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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Sturz Napoleons.
sagte: Asien bedarf eines Mannes! Man ließ ihm Würde und Rechte
eines souveränen Fürsten, also auch das Recht der Kriegführung, und
wähnte seine Laufbahn beendet, zumal da er auf der Reise durch die
royalistischen Striche Südfrankreichs nur mit Noth der Wuth des Pöbels
entging.

Alexander hoffte nun, seinen neuen liberalen Grundsätzen gemäß,
durch einen Beschluß der französischen Nation die Bourbonen zurückzu-
rufen und sie sogleich auf eine Verfassung zu verpflichten. Der Prä-
tendent dachte anders, desgleichen sein Bruder Artois, der sogleich als
Monsieur, Fils de France in Paris auftrat. Wer im Bourbonischen
Hause hätte jemals bezweifelt, daß die Krone der Capetinger am Todes-
tage des unglücklichen Knaben, den man Ludwig XVII. nannte, von
Gottes Gnaden auf den Roy Louis XVIII. übergegangen war? Ludwig
vergaß es dem Czaren nicht, daß dieser ihn einst aus Mitau ausgewiesen,
trug geflissentlich seine Vorliebe für England, den Nebenbuhler Rußlands,
zur Schau; hier ward ihm wohl bei dem hart reactionären Prinzregenten
und seinen Hochtorys, die von dem göttlichen Rechte des französischen
Königthums so fest überzeugt waren. Mit der Versicherung, daß er die
Wiederherstellung seines Hauses nächst Gott diesem großen Reiche ver-
danke, verließ er England an Bord einer britischen Flotte, trat in Frank-
reich sofort als der rechtmäßige König auf, verkündete noch unterwegs,
trotz der persönlichen Abmahnungen des Czaren, seinen Entschluß den ge-
treuen Unterthanen kraft seines königlichen Rechtes eine Charte zu schenken,
und langte am 3. Mai in Paris an. Wie er so in seine Hauptstadt
einfuhr, der dicke gichtbrüchige Greis, auf dem Rücksitze die beiden noch
älteren Herzöge von Conde und Bourbon, der Eine von ihnen fest ein-
geschlafen, da fragten die verwundert zuschauenden preußischen Offiziere,
ob dies Greisenregiment die Erbschaft eines Napoleon antreten solle. Und
dann jenes sonderbare Gegenstück zu den majestätischen Siegesfesten des
Soldatenkaisers, die Heerschau vor den Tuilerien: droben auf dem Altane
der alte Herr in seinem Lehnstuhle, drunten die Truppen gehorsam ihr
vive le Roy rufend, und zuletzt ein gnädiges Kopfnicken des Königs und
ein herablassendes je suis content! Der Bourbone fühlte sich seines
Thrones völlig sicher, trat den Verbündeten mit naiver Anmaßung ent-
gegen, beanspruchte als vornehmster Fürst der Christenheit in seinem
eigenen Schlosse den Vortritt vor den drei Monarchen, denen er Alles
verdankte.

Den Siegern dagegen entgingen die schweren Gefahren nicht, welche
dies aus dem Grabe erstandene Regiment bedrohten. Sie sahen mit wachsen-
der Sorge, wie weder das knechtische Betragen der sofort zum Royalis-
mus bekehrten napoleonischen Marschälle noch die Soldatenspielerei des
Herzogs von Berry die napoleonischen Gesinnungen des Heeres unter-
drücken konnte, wie die abgesetzten Beamten grollten und schürten, wie

Sturz Napoleons.
ſagte: Aſien bedarf eines Mannes! Man ließ ihm Würde und Rechte
eines ſouveränen Fürſten, alſo auch das Recht der Kriegführung, und
wähnte ſeine Laufbahn beendet, zumal da er auf der Reiſe durch die
royaliſtiſchen Striche Südfrankreichs nur mit Noth der Wuth des Pöbels
entging.

Alexander hoffte nun, ſeinen neuen liberalen Grundſätzen gemäß,
durch einen Beſchluß der franzöſiſchen Nation die Bourbonen zurückzu-
rufen und ſie ſogleich auf eine Verfaſſung zu verpflichten. Der Prä-
tendent dachte anders, desgleichen ſein Bruder Artois, der ſogleich als
Monsieur, Fils de France in Paris auftrat. Wer im Bourboniſchen
Hauſe hätte jemals bezweifelt, daß die Krone der Capetinger am Todes-
tage des unglücklichen Knaben, den man Ludwig XVII. nannte, von
Gottes Gnaden auf den Roy Louis XVIII. übergegangen war? Ludwig
vergaß es dem Czaren nicht, daß dieſer ihn einſt aus Mitau ausgewieſen,
trug gefliſſentlich ſeine Vorliebe für England, den Nebenbuhler Rußlands,
zur Schau; hier ward ihm wohl bei dem hart reactionären Prinzregenten
und ſeinen Hochtorys, die von dem göttlichen Rechte des franzöſiſchen
Königthums ſo feſt überzeugt waren. Mit der Verſicherung, daß er die
Wiederherſtellung ſeines Hauſes nächſt Gott dieſem großen Reiche ver-
danke, verließ er England an Bord einer britiſchen Flotte, trat in Frank-
reich ſofort als der rechtmäßige König auf, verkündete noch unterwegs,
trotz der perſönlichen Abmahnungen des Czaren, ſeinen Entſchluß den ge-
treuen Unterthanen kraft ſeines königlichen Rechtes eine Charte zu ſchenken,
und langte am 3. Mai in Paris an. Wie er ſo in ſeine Hauptſtadt
einfuhr, der dicke gichtbrüchige Greis, auf dem Rückſitze die beiden noch
älteren Herzöge von Condé und Bourbon, der Eine von ihnen feſt ein-
geſchlafen, da fragten die verwundert zuſchauenden preußiſchen Offiziere,
ob dies Greiſenregiment die Erbſchaft eines Napoleon antreten ſolle. Und
dann jenes ſonderbare Gegenſtück zu den majeſtätiſchen Siegesfeſten des
Soldatenkaiſers, die Heerſchau vor den Tuilerien: droben auf dem Altane
der alte Herr in ſeinem Lehnſtuhle, drunten die Truppen gehorſam ihr
vive le Roy rufend, und zuletzt ein gnädiges Kopfnicken des Königs und
ein herablaſſendes je suis content! Der Bourbone fühlte ſich ſeines
Thrones völlig ſicher, trat den Verbündeten mit naiver Anmaßung ent-
gegen, beanſpruchte als vornehmſter Fürſt der Chriſtenheit in ſeinem
eigenen Schloſſe den Vortritt vor den drei Monarchen, denen er Alles
verdankte.

