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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Blücher über den Rhein.
der Kronprinz im letzten Sommer dem preußischen Staatskanzler zuge-
sagt hatte, an Dänemark abgetreten. Hardenberg erging sich in bitteren
Anklagen gegen die Treulosigkeit des Bearners und nahm sich fest vor,
diesen Streich unter keinen Umständen zu ertragen. Zu seiner Genug-
thuung erhielt er bald darauf eine Zuschrift von dem ersten Grundherrn
Schwedisch-Pommerns, dem Fürsten Putbus, der sich im Namen seiner
Landsleute feierlich gegen die Abtretung an Dänemark verwahrte*). Jedoch
das Alles lag noch in weitem Felde. Als der Krieg von Neuem anhob,
war Preußen wohl des Sieges sicher, doch nicht des Siegespreises.


In der Neujahrsnacht von 1814 saßen zu Caub am Rhein die
Offiziere des schlesischen Hauptquartiers beim vollen Römer und gedachten
in froh bewegtem Gespräche des großen Wandels der Zeiten. Vor einem
Jahre gerade hatte York noch jenseits der deutschen Ostgrenze jenen Ver-
trag geschlossen, der den Preußen den Anbruch des Entscheidungskampfes
ankündigte; heute stand Blücher mit Yorks siegreichen Truppen vor den
Thoren der deutschen Westmark, an der nämlichen Stelle, wo er vor
zwanzig Jahren den ersten Krieg um die Befreiung der linksrheinischen
Lande eröffnet hatte. Mittlerweile schlugen die Russen draußen bei schar-
fem Frost eine Schiffbrücke hinüber nach der kleinen Insel, die das graue
Gemäuer der alten Pfalz trägt; dort bestieg Graf Brandenburg mit den
brandenburgischen Füsilieren in tiefer Stille die Kähne, und um Mitter-
nacht erklang am linken Ufer der donnernde Hurrahruf der Landenden.
Die Glücklichen hatten das anbefohlene Schweigen doch nicht bewahren
können; der Jubel mußte heraus, zu herrlich war die Stunde, die der
Sehnsucht so vieler arger Jahre die Erfüllung brachte. Am nächsten
Tage feierte drüben die fröhliche Pfalz ihr lustiges Neujahrsfest: Musik
und Gesang und Freudenrufe überall, wo die Preußen einzogen; die
treuen Protestanten auf dem Hunsrücken waren allezeit gut deutsch ge-
blieben und begrüßten ihre Befreier mit wärmerem Danke als ihre Nach-
barn in den Krummstabslanden. Gleichzeitig zog General St. Priest mit
seinen Russen in Coblenz ein, und als er neben der Castorkirche den
neuen Brunnen sah mit der prahlerischen Inschrift zu Ehren der Ein-
nahme von Moskau, ließ er vorgnüglich sein "Gesehen und genehmigt"
darunter schreiben.

Ohne ernsten Widerstand zu finden marschirte das schlesische Heer
durch Lothringen. Die mit Rekruten schwach bemannten Festungen konnten,
wie Gneisenau vorausgesagt, den Verbündeten nicht gefährlich werden;
und bald zog das große Publikum aus den außerordentlichen Erfahrungen

*) Eingabe des Fürsten Malte zu Putbus, Januar 1814.

Blücher über den Rhein.
der Kronprinz im letzten Sommer dem preußiſchen Staatskanzler zuge-
ſagt hatte, an Dänemark abgetreten. Hardenberg erging ſich in bitteren
Anklagen gegen die Treuloſigkeit des Bearners und nahm ſich feſt vor,
dieſen Streich unter keinen Umſtänden zu ertragen. Zu ſeiner Genug-
thuung erhielt er bald darauf eine Zuſchrift von dem erſten Grundherrn
Schwediſch-Pommerns, dem Fürſten Putbus, der ſich im Namen ſeiner
Landsleute feierlich gegen die Abtretung an Dänemark verwahrte*). Jedoch
das Alles lag noch in weitem Felde. Als der Krieg von Neuem anhob,
war Preußen wohl des Sieges ſicher, doch nicht des Siegespreiſes.


