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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Das linke Rheinufer.
die Unterpräfecten hießen, nach deutscher Weise größere Selbständigkeit ge-
währt wurde*). Im Ganzen war das Volk zufrieden und ertrug willig
die schweren Lasten dieses provisorischen Regimentes, das in anderthalb
Jahren dem ausgesogenen Lande noch 61/2 Mill. Franken an Kriegs-
steuern und Zwangsanlehen abfordern mußte.

Wie anders die Stimmungen und Zustände am linken Ufer. Als
die Verbündeten im December das Elsaß betraten, begegnete ihnen überall
ein finsterer fanatischer Haß; das tapfere Volk war völlig berauscht von
dem Kriegsruhme der napoleonischen Adler, der Bauer glaubte jetzt noch
weit fester als in den neunziger Jahren, daß der Sieg der Coalition ihm
den Jammer der Zehnten und der Herrendienste wiederbringen werde.
Weiter abwärts am Rheine zeigte sich zwar solche offene Feindseligkeit
nur selten; jedoch nach zwei Jahrzehnten der Fremdherrschaft baute alle
Welt auf Frankreichs Unüberwindlichkeit. Wenige hielten den Untergang
des napoleonischen Reiches schon für entschieden, Niemand wünschte die
alten Zustände zurück. Die unter dem Schutze des Continentalsystems
emporgekommene Industrie fürchtete den reichen französischen Markt zu
verlieren; die Frauen der höheren Stände, die ja selbst im Innern
Deutschlands sich nur zu oft schwach gezeigt hatten gegen die wälsche
Liebenswürdigkeit, verhehlten hier selten ihre Vorliebe für die leichte An-
muth der französischen Sitten. Die Massen des Volkes waren des fremden
Wesens müde; man bereitete da und dort den deutschen Truppen fest-
lichen Empfang, ließ sich die Aufhebung der verwünschten droits reunis
und den wieder eröffneten Verkehr mit den überrheinischen Landsleuten
wohl gefallen, half auch wohl selber beim Niederreißen der verhaßten
Zollhäuser.

In jenen Kreisen der gebildeten Jugend, die von dem Hauche der
neuen christlich-germanischen Romantik berührt waren, herrschte fröh-
liche Begeisterung; freudestrahlend zog der junge Ferdinand Walter mit
den Donischen Kosaken ins Feld, auch einzelne ältere Männer schlossen
sich freiwillig den preußischen Bataillonen an. Doch von einer allgemeinen
Volkserhebung war nicht die Rede. Die Sieger selbst wagten kaum, diese
grunddeutschen Menschen schlechtweg als Deutsche zu behandeln. Der
Courrier d'Aix la Chapelle schrieb noch fast ein Jahr lang französisch,
das Journal du Bas Rhin et du Rhin Moyen brachte seine amtlichen
Bekanntmachungen in beiden Sprachen. Der neue Generalgouverneur,
Oberpräsident Sack, selber ein geborener Rheinländer, verstand mit den
Leuten umzugehen; war er doch wie sie ein abgesagter Feind aller stän-
dischen Vorrechte und dem brandenburgischen Adel seit Jahren verdächtig.
So weit es anging suchte er das Volk selber zu den Verwaltungsgeschäften

*) Gruners Bericht über die Verwaltung des General-Gouvernements Berg,
24. Januar 1814.

Das linke Rheinufer.
die Unterpräfecten hießen, nach deutſcher Weiſe größere Selbſtändigkeit ge-
währt wurde*). Im Ganzen war das Volk zufrieden und ertrug willig
die ſchweren Laſten dieſes proviſoriſchen Regimentes, das in anderthalb
Jahren dem ausgeſogenen Lande noch 6½ Mill. Franken an Kriegs-
ſteuern und Zwangsanlehen abfordern mußte.

Wie anders die Stimmungen und Zuſtände am linken Ufer. Als
die Verbündeten im December das Elſaß betraten, begegnete ihnen überall
ein finſterer fanatiſcher Haß; das tapfere Volk war völlig berauſcht von
dem Kriegsruhme der napoleoniſchen Adler, der Bauer glaubte jetzt noch
weit feſter als in den neunziger Jahren, daß der Sieg der Coalition ihm
den Jammer der Zehnten und der Herrendienſte wiederbringen werde.
Weiter abwärts am Rheine zeigte ſich zwar ſolche offene Feindſeligkeit
nur ſelten; jedoch nach zwei Jahrzehnten der Fremdherrſchaft baute alle
Welt auf Frankreichs Unüberwindlichkeit. Wenige hielten den Untergang
des napoleoniſchen Reiches ſchon für entſchieden, Niemand wünſchte die
alten Zuſtände zurück. Die unter dem Schutze des Continentalſyſtems
emporgekommene Induſtrie fürchtete den reichen franzöſiſchen Markt zu
verlieren; die Frauen der höheren Stände, die ja ſelbſt im Innern
Deutſchlands ſich nur zu oft ſchwach gezeigt hatten gegen die wälſche
Liebenswürdigkeit, verhehlten hier ſelten ihre Vorliebe für die leichte An-
muth der franzöſiſchen Sitten. Die Maſſen des Volkes waren des fremden
Weſens müde; man bereitete da und dort den deutſchen Truppen feſt-
lichen Empfang, ließ ſich die Aufhebung der verwünſchten droits réunis
und den wieder eröffneten Verkehr mit den überrheiniſchen Landsleuten
wohl gefallen, half auch wohl ſelber beim Niederreißen der verhaßten
Zollhäuſer.

