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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Schlacht bei Wachau.
an seinen Vasallen König Friedrich August, der in Leipzig angstvoll der
Entscheidung harrt. "Noch dreht sich die Welt um uns" -- ruft er froh-
lockend seinem Daru zu. Ein letzter zerschmetternder Angriff der ge-
sammten Reiterei soll das Centrum durchbrechen. Noch einmal dröhnt die
Erde von dem Feuer der 300 Geschütze, dann rasen 9000 Reiter in ge-
schlossener Masse über das Blachfeld dahin, ein undurchdringliches Dickicht
von Rossen, Helmen, Lanzen und Schwertern. Da kommen die öster-
reichischen Reserven aus der Aue heran, und während die Reitermassen,
athemlos von dem tollen Ritt, allmählich zurückgedrängt werden, setzen
sich die Verbündeten nochmals in den verlorenen Dörfern fest und am
Abend behaupten sie fast wieder dieselbe Stellung wie am Morgen.
Schwarzenbergs Angriff war gescheitert, doch der Sieger hatte nicht ein-
mal den Besitz des Schlachtfeldes gewonnen.

Trat Napoleon jetzt den Rückzug an, so konnte er sein Heer in guter
Ordnung zum Rheine führen; denn die schlesische Armee, die einzige
Siegerin des ersten Schlachttags, stand von der Frankfurter Straße noch
weit entfernt und war überdies tief erschöpft von dem verlustreichen Kampfe.
Aber der Liebling des Glücks vermochte das Unglück nicht zu ertragen.
Nichts mehr von der gewohnten Kälte und Sicherheit der politischen Be-
rechnung; sein Hochmuth wollte sich den ganzen Ernst der Lage nicht ein-
gestehen, wollte nicht lassen von unmöglichen Hoffnungen. Der Impe-
rator that das Verderblichste was er wählen konnte, versuchte durch den
gefangenen Merveldt Unterhandlungen mit seinem Schwiegervater anzu-
knüpfen und gewährte also den Verbündeten die Frist ihre gesammten
Streitmassen heranzuziehen. Am 17. October ruhten die Waffen, nur
Blücher konnte sich die Lust des Kampfes nicht versagen, drängte die
Franzosen bis dicht an die Nordseite der Stadt zurück.

Am 18. früh hatte Napoleon seine Armee näher an Leipzig heran-
genommen, ihr Halbkreis war nur noch etwa eine Stunde von den Thoren
der Stadt entfernt. Gegen diese 160,000 Mann rückten 255,000 Ver-
bündete heran. Mehr als einen geordneten Rückzug konnte der Impe-
rator nicht mehr erkämpfen; er aber hoffte noch auf Sieg, wies den Ge-
danken an eine Niederlage gewaltsam von sich, versäumte Alles was den
schwierigen Rückmarsch über die Elster erleichtern konnte.

Die Natur der Dinge führte endlich den Ausgang herbei, welchen
Gneisenaus Scharfblick von vornherein als den einzig möglichen angesehen
hatte: die Entscheidung fiel auf dem rechten Flügel der Verbündeten. Na-
poleon übersah von der Höhe des Thonbergs, wie die Oesterreicher auf
dem linken Flügel der Alliirten abermals mit geringem Glück den Kampf
um die Dörfer an der Pleiße eröffneten, wie dann das Centrum der Ver-
bündeten über das Schlachtfeld von Wachau herankam. Es waren die
kampferprobten Schaaren Kleists und des Prinzen Eugen; über die un-
bestatteten Leichen der zwei Tage zuvor gefallenen Kameraden ging der

Schlacht bei Wachau.
an ſeinen Vaſallen König Friedrich Auguſt, der in Leipzig angſtvoll der
Entſcheidung harrt. „Noch dreht ſich die Welt um uns“ — ruft er froh-
lockend ſeinem Daru zu. Ein letzter zerſchmetternder Angriff der ge-
ſammten Reiterei ſoll das Centrum durchbrechen. Noch einmal dröhnt die
Erde von dem Feuer der 300 Geſchütze, dann raſen 9000 Reiter in ge-
ſchloſſener Maſſe über das Blachfeld dahin, ein undurchdringliches Dickicht
von Roſſen, Helmen, Lanzen und Schwertern. Da kommen die öſter-
reichiſchen Reſerven aus der Aue heran, und während die Reitermaſſen,
athemlos von dem tollen Ritt, allmählich zurückgedrängt werden, ſetzen
ſich die Verbündeten nochmals in den verlorenen Dörfern feſt und am
Abend behaupten ſie faſt wieder dieſelbe Stellung wie am Morgen.
Schwarzenbergs Angriff war geſcheitert, doch der Sieger hatte nicht ein-
mal den Beſitz des Schlachtfeldes gewonnen.

Trat Napoleon jetzt den Rückzug an, ſo konnte er ſein Heer in guter
Ordnung zum Rheine führen; denn die ſchleſiſche Armee, die einzige
Siegerin des erſten Schlachttags, ſtand von der Frankfurter Straße noch
weit entfernt und war überdies tief erſchöpft von dem verluſtreichen Kampfe.
Aber der Liebling des Glücks vermochte das Unglück nicht zu ertragen.
Nichts mehr von der gewohnten Kälte und Sicherheit der politiſchen Be-
rechnung; ſein Hochmuth wollte ſich den ganzen Ernſt der Lage nicht ein-
geſtehen, wollte nicht laſſen von unmöglichen Hoffnungen. Der Impe-
rator that das Verderblichſte was er wählen konnte, verſuchte durch den
gefangenen Merveldt Unterhandlungen mit ſeinem Schwiegervater anzu-
knüpfen und gewährte alſo den Verbündeten die Friſt ihre geſammten
Streitmaſſen heranzuziehen. Am 17. October ruhten die Waffen, nur
Blücher konnte ſich die Luſt des Kampfes nicht verſagen, drängte die
Franzoſen bis dicht an die Nordſeite der Stadt zurück.

