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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 4. Der Befreiungskrieg.
Heerzug hinweg, man hörte die Knochen der Todten unter den Hufen der
Rosse und den Rädern der Kanonen knarren. Vor der Front der Angreifer
lagen langhingestreckt die hohen Lehmmauern von Probsthaida, auf beiden
Seiten durch Geschütze gedeckt -- der Schlüssel des französischen Centrums.
Unter dem Kreuzfeuer der Batterien begann der Angriff, ein sechsmal
wiederholtes Stürmen über das offene Feld, doch zuletzt behauptete sich
Napoleons Garde in dem Dorfe, und auch Stötteritz nebenan blieb nach
wiederholtem Sturm und mörderischem Häuserkampfe in den Händen der
Franzosen; man sah nachher in den Gärten und Häusern die Leichen von
Russen und Franzosen, die einander gegenseitig das Bajonett durch den
Leib gerannt, angespießt auf dem Boden liegen. Unmittelbar unter den
Augen des Imperators ward auch heute den Verbündeten kein entscheiden-
der Erfolg, obgleich sie dicht an den Schlüsselpunkt seiner Stellung heran-
gelangten. Indessen rückte auf ihrem rechten Flügel das Nordheer in die
Schlachtlinie ein, füllte die Lücke, welche die böhmische Armee von der
schlesischen trennte, schloß den großen Schlachtenring, der die Franzosen
umfaßte. Es hatte der Mühe genug gekostet, bis Karl Johann, der am
17. endlich bei Breitenfeld auf der alten Stätte schwedischen Waffenruhmes
angelangt war, zur thätigen Theilnahme beredet wurde; um den Bedacht-
samen nur in den Kampf hineinzureißen hatte Blücher seiner eignen That-
kraft das schwerste Opfer zugemuthet, 30,000 Mann seines Heeres an die
Nordarmee abgetreten und damit selber auf den Ruhm eines neuen Sieges
verzichtet. Einmal entschlossen zeigte Bernadotte die Umsicht des bewährten
Feldherrn. Während Langerons Russen auf der äußersten Rechten der
Angriffslinie durch wiederholten Sturm den Feind aus Schönefeld zu
verdrängen suchten, traf die Hauptmasse der Nordarmee am Nachmittag
auf der Ostseite von Leipzig ein. Bülow führte das Vordertreffen und
schlug das Corps Reyniers aus Paunsdorf hinaus.

So stießen die alten Feinde von Großbeeren abermals auf einander,
doch wie war seitdem die Stimmung in den sächsischen Regimentern um-
geschlagen! Wunderbar lange hatte die ungeheure Macht des deutschen
Fahneneides die Truppen des Rheinbundes bei ihrer Soldatenpflicht fest-
gehalten; außer einigen vereinzelten Bataillonen waren bisher nur zwei
westphälische Reiterregimenter zu den Verbündeten übergegangen. Mit
dem Glücke schwand auch das Selbstgefühl der napoleonischen Lands-
knechte; sie begannen sich des Krieges gegen Deutschland zu schämen, sie
empfanden nach was ihr Landsmann Rückert ihnen zurief:

Ein Adler kann vielleicht noch Ruhm erfechten,
Doch sicher Ihr, sein Raubgefolg, Ihr Raben
Erfechtet Schmach bei kommenden Geschlechten!

Die Sachsen fühlten sich zudem in ihrer militärischen Ehre gekränkt durch
die Lügen der napoleonischen Bulletins; sie sahen mit Unmuth wie ihre
Heimath ausgeplündert, ihr König von Ort zu Ort hinter dem Protector

I. 4. Der Befreiungskrieg.
Heerzug hinweg, man hörte die Knochen der Todten unter den Hufen der
Roſſe und den Rädern der Kanonen knarren. Vor der Front der Angreifer
lagen langhingeſtreckt die hohen Lehmmauern von Probſthaida, auf beiden
Seiten durch Geſchütze gedeckt — der Schlüſſel des franzöſiſchen Centrums.
Unter dem Kreuzfeuer der Batterien begann der Angriff, ein ſechsmal
wiederholtes Stürmen über das offene Feld, doch zuletzt behauptete ſich
Napoleons Garde in dem Dorfe, und auch Stötteritz nebenan blieb nach
wiederholtem Sturm und mörderiſchem Häuſerkampfe in den Händen der
Franzoſen; man ſah nachher in den Gärten und Häuſern die Leichen von
Ruſſen und Franzoſen, die einander gegenſeitig das Bajonett durch den
Leib gerannt, angeſpießt auf dem Boden liegen. Unmittelbar unter den
Augen des Imperators ward auch heute den Verbündeten kein entſcheiden-
der Erfolg, obgleich ſie dicht an den Schlüſſelpunkt ſeiner Stellung heran-
gelangten. Indeſſen rückte auf ihrem rechten Flügel das Nordheer in die
Schlachtlinie ein, füllte die Lücke, welche die böhmiſche Armee von der
ſchleſiſchen trennte, ſchloß den großen Schlachtenring, der die Franzoſen
umfaßte. Es hatte der Mühe genug gekoſtet, bis Karl Johann, der am
17. endlich bei Breitenfeld auf der alten Stätte ſchwediſchen Waffenruhmes
angelangt war, zur thätigen Theilnahme beredet wurde; um den Bedacht-
ſamen nur in den Kampf hineinzureißen hatte Blücher ſeiner eignen That-
kraft das ſchwerſte Opfer zugemuthet, 30,000 Mann ſeines Heeres an die
Nordarmee abgetreten und damit ſelber auf den Ruhm eines neuen Sieges
verzichtet. Einmal entſchloſſen zeigte Bernadotte die Umſicht des bewährten
Feldherrn. Während Langerons Ruſſen auf der äußerſten Rechten der
Angriffslinie durch wiederholten Sturm den Feind aus Schönefeld zu
verdrängen ſuchten, traf die Hauptmaſſe der Nordarmee am Nachmittag
auf der Oſtſeite von Leipzig ein. Bülow führte das Vordertreffen und
ſchlug das Corps Reyniers aus Paunsdorf hinaus.