Den Siegern dagegen entgingen die ſchweren Gefahren nicht, welche
dies aus dem Grabe erſtandene Regiment bedrohten. Sie ſahen mit wachſen-
der Sorge, wie weder das knechtiſche Betragen der ſofort zum Royalis-
mus bekehrten napoleoniſchen Marſchälle noch die Soldatenſpielerei des
Herzogs von Berry die napoleoniſchen Geſinnungen des Heeres unter-
drücken konnte, wie die abgeſetzten Beamten grollten und ſchürten, wie

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[555/0571] Sturz Napoleons. ſagte: Aſien bedarf eines Mannes! Man ließ ihm Würde und Rechte eines ſouveränen Fürſten, alſo auch das Recht der Kriegführung, und wähnte ſeine Laufbahn beendet, zumal da er auf der Reiſe durch die royaliſtiſchen Striche Südfrankreichs nur mit Noth der Wuth des Pöbels entging. Alexander hoffte nun, ſeinen neuen liberalen Grundſätzen gemäß, durch einen Beſchluß der franzöſiſchen Nation die Bourbonen zurückzu- rufen und ſie ſogleich auf eine Verfaſſung zu verpflichten. Der Prä- tendent dachte anders, desgleichen ſein Bruder Artois, der ſogleich als Monsieur, Fils de France in Paris auftrat. Wer im Bourboniſchen Hauſe hätte jemals bezweifelt, daß die Krone der Capetinger am Todes- tage des unglücklichen Knaben, den man Ludwig XVII. nannte, von Gottes Gnaden auf den Roy Louis XVIII. übergegangen war? Ludwig vergaß es dem Czaren nicht, daß dieſer ihn einſt aus Mitau ausgewieſen, trug gefliſſentlich ſeine Vorliebe für England, den Nebenbuhler Rußlands, zur Schau; hier ward ihm wohl bei dem hart reactionären Prinzregenten und ſeinen Hochtorys, die von dem göttlichen Rechte des franzöſiſchen Königthums ſo feſt überzeugt waren. Mit der Verſicherung, daß er die Wiederherſtellung ſeines Hauſes nächſt Gott dieſem großen Reiche ver- danke, verließ er England an Bord einer britiſchen Flotte, trat in Frank- reich ſofort als der rechtmäßige König auf, verkündete noch unterwegs, trotz der perſönlichen Abmahnungen des Czaren, ſeinen Entſchluß den ge- treuen Unterthanen kraft ſeines königlichen Rechtes eine Charte zu ſchenken, und langte am 3. Mai in Paris an. Wie er ſo in ſeine Hauptſtadt einfuhr, der dicke gichtbrüchige Greis, auf dem Rückſitze die beiden noch älteren Herzöge von Condé und Bourbon, der Eine von ihnen feſt ein- geſchlafen, da fragten die verwundert zuſchauenden preußiſchen Offiziere, ob dies Greiſenregiment die Erbſchaft eines Napoleon antreten ſolle. Und dann jenes ſonderbare Gegenſtück zu den majeſtätiſchen Siegesfeſten des Soldatenkaiſers, die Heerſchau vor den Tuilerien: droben auf dem Altane der alte Herr in ſeinem Lehnſtuhle, drunten die Truppen gehorſam ihr vive le Roy rufend, und zuletzt ein gnädiges Kopfnicken des Königs und ein herablaſſendes je suis content! Der Bourbone fühlte ſich ſeines Thrones völlig ſicher, trat den Verbündeten mit naiver Anmaßung ent- gegen, beanſpruchte als vornehmſter Fürſt der Chriſtenheit in ſeinem eigenen Schloſſe den Vortritt vor den drei Monarchen, denen er Alles verdankte. Den Siegern dagegen entgingen die ſchweren Gefahren nicht, welche dies aus dem Grabe erſtandene Regiment bedrohten. Sie ſahen mit wachſen- der Sorge, wie weder das knechtiſche Betragen der ſofort zum Royalis- mus bekehrten napoleoniſchen Marſchälle noch die Soldatenſpielerei des Herzogs von Berry die napoleoniſchen Geſinnungen des Heeres unter- drücken konnte, wie die abgeſetzten Beamten grollten und ſchürten, wie

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 555. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/571>, abgerufen am 17.05.2024.