politiſchen Ideen“ die avulsa imperii,
Elſaß und Lothringen für das Reich zurück: dies ſei der Weg für Oeſter-
reich zur Kaiſerkrone; „die Krone Preußen aber wird ohne Unbill dadurch
den Raum gewinnen, der zur Haltung dieſes Reichs nothwendig ſcheint,
und ein Zutrauen, ohne welches unſere Zukunft trübe wäre.“ Ein
Herman Teuthold ſchrieb einen „Appell an die Nation“, wollte alle Lande
des linken Ufers zu einem Königreiche Burgund vereinigen. In gleichem
Sinne ſprachen der Rheiniſche Mercur und die Teutſchen Blätter. Arndt,
Görres und ihre Freunde huldigten faſt alle der Hardenbergiſchen An-
ſicht, daß Oeſterreich im Elſaß, Preußen in den Moſellanden die Grenz-
hut übernehmen müſſe. Ein beliebtes Lied ſagte:

Gehalten hier von Oeſterreichs Macht,
Von Preußens Helden dort bewacht,
Am Rhein, am Rhein
Muß Deutſchlands Markung eiſern ſein.

Ein allgemeines leidenſchaftliches Verlangen nach der Vogeſengrenze zeigte
ſich in dieſem Jahre jedoch noch nicht. Es gab ihrer doch Viele, die mit
einem gelehrten Poeten das Jahr 1814 ſprechen ließen: jam vicisse sat
est, victor non ultor habebor.
Der wunderbare Siegeszug vom Memel
bis zur Seine hatte die kühnſten Hoffnungen übertroffen. Mancher er-
klärte ſich befriedigt, wenn nur die alte Grenze im Nordweſten wieder-
hergeſtellt und der Tyrann gezüchtigt würde: den Tod des Corſen forderte
man faſt allgemein, die Zeitungen ſprachen viel von Harmodios und
Ariſtogeiton.

Nach Allem was geſchehen, war eine Verſchärfung der Friedensbe-
dingungen in der That faſt unmöglich. Der Czar hatte ſoeben noch,
beim Einzuge, erklärt, daß die Verbündeten das alte Königthum und die
alten Grenzen Frankreichs wiederherſtellen wollten. Es ging kaum an,
dieſe ſo oft wiederholte Zuſage jetzt plötzlich zu brechen und den befreun-
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poleon. Daher wagten die preußiſchen Diplomaten gar nicht einen förm-

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[556/0572] I. 5. Ende der Kriegszeit. zwiſchen den heimkehrenden Emigranten und der Maſſe des Volks eine tiefe unüberſteigliche Kluft ſich aufthat. Vom erſten Tage der neuen Re- gierung an hatten die Alliirten geringes Vertrauen zu ihrem Beſtande. Aber ſtatt aus ſolchen unheimlichen Anzeichen den Schluß zu ziehen, daß Frankreichs Nachbarn verſtärkt und zum Widerſtande gegen dieſe unbe- rechenbare Macht in Stand geſetzt werden müßten, dachten die Staats- männer von Rußland, England und Oeſterreich vielmehr durch milde Friedensbedingungen dem alten Königshauſe ſeine dornige Aufgabe zu er- leichtern. In Deutſchland hatten unterdeſſen jene Töne, welche Arndt in ſeiner Schrift über den Rhein angeſchlagen, mannichfachen Widerhall gefunden. Der vielgeſchäftige Reichspatriot Gagern forderte in einem wunderlichen Büchlein „zur Berichtigung einiger politiſchen Ideen“ die avulsa imperii, Elſaß und Lothringen für das Reich zurück: dies ſei der Weg für Oeſter- reich zur Kaiſerkrone; „die Krone Preußen aber wird ohne Unbill dadurch den Raum gewinnen, der zur Haltung dieſes Reichs nothwendig ſcheint, und ein Zutrauen, ohne welches unſere Zukunft trübe wäre.“ Ein Herman Teuthold ſchrieb einen „Appell an die Nation“, wollte alle Lande des linken Ufers zu einem Königreiche Burgund vereinigen. In gleichem Sinne ſprachen der Rheiniſche Mercur und die Teutſchen Blätter. Arndt, Görres und ihre Freunde huldigten faſt alle der Hardenbergiſchen An- ſicht, daß Oeſterreich im Elſaß, Preußen in den Moſellanden die Grenz- hut übernehmen müſſe. Ein beliebtes Lied ſagte: Gehalten hier von Oeſterreichs Macht, Von Preußens Helden dort bewacht, Am Rhein, am Rhein Muß Deutſchlands Markung eiſern ſein. Ein allgemeines leidenſchaftliches Verlangen nach der Vogeſengrenze zeigte ſich in dieſem Jahre jedoch noch nicht. Es gab ihrer doch Viele, die mit einem gelehrten Poeten das Jahr 1814 ſprechen ließen: jam vicisse sat est, victor non ultor habebor. Der wunderbare Siegeszug vom Memel bis zur Seine hatte die kühnſten Hoffnungen übertroffen. Mancher er- klärte ſich befriedigt, wenn nur die alte Grenze im Nordweſten wieder- hergeſtellt und der Tyrann gezüchtigt würde: den Tod des Corſen forderte man faſt allgemein, die Zeitungen ſprachen viel von Harmodios und Ariſtogeiton. Nach Allem was geſchehen, war eine Verſchärfung der Friedensbe- dingungen in der That faſt unmöglich. Der Czar hatte ſoeben noch, beim Einzuge, erklärt, daß die Verbündeten das alte Königthum und die alten Grenzen Frankreichs wiederherſtellen wollten. Es ging kaum an, dieſe ſo oft wiederholte Zuſage jetzt plötzlich zu brechen und den befreun- deten Bourbonen härtere Zumuthungen zu ſtellen als dem Feinde Na- poleon. Daher wagten die preußiſchen Diplomaten gar nicht einen förm-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 556. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/572>, abgerufen am 22.11.2024.