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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 5. Ende der Kriegszeit.
klärung, wie viel polnisches Land Rußland für sich verlange. Erst als
Alexander abermals jede bestimmte Antwort vor dem Friedensschlusse ver-
weigerte, ging Preußen auf eigene Faust vor. Der Staatskanzler ent-
warf eine genaue Berechnung der für Preußen nothwendigen Enschädi-
gungen und übergab diese Denkschrift, während des Aufenthalts zu
Basel im Januar 1814, dem österreichischen Hofe. Sie forderte ganz
Sachsen, Vorpommern, die Rheinlande von Mainz bis zur niederländi-
schen Grenze, sowie Polen bis zur Wartha; die Einwohnerzahl der Mo-
narchie war auf 10--11 Millionen berechnet. Als einzige Antwort er-
hielt Hardenberg ein französisches Billet des Grafen Stadion.*) Im
Tone vertraulicher Freundschaft, mit der wohlbekannten k. k. Gemüthlich-
keit bemerkt der Oesterreicher, die preußischen Zahlen seien doch gar zu
hoch, über zehn Millionen dürfe man nicht hinausgehen. Dann wagt er
eine schüchterne "Bemerkung zu Gunsten des unglücklichen sächsischen Kur-
hauses, dessen gänzliche Vertreibung aus Deutschland mir allzusehr das
Gefühl der politischen Moral zu verletzen scheint". Er deutet an, Preu-
ßen könne sich wohl mit der Lausitz und dem rechten Elbufer begnügen
und schließt harmlos: "Ew. Excellenz werden mir diese Betrachtungen
eines Biedermannes verzeihen; ich erlaube mir dergleichen zuweilen in
der Politik." Hardenberg antwortete sogleich:**) "Von Allem was Sach-
sen widerfahren könnte wäre die Theilung des Landes ohne Zweifel das
Schlimmste." Er hielt seine Forderungen entschieden aufrecht, verwies
zum Schluß auf die soeben eingetroffene Meldung von der Erstürmung
Wittenbergs und auf alle die anderen Rechtstitel, welche sich Preußen
durch seine kriegerischen Leistungen erworben habe. Damit hatte der
Schriftwechsel ein Ende; Metternich weigerte sich, vor dem Frieden irgend
welche Zusage zu geben.

Bei einiger Wachsamkeit konnte der Staatskanzler sich über die Be-
weggründe der Stadion'schen "Biedermanns-Bemerkungen" nicht täuschen.
Eben in jenen Tagen erhielt er die sichere Nachricht, daß derselbe Mann,
der das Vertrauen des Kaisers Franz besaß und die Operationspläne
des großen Hauptquartiers entwarf, der Sachse Langenau, mit den säch-
sischen Royalisten insgeheim in Verbindung stand. Metternich, wegen
dieser Umtriebe zur Rede gestellt, gab sogleich eine beschwichtigende Zusage.
Trotz aller solcher Anzeichen wollte Hardenberg seinen Glauben an Oester-
reichs treue Freundschaft nicht aufgeben.

Auch eine andere theuere Hoffnung des Vertrauensvollen erwies sich als
sehr unsicher. Bernadotte hatte seinen dänischen Krieg beendigt und im Kieler
Frieden den Besiegten die Abtretung von Norwegen abgezwungen (14. Ja-
nuar 1814); zur Entschädigung wurde dasselbe Schwedisch-Pommern, das

*) Stadion an Hardenberg, Basel 21. Januar 1814.
**) Hardenberg an Stadion, 21. Januar 1814.

I. 5. Ende der Kriegszeit.
klärung, wie viel polniſches Land Rußland für ſich verlange. Erſt als
Alexander abermals jede beſtimmte Antwort vor dem Friedensſchluſſe ver-
weigerte, ging Preußen auf eigene Fauſt vor. Der Staatskanzler ent-
warf eine genaue Berechnung der für Preußen nothwendigen Enſchädi-
gungen und übergab dieſe Denkſchrift, während des Aufenthalts zu
Baſel im Januar 1814, dem öſterreichiſchen Hofe. Sie forderte ganz
Sachſen, Vorpommern, die Rheinlande von Mainz bis zur niederländi-
ſchen Grenze, ſowie Polen bis zur Wartha; die Einwohnerzahl der Mo-
narchie war auf 10—11 Millionen berechnet. Als einzige Antwort er-
hielt Hardenberg ein franzöſiſches Billet des Grafen Stadion.*) Im
Tone vertraulicher Freundſchaft, mit der wohlbekannten k. k. Gemüthlich-
keit bemerkt der Oeſterreicher, die preußiſchen Zahlen ſeien doch gar zu
hoch, über zehn Millionen dürfe man nicht hinausgehen. Dann wagt er
eine ſchüchterne „Bemerkung zu Gunſten des unglücklichen ſächſiſchen Kur-
hauſes, deſſen gänzliche Vertreibung aus Deutſchland mir allzuſehr das
Gefühl der politiſchen Moral zu verletzen ſcheint“. Er deutet an, Preu-
ßen könne ſich wohl mit der Lauſitz und dem rechten Elbufer begnügen
und ſchließt harmlos: „Ew. Excellenz werden mir dieſe Betrachtungen
eines Biedermannes verzeihen; ich erlaube mir dergleichen zuweilen in
der Politik.“ Hardenberg antwortete ſogleich:**) „Von Allem was Sach-
ſen widerfahren könnte wäre die Theilung des Landes ohne Zweifel das
Schlimmſte.“ Er hielt ſeine Forderungen entſchieden aufrecht, verwies
zum Schluß auf die ſoeben eingetroffene Meldung von der Erſtürmung
Wittenbergs und auf alle die anderen Rechtstitel, welche ſich Preußen
durch ſeine kriegeriſchen Leiſtungen erworben habe. Damit hatte der
Schriftwechſel ein Ende; Metternich weigerte ſich, vor dem Frieden irgend
welche Zuſage zu geben.