In der Neujahrsnacht von 1814 ſaßen zu Caub am Rhein die
Offiziere des ſchleſiſchen Hauptquartiers beim vollen Römer und gedachten
in froh bewegtem Geſpräche des großen Wandels der Zeiten. Vor einem
Jahre gerade hatte York noch jenſeits der deutſchen Oſtgrenze jenen Ver-
trag geſchloſſen, der den Preußen den Anbruch des Entſcheidungskampfes
ankündigte; heute ſtand Blücher mit Yorks ſiegreichen Truppen vor den
Thoren der deutſchen Weſtmark, an der nämlichen Stelle, wo er vor
zwanzig Jahren den erſten Krieg um die Befreiung der linksrheiniſchen
Lande eröffnet hatte. Mittlerweile ſchlugen die Ruſſen draußen bei ſchar-
fem Froſt eine Schiffbrücke hinüber nach der kleinen Inſel, die das graue
Gemäuer der alten Pfalz trägt; dort beſtieg Graf Brandenburg mit den
brandenburgiſchen Füſilieren in tiefer Stille die Kähne, und um Mitter-
nacht erklang am linken Ufer der donnernde Hurrahruf der Landenden.
Die Glücklichen hatten das anbefohlene Schweigen doch nicht bewahren
können; der Jubel mußte heraus, zu herrlich war die Stunde, die der
Sehnſucht ſo vieler arger Jahre die Erfüllung brachte. Am nächſten
Tage feierte drüben die fröhliche Pfalz ihr luſtiges Neujahrsfeſt: Muſik
und Geſang und Freudenrufe überall, wo die Preußen einzogen; die
treuen Proteſtanten auf dem Hunsrücken waren allezeit gut deutſch ge-
blieben und begrüßten ihre Befreier mit wärmerem Danke als ihre Nach-
barn in den Krummſtabslanden. Gleichzeitig zog General St. Prieſt mit
ſeinen Ruſſen in Coblenz ein, und als er neben der Caſtorkirche den
neuen Brunnen ſah mit der prahleriſchen Inſchrift zu Ehren der Ein-
nahme von Moskau, ließ er vorgnüglich ſein „Geſehen und genehmigt“
darunter ſchreiben.

Ohne ernſten Widerſtand zu finden marſchirte das ſchleſiſche Heer
durch Lothringen. Die mit Rekruten ſchwach bemannten Feſtungen konnten,
wie Gneiſenau vorausgeſagt, den Verbündeten nicht gefährlich werden;
und bald zog das große Publikum aus den außerordentlichen Erfahrungen

*) Eingabe des Fürſten Malte zu Putbus, Januar 1814.
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[533/0549] Blücher über den Rhein. der Kronprinz im letzten Sommer dem preußiſchen Staatskanzler zuge- ſagt hatte, an Dänemark abgetreten. Hardenberg erging ſich in bitteren Anklagen gegen die Treuloſigkeit des Bearners und nahm ſich feſt vor, dieſen Streich unter keinen Umſtänden zu ertragen. Zu ſeiner Genug- thuung erhielt er bald darauf eine Zuſchrift von dem erſten Grundherrn Schwediſch-Pommerns, dem Fürſten Putbus, der ſich im Namen ſeiner Landsleute feierlich gegen die Abtretung an Dänemark verwahrte *). Jedoch das Alles lag noch in weitem Felde. Als der Krieg von Neuem anhob, war Preußen wohl des Sieges ſicher, doch nicht des Siegespreiſes. In der Neujahrsnacht von 1814 ſaßen zu Caub am Rhein die Offiziere des ſchleſiſchen Hauptquartiers beim vollen Römer und gedachten in froh bewegtem Geſpräche des großen Wandels der Zeiten. Vor einem Jahre gerade hatte York noch jenſeits der deutſchen Oſtgrenze jenen Ver- trag geſchloſſen, der den Preußen den Anbruch des Entſcheidungskampfes ankündigte; heute ſtand Blücher mit Yorks ſiegreichen Truppen vor den Thoren der deutſchen Weſtmark, an der nämlichen Stelle, wo er vor zwanzig Jahren den erſten Krieg um die Befreiung der linksrheiniſchen Lande eröffnet hatte. Mittlerweile ſchlugen die Ruſſen draußen bei ſchar- fem Froſt eine Schiffbrücke hinüber nach der kleinen Inſel, die das graue Gemäuer der alten Pfalz trägt; dort beſtieg Graf Brandenburg mit den brandenburgiſchen Füſilieren in tiefer Stille die Kähne, und um Mitter- nacht erklang am linken Ufer der donnernde Hurrahruf der Landenden. Die Glücklichen hatten das anbefohlene Schweigen doch nicht bewahren können; der Jubel mußte heraus, zu herrlich war die Stunde, die der Sehnſucht ſo vieler arger Jahre die Erfüllung brachte. Am nächſten Tage feierte drüben die fröhliche Pfalz ihr luſtiges Neujahrsfeſt: Muſik und Geſang und Freudenrufe überall, wo die Preußen einzogen; die treuen Proteſtanten auf dem Hunsrücken waren allezeit gut deutſch ge- blieben und begrüßten ihre Befreier mit wärmerem Danke als ihre Nach- barn in den Krummſtabslanden. Gleichzeitig zog General St. Prieſt mit ſeinen Ruſſen in Coblenz ein, und als er neben der Caſtorkirche den neuen Brunnen ſah mit der prahleriſchen Inſchrift zu Ehren der Ein- nahme von Moskau, ließ er vorgnüglich ſein „Geſehen und genehmigt“ darunter ſchreiben. Ohne ernſten Widerſtand zu finden marſchirte das ſchleſiſche Heer durch Lothringen. Die mit Rekruten ſchwach bemannten Feſtungen konnten, wie Gneiſenau vorausgeſagt, den Verbündeten nicht gefährlich werden; und bald zog das große Publikum aus den außerordentlichen Erfahrungen *) Eingabe des Fürſten Malte zu Putbus, Januar 1814.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 533. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/549>, abgerufen am 17.05.2024.