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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Deutschlands Forderungen.
lichen Antrag auf die Wiedererwerbung von Elsaß-Lothringen zu stellen,
obgleich der Staatskanzler persönlich diesen Wunsch hegte und alle seine
Generale ihm eindringlich vorstellten, wie schwer die Sicherheit Süddeutsch-
lands gefährdet würde, wenn jener mächtige Keil französischen Gebietes
von Landau bis Hüningen tief in unser Oberland hineinragte. Harden-
berg und sogar Stein begnügten sich den Rückfall von Straßburg und
Landau zu verlangen; denn diese Forderung durften sie stellen ohne den
früheren Versprechungen der Coalition untreu zu werden. Beim Ausbruche
der Revolutionskriege war ja ein volles Viertel des Elsasses, 245 Ge-
meinden mit 252,000 Einwohnern, noch im Besitze deutscher Reichsstände
gewesen, freilich zum größten Theile unter französischer Oberhoheit. Ga-
ben die Deutschen diese alten Ansprüche auf, verzichteten sie auf den
Wiedergewinn der schönen Herrschaften Saarwerden, Lützelstein, Rappolt-
stein, Mömpelgard, Dagsburg, Hanau-Lichtenberg, so waren sie sicherlich
berechtigt, zur Entschädigung die beiden gefährlichen Hauptfestungen des
Oberrheins zu fordern. Aber einstimmig traten die drei verbündeten
Mächte dieser bescheidenen Forderung Preußens entgegen. Talleyrand
betheuerte salbungsvoll: das einzige Mittel zur Verhinderung künftiger
Kriege sei -- eine große und starke Nation nicht zu entehren, und fand
nur zu schnell Gehör bei dem Czaren, bei Metternich und Castlereagh.

Schon am 23. April wurde mit Monsieur ein vorläufiger Vertrag
abgeschlossen, kraft dessen die Civilverwaltung in allen den Gebieten, welche
am 1. Januar 1792 französisch gewesen, sofort an die französischen Be-
hörden zurückgegeben werden sollte; auch die Entfernung der verbündeten
Heere aus diesen Landstrichen wurde zugesagt, sobald Frankreich die noch
in Italien und Deutschland besetzten Festungen geräumt habe. Stein
machte den Staatskanzler darauf aufmerksam, durch diesen Vertrag seien
keineswegs ganz Elsaß-Lothringen und Burgund der französischen Ver-
waltung preisgegeben, vielmehr lägen dort überall noch eingesprengte alt-
deutsche Gebiete; als Leiter der Centralverwaltung befahl er sogleich, daß
im Moseldepartement alle die Ortschaften, die erst im Jahre 1793 erobert
worden, den Franzosen nicht ausgeliefert werden sollten*). Jedoch diese
ehrliche Auslegung des Vertrags fand bei den Verbündeten Preußens keinen
Anklang. Die schnelllebige Zeit hatte in der That schon ganz vergessen,
daß jenes deutsch gebliebene Viertel des Elsasses einst den ersten Anlaß zu
den Revolutionskriegen gegeben hatte; allgemein glaubte man in der diplo-
matischen Welt, was die Franzosen geflissentlich aussprengten, das gesammte
oberrheinische Land sei schon seit zweihundert Jahren französisch. Jeden-
falls wollte man sich auf schwierige historische Untersuchungen nicht ein-
lassen und beschloß das ganze Elsaß sowie das ganze Moseldepartement
sogleich den französischen Behörden auszuliefern. Damit war die Grund-

*) Stein an Hardenberg, 11. Mai 1814.

Deutſchlands Forderungen.
lichen Antrag auf die Wiedererwerbung von Elſaß-Lothringen zu ſtellen,
obgleich der Staatskanzler perſönlich dieſen Wunſch hegte und alle ſeine
Generale ihm eindringlich vorſtellten, wie ſchwer die Sicherheit Süddeutſch-
lands gefährdet würde, wenn jener mächtige Keil franzöſiſchen Gebietes
von Landau bis Hüningen tief in unſer Oberland hineinragte. Harden-
berg und ſogar Stein begnügten ſich den Rückfall von Straßburg und
Landau zu verlangen; denn dieſe Forderung durften ſie ſtellen ohne den
früheren Verſprechungen der Coalition untreu zu werden. Beim Ausbruche
der Revolutionskriege war ja ein volles Viertel des Elſaſſes, 245 Ge-
meinden mit 252,000 Einwohnern, noch im Beſitze deutſcher Reichsſtände
geweſen, freilich zum größten Theile unter franzöſiſcher Oberhoheit. Ga-
ben die Deutſchen dieſe alten Anſprüche auf, verzichteten ſie auf den
Wiedergewinn der ſchönen Herrſchaften Saarwerden, Lützelſtein, Rappolt-
ſtein, Mömpelgard, Dagsburg, Hanau-Lichtenberg, ſo waren ſie ſicherlich
berechtigt, zur Entſchädigung die beiden gefährlichen Hauptfeſtungen des
Oberrheins zu fordern. Aber einſtimmig traten die drei verbündeten
Mächte dieſer beſcheidenen Forderung Preußens entgegen. Talleyrand
betheuerte ſalbungsvoll: das einzige Mittel zur Verhinderung künftiger
Kriege ſei — eine große und ſtarke Nation nicht zu entehren, und fand
nur zu ſchnell Gehör bei dem Czaren, bei Metternich und Caſtlereagh.