In jenen Kreiſen der gebildeten Jugend, die von dem Hauche der
neuen chriſtlich-germaniſchen Romantik berührt waren, herrſchte fröh-
liche Begeiſterung; freudeſtrahlend zog der junge Ferdinand Walter mit
den Doniſchen Koſaken ins Feld, auch einzelne ältere Männer ſchloſſen
ſich freiwillig den preußiſchen Bataillonen an. Doch von einer allgemeinen
Volkserhebung war nicht die Rede. Die Sieger ſelbſt wagten kaum, dieſe
grunddeutſchen Menſchen ſchlechtweg als Deutſche zu behandeln. Der
Courrier d’Aix la Chapelle ſchrieb noch faſt ein Jahr lang franzöſiſch,
das Journal du Bas Rhin et du Rhin Moyen brachte ſeine amtlichen
Bekanntmachungen in beiden Sprachen. Der neue Generalgouverneur,
Oberpräſident Sack, ſelber ein geborener Rheinländer, verſtand mit den
Leuten umzugehen; war er doch wie ſie ein abgeſagter Feind aller ſtän-
diſchen Vorrechte und dem brandenburgiſchen Adel ſeit Jahren verdächtig.
So weit es anging ſuchte er das Volk ſelber zu den Verwaltungsgeſchäften

*) Gruners Bericht über die Verwaltung des General-Gouvernements Berg,
24. Januar 1814.
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[511/0527] Das linke Rheinufer. die Unterpräfecten hießen, nach deutſcher Weiſe größere Selbſtändigkeit ge- währt wurde *). Im Ganzen war das Volk zufrieden und ertrug willig die ſchweren Laſten dieſes proviſoriſchen Regimentes, das in anderthalb Jahren dem ausgeſogenen Lande noch 6½ Mill. Franken an Kriegs- ſteuern und Zwangsanlehen abfordern mußte. Wie anders die Stimmungen und Zuſtände am linken Ufer. Als die Verbündeten im December das Elſaß betraten, begegnete ihnen überall ein finſterer fanatiſcher Haß; das tapfere Volk war völlig berauſcht von dem Kriegsruhme der napoleoniſchen Adler, der Bauer glaubte jetzt noch weit feſter als in den neunziger Jahren, daß der Sieg der Coalition ihm den Jammer der Zehnten und der Herrendienſte wiederbringen werde. Weiter abwärts am Rheine zeigte ſich zwar ſolche offene Feindſeligkeit nur ſelten; jedoch nach zwei Jahrzehnten der Fremdherrſchaft baute alle Welt auf Frankreichs Unüberwindlichkeit. Wenige hielten den Untergang des napoleoniſchen Reiches ſchon für entſchieden, Niemand wünſchte die alten Zuſtände zurück. Die unter dem Schutze des Continentalſyſtems emporgekommene Induſtrie fürchtete den reichen franzöſiſchen Markt zu verlieren; die Frauen der höheren Stände, die ja ſelbſt im Innern Deutſchlands ſich nur zu oft ſchwach gezeigt hatten gegen die wälſche Liebenswürdigkeit, verhehlten hier ſelten ihre Vorliebe für die leichte An- muth der franzöſiſchen Sitten. Die Maſſen des Volkes waren des fremden Weſens müde; man bereitete da und dort den deutſchen Truppen feſt- lichen Empfang, ließ ſich die Aufhebung der verwünſchten droits réunis und den wieder eröffneten Verkehr mit den überrheiniſchen Landsleuten wohl gefallen, half auch wohl ſelber beim Niederreißen der verhaßten Zollhäuſer. In jenen Kreiſen der gebildeten Jugend, die von dem Hauche der neuen chriſtlich-germaniſchen Romantik berührt waren, herrſchte fröh- liche Begeiſterung; freudeſtrahlend zog der junge Ferdinand Walter mit den Doniſchen Koſaken ins Feld, auch einzelne ältere Männer ſchloſſen ſich freiwillig den preußiſchen Bataillonen an. Doch von einer allgemeinen Volkserhebung war nicht die Rede. Die Sieger ſelbſt wagten kaum, dieſe grunddeutſchen Menſchen ſchlechtweg als Deutſche zu behandeln. Der Courrier d’Aix la Chapelle ſchrieb noch faſt ein Jahr lang franzöſiſch, das Journal du Bas Rhin et du Rhin Moyen brachte ſeine amtlichen Bekanntmachungen in beiden Sprachen. Der neue Generalgouverneur, Oberpräſident Sack, ſelber ein geborener Rheinländer, verſtand mit den Leuten umzugehen; war er doch wie ſie ein abgeſagter Feind aller ſtän- diſchen Vorrechte und dem brandenburgiſchen Adel ſeit Jahren verdächtig. So weit es anging ſuchte er das Volk ſelber zu den Verwaltungsgeſchäften *) Gruners Bericht über die Verwaltung des General-Gouvernements Berg, 24. Januar 1814.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 511. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/527>, abgerufen am 22.11.2024.