So ſtießen die alten Feinde von Großbeeren abermals auf einander,
doch wie war ſeitdem die Stimmung in den ſächſiſchen Regimentern um-
geſchlagen! Wunderbar lange hatte die ungeheure Macht des deutſchen
Fahneneides die Truppen des Rheinbundes bei ihrer Soldatenpflicht feſt-
gehalten; außer einigen vereinzelten Bataillonen waren bisher nur zwei
weſtphäliſche Reiterregimenter zu den Verbündeten übergegangen. Mit
dem Glücke ſchwand auch das Selbſtgefühl der napoleoniſchen Lands-
knechte; ſie begannen ſich des Krieges gegen Deutſchland zu ſchämen, ſie
empfanden nach was ihr Landsmann Rückert ihnen zurief:

Ein Adler kann vielleicht noch Ruhm erfechten,
Doch ſicher Ihr, ſein Raubgefolg, Ihr Raben
Erfechtet Schmach bei kommenden Geſchlechten!

Die Sachſen fühlten ſich zudem in ihrer militäriſchen Ehre gekränkt durch
die Lügen der napoleoniſchen Bulletins; ſie ſahen mit Unmuth wie ihre
Heimath ausgeplündert, ihr König von Ort zu Ort hinter dem Protector

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[502/0518] I. 4. Der Befreiungskrieg. Heerzug hinweg, man hörte die Knochen der Todten unter den Hufen der Roſſe und den Rädern der Kanonen knarren. Vor der Front der Angreifer lagen langhingeſtreckt die hohen Lehmmauern von Probſthaida, auf beiden Seiten durch Geſchütze gedeckt — der Schlüſſel des franzöſiſchen Centrums. Unter dem Kreuzfeuer der Batterien begann der Angriff, ein ſechsmal wiederholtes Stürmen über das offene Feld, doch zuletzt behauptete ſich Napoleons Garde in dem Dorfe, und auch Stötteritz nebenan blieb nach wiederholtem Sturm und mörderiſchem Häuſerkampfe in den Händen der Franzoſen; man ſah nachher in den Gärten und Häuſern die Leichen von Ruſſen und Franzoſen, die einander gegenſeitig das Bajonett durch den Leib gerannt, angeſpießt auf dem Boden liegen. Unmittelbar unter den Augen des Imperators ward auch heute den Verbündeten kein entſcheiden- der Erfolg, obgleich ſie dicht an den Schlüſſelpunkt ſeiner Stellung heran- gelangten. Indeſſen rückte auf ihrem rechten Flügel das Nordheer in die Schlachtlinie ein, füllte die Lücke, welche die böhmiſche Armee von der ſchleſiſchen trennte, ſchloß den großen Schlachtenring, der die Franzoſen umfaßte. Es hatte der Mühe genug gekoſtet, bis Karl Johann, der am 17. endlich bei Breitenfeld auf der alten Stätte ſchwediſchen Waffenruhmes angelangt war, zur thätigen Theilnahme beredet wurde; um den Bedacht- ſamen nur in den Kampf hineinzureißen hatte Blücher ſeiner eignen That- kraft das ſchwerſte Opfer zugemuthet, 30,000 Mann ſeines Heeres an die Nordarmee abgetreten und damit ſelber auf den Ruhm eines neuen Sieges verzichtet. Einmal entſchloſſen zeigte Bernadotte die Umſicht des bewährten Feldherrn. Während Langerons Ruſſen auf der äußerſten Rechten der Angriffslinie durch wiederholten Sturm den Feind aus Schönefeld zu verdrängen ſuchten, traf die Hauptmaſſe der Nordarmee am Nachmittag auf der Oſtſeite von Leipzig ein. Bülow führte das Vordertreffen und ſchlug das Corps Reyniers aus Paunsdorf hinaus. So ſtießen die alten Feinde von Großbeeren abermals auf einander, doch wie war ſeitdem die Stimmung in den ſächſiſchen Regimentern um- geſchlagen! Wunderbar lange hatte die ungeheure Macht des deutſchen Fahneneides die Truppen des Rheinbundes bei ihrer Soldatenpflicht feſt- gehalten; außer einigen vereinzelten Bataillonen waren bisher nur zwei weſtphäliſche Reiterregimenter zu den Verbündeten übergegangen. Mit dem Glücke ſchwand auch das Selbſtgefühl der napoleoniſchen Lands- knechte; ſie begannen ſich des Krieges gegen Deutſchland zu ſchämen, ſie empfanden nach was ihr Landsmann Rückert ihnen zurief: Ein Adler kann vielleicht noch Ruhm erfechten, Doch ſicher Ihr, ſein Raubgefolg, Ihr Raben Erfechtet Schmach bei kommenden Geſchlechten! Die Sachſen fühlten ſich zudem in ihrer militäriſchen Ehre gekränkt durch die Lügen der napoleoniſchen Bulletins; ſie ſahen mit Unmuth wie ihre Heimath ausgeplündert, ihr König von Ort zu Ort hinter dem Protector

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 502. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/518>, abgerufen am 23.11.2024.