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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Schlacht von Möckern.