Am 18. früh hatte Napoleon ſeine Armee näher an Leipzig heran-
genommen, ihr Halbkreis war nur noch etwa eine Stunde von den Thoren
der Stadt entfernt. Gegen dieſe 160,000 Mann rückten 255,000 Ver-
bündete heran. Mehr als einen geordneten Rückzug konnte der Impe-
rator nicht mehr erkämpfen; er aber hoffte noch auf Sieg, wies den Ge-
danken an eine Niederlage gewaltſam von ſich, verſäumte Alles was den
ſchwierigen Rückmarſch über die Elſter erleichtern konnte.

Die Natur der Dinge führte endlich den Ausgang herbei, welchen
Gneiſenaus Scharfblick von vornherein als den einzig möglichen angeſehen
hatte: die Entſcheidung fiel auf dem rechten Flügel der Verbündeten. Na-
poleon überſah von der Höhe des Thonbergs, wie die Oeſterreicher auf
dem linken Flügel der Alliirten abermals mit geringem Glück den Kampf
um die Dörfer an der Pleiße eröffneten, wie dann das Centrum der Ver-
bündeten über das Schlachtfeld von Wachau herankam. Es waren die
kampferprobten Schaaren Kleiſts und des Prinzen Eugen; über die un-
beſtatteten Leichen der zwei Tage zuvor gefallenen Kameraden ging der

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[501/0517] Schlacht bei Wachau. an ſeinen Vaſallen König Friedrich Auguſt, der in Leipzig angſtvoll der Entſcheidung harrt. „Noch dreht ſich die Welt um uns“ — ruft er froh- lockend ſeinem Daru zu. Ein letzter zerſchmetternder Angriff der ge- ſammten Reiterei ſoll das Centrum durchbrechen. Noch einmal dröhnt die Erde von dem Feuer der 300 Geſchütze, dann raſen 9000 Reiter in ge- ſchloſſener Maſſe über das Blachfeld dahin, ein undurchdringliches Dickicht von Roſſen, Helmen, Lanzen und Schwertern. Da kommen die öſter- reichiſchen Reſerven aus der Aue heran, und während die Reitermaſſen, athemlos von dem tollen Ritt, allmählich zurückgedrängt werden, ſetzen ſich die Verbündeten nochmals in den verlorenen Dörfern feſt und am Abend behaupten ſie faſt wieder dieſelbe Stellung wie am Morgen. Schwarzenbergs Angriff war geſcheitert, doch der Sieger hatte nicht ein- mal den Beſitz des Schlachtfeldes gewonnen. Trat Napoleon jetzt den Rückzug an, ſo konnte er ſein Heer in guter Ordnung zum Rheine führen; denn die ſchleſiſche Armee, die einzige Siegerin des erſten Schlachttags, ſtand von der Frankfurter Straße noch weit entfernt und war überdies tief erſchöpft von dem verluſtreichen Kampfe. Aber der Liebling des Glücks vermochte das Unglück nicht zu ertragen. Nichts mehr von der gewohnten Kälte und Sicherheit der politiſchen Be- rechnung; ſein Hochmuth wollte ſich den ganzen Ernſt der Lage nicht ein- geſtehen, wollte nicht laſſen von unmöglichen Hoffnungen. Der Impe- rator that das Verderblichſte was er wählen konnte, verſuchte durch den gefangenen Merveldt Unterhandlungen mit ſeinem Schwiegervater anzu- knüpfen und gewährte alſo den Verbündeten die Friſt ihre geſammten Streitmaſſen heranzuziehen. Am 17. October ruhten die Waffen, nur Blücher konnte ſich die Luſt des Kampfes nicht verſagen, drängte die Franzoſen bis dicht an die Nordſeite der Stadt zurück. Am 18. früh hatte Napoleon ſeine Armee näher an Leipzig heran- genommen, ihr Halbkreis war nur noch etwa eine Stunde von den Thoren der Stadt entfernt. Gegen dieſe 160,000 Mann rückten 255,000 Ver- bündete heran. Mehr als einen geordneten Rückzug konnte der Impe- rator nicht mehr erkämpfen; er aber hoffte noch auf Sieg, wies den Ge- danken an eine Niederlage gewaltſam von ſich, verſäumte Alles was den ſchwierigen Rückmarſch über die Elſter erleichtern konnte. Die Natur der Dinge führte endlich den Ausgang herbei, welchen Gneiſenaus Scharfblick von vornherein als den einzig möglichen angeſehen hatte: die Entſcheidung fiel auf dem rechten Flügel der Verbündeten. Na- poleon überſah von der Höhe des Thonbergs, wie die Oeſterreicher auf dem linken Flügel der Alliirten abermals mit geringem Glück den Kampf um die Dörfer an der Pleiße eröffneten, wie dann das Centrum der Ver- bündeten über das Schlachtfeld von Wachau herankam. Es waren die kampferprobten Schaaren Kleiſts und des Prinzen Eugen; über die un- beſtatteten Leichen der zwei Tage zuvor gefallenen Kameraden ging der

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 501. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/517>, abgerufen am 23.11.2024.