Schon am 23. April wurde mit Monſieur ein vorläufiger Vertrag
abgeſchloſſen, kraft deſſen die Civilverwaltung in allen den Gebieten, welche
am 1. Januar 1792 franzöſiſch geweſen, ſofort an die franzöſiſchen Be-
hörden zurückgegeben werden ſollte; auch die Entfernung der verbündeten
Heere aus dieſen Landſtrichen wurde zugeſagt, ſobald Frankreich die noch
in Italien und Deutſchland beſetzten Feſtungen geräumt habe. Stein
machte den Staatskanzler darauf aufmerkſam, durch dieſen Vertrag ſeien
keineswegs ganz Elſaß-Lothringen und Burgund der franzöſiſchen Ver-
waltung preisgegeben, vielmehr lägen dort überall noch eingeſprengte alt-
deutſche Gebiete; als Leiter der Centralverwaltung befahl er ſogleich, daß
im Moſeldepartement alle die Ortſchaften, die erſt im Jahre 1793 erobert
worden, den Franzoſen nicht ausgeliefert werden ſollten*). Jedoch dieſe
ehrliche Auslegung des Vertrags fand bei den Verbündeten Preußens keinen
Anklang. Die ſchnelllebige Zeit hatte in der That ſchon ganz vergeſſen,
daß jenes deutſch gebliebene Viertel des Elſaſſes einſt den erſten Anlaß zu
den Revolutionskriegen gegeben hatte; allgemein glaubte man in der diplo-
matiſchen Welt, was die Franzoſen gefliſſentlich ausſprengten, das geſammte
oberrheiniſche Land ſei ſchon ſeit zweihundert Jahren franzöſiſch. Jeden-
falls wollte man ſich auf ſchwierige hiſtoriſche Unterſuchungen nicht ein-
laſſen und beſchloß das ganze Elſaß ſowie das ganze Moſeldepartement
ſogleich den franzöſiſchen Behörden auszuliefern. Damit war die Grund-

*) Stein an Hardenberg, 11. Mai 1814.
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[557/0573] Deutſchlands Forderungen. lichen Antrag auf die Wiedererwerbung von Elſaß-Lothringen zu ſtellen, obgleich der Staatskanzler perſönlich dieſen Wunſch hegte und alle ſeine Generale ihm eindringlich vorſtellten, wie ſchwer die Sicherheit Süddeutſch- lands gefährdet würde, wenn jener mächtige Keil franzöſiſchen Gebietes von Landau bis Hüningen tief in unſer Oberland hineinragte. Harden- berg und ſogar Stein begnügten ſich den Rückfall von Straßburg und Landau zu verlangen; denn dieſe Forderung durften ſie ſtellen ohne den früheren Verſprechungen der Coalition untreu zu werden. Beim Ausbruche der Revolutionskriege war ja ein volles Viertel des Elſaſſes, 245 Ge- meinden mit 252,000 Einwohnern, noch im Beſitze deutſcher Reichsſtände geweſen, freilich zum größten Theile unter franzöſiſcher Oberhoheit. Ga- ben die Deutſchen dieſe alten Anſprüche auf, verzichteten ſie auf den Wiedergewinn der ſchönen Herrſchaften Saarwerden, Lützelſtein, Rappolt- ſtein, Mömpelgard, Dagsburg, Hanau-Lichtenberg, ſo waren ſie ſicherlich berechtigt, zur Entſchädigung die beiden gefährlichen Hauptfeſtungen des Oberrheins zu fordern. Aber einſtimmig traten die drei verbündeten Mächte dieſer beſcheidenen Forderung Preußens entgegen. Talleyrand betheuerte ſalbungsvoll: das einzige Mittel zur Verhinderung künftiger Kriege ſei — eine große und ſtarke Nation nicht zu entehren, und fand nur zu ſchnell Gehör bei dem Czaren, bei Metternich und Caſtlereagh. Schon am 23. April wurde mit Monſieur ein vorläufiger Vertrag abgeſchloſſen, kraft deſſen die Civilverwaltung in allen den Gebieten, welche am 1. Januar 1792 franzöſiſch geweſen, ſofort an die franzöſiſchen Be- hörden zurückgegeben werden ſollte; auch die Entfernung der verbündeten Heere aus dieſen Landſtrichen wurde zugeſagt, ſobald Frankreich die noch in Italien und Deutſchland beſetzten Feſtungen geräumt habe. Stein machte den Staatskanzler darauf aufmerkſam, durch dieſen Vertrag ſeien keineswegs ganz Elſaß-Lothringen und Burgund der franzöſiſchen Ver- waltung preisgegeben, vielmehr lägen dort überall noch eingeſprengte alt- deutſche Gebiete; als Leiter der Centralverwaltung befahl er ſogleich, daß im Moſeldepartement alle die Ortſchaften, die erſt im Jahre 1793 erobert worden, den Franzoſen nicht ausgeliefert werden ſollten *). Jedoch dieſe ehrliche Auslegung des Vertrags fand bei den Verbündeten Preußens keinen Anklang. Die ſchnelllebige Zeit hatte in der That ſchon ganz vergeſſen, daß jenes deutſch gebliebene Viertel des Elſaſſes einſt den erſten Anlaß zu den Revolutionskriegen gegeben hatte; allgemein glaubte man in der diplo- matiſchen Welt, was die Franzoſen gefliſſentlich ausſprengten, das geſammte oberrheiniſche Land ſei ſchon ſeit zweihundert Jahren franzöſiſch. Jeden- falls wollte man ſich auf ſchwierige hiſtoriſche Unterſuchungen nicht ein- laſſen und beſchloß das ganze Elſaß ſowie das ganze Moſeldepartement ſogleich den franzöſiſchen Behörden auszuliefern. Damit war die Grund- *) Stein an Hardenberg, 11. Mai 1814.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 557. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/573>, abgerufen am 22.11.2024.