Bei einiger Wachſamkeit konnte der Staatskanzler ſich über die Be-
weggründe der Stadion’ſchen „Biedermanns-Bemerkungen“ nicht täuſchen.
Eben in jenen Tagen erhielt er die ſichere Nachricht, daß derſelbe Mann,
der das Vertrauen des Kaiſers Franz beſaß und die Operationspläne
des großen Hauptquartiers entwarf, der Sachſe Langenau, mit den ſäch-
ſiſchen Royaliſten insgeheim in Verbindung ſtand. Metternich, wegen
dieſer Umtriebe zur Rede geſtellt, gab ſogleich eine beſchwichtigende Zuſage.
Trotz aller ſolcher Anzeichen wollte Hardenberg ſeinen Glauben an Oeſter-
reichs treue Freundſchaft nicht aufgeben.

Auch eine andere theuere Hoffnung des Vertrauensvollen erwies ſich als
ſehr unſicher. Bernadotte hatte ſeinen däniſchen Krieg beendigt und im Kieler
Frieden den Beſiegten die Abtretung von Norwegen abgezwungen (14. Ja-
nuar 1814); zur Entſchädigung wurde daſſelbe Schwediſch-Pommern, das

*) Stadion an Hardenberg, Baſel 21. Januar 1814.
**) Hardenberg an Stadion, 21. Januar 1814.
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[532/0548] I. 5. Ende der Kriegszeit. klärung, wie viel polniſches Land Rußland für ſich verlange. Erſt als Alexander abermals jede beſtimmte Antwort vor dem Friedensſchluſſe ver- weigerte, ging Preußen auf eigene Fauſt vor. Der Staatskanzler ent- warf eine genaue Berechnung der für Preußen nothwendigen Enſchädi- gungen und übergab dieſe Denkſchrift, während des Aufenthalts zu Baſel im Januar 1814, dem öſterreichiſchen Hofe. Sie forderte ganz Sachſen, Vorpommern, die Rheinlande von Mainz bis zur niederländi- ſchen Grenze, ſowie Polen bis zur Wartha; die Einwohnerzahl der Mo- narchie war auf 10—11 Millionen berechnet. Als einzige Antwort er- hielt Hardenberg ein franzöſiſches Billet des Grafen Stadion. *) Im Tone vertraulicher Freundſchaft, mit der wohlbekannten k. k. Gemüthlich- keit bemerkt der Oeſterreicher, die preußiſchen Zahlen ſeien doch gar zu hoch, über zehn Millionen dürfe man nicht hinausgehen. Dann wagt er eine ſchüchterne „Bemerkung zu Gunſten des unglücklichen ſächſiſchen Kur- hauſes, deſſen gänzliche Vertreibung aus Deutſchland mir allzuſehr das Gefühl der politiſchen Moral zu verletzen ſcheint“. Er deutet an, Preu- ßen könne ſich wohl mit der Lauſitz und dem rechten Elbufer begnügen und ſchließt harmlos: „Ew. Excellenz werden mir dieſe Betrachtungen eines Biedermannes verzeihen; ich erlaube mir dergleichen zuweilen in der Politik.“ Hardenberg antwortete ſogleich: **) „Von Allem was Sach- ſen widerfahren könnte wäre die Theilung des Landes ohne Zweifel das Schlimmſte.“ Er hielt ſeine Forderungen entſchieden aufrecht, verwies zum Schluß auf die ſoeben eingetroffene Meldung von der Erſtürmung Wittenbergs und auf alle die anderen Rechtstitel, welche ſich Preußen durch ſeine kriegeriſchen Leiſtungen erworben habe. Damit hatte der Schriftwechſel ein Ende; Metternich weigerte ſich, vor dem Frieden irgend welche Zuſage zu geben. Bei einiger Wachſamkeit konnte der Staatskanzler ſich über die Be- weggründe der Stadion’ſchen „Biedermanns-Bemerkungen“ nicht täuſchen. Eben in jenen Tagen erhielt er die ſichere Nachricht, daß derſelbe Mann, der das Vertrauen des Kaiſers Franz beſaß und die Operationspläne des großen Hauptquartiers entwarf, der Sachſe Langenau, mit den ſäch- ſiſchen Royaliſten insgeheim in Verbindung ſtand. Metternich, wegen dieſer Umtriebe zur Rede geſtellt, gab ſogleich eine beſchwichtigende Zuſage. Trotz aller ſolcher Anzeichen wollte Hardenberg ſeinen Glauben an Oeſter- reichs treue Freundſchaft nicht aufgeben. Auch eine andere theuere Hoffnung des Vertrauensvollen erwies ſich als ſehr unſicher. Bernadotte hatte ſeinen däniſchen Krieg beendigt und im Kieler Frieden den Beſiegten die Abtretung von Norwegen abgezwungen (14. Ja- nuar 1814); zur Entſchädigung wurde daſſelbe Schwediſch-Pommern, das *) Stadion an Hardenberg, Baſel 21. Januar 1814. **) Hardenberg an Stadion, 21. Januar 1814.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 532. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/548>, abgerufen am 22.11.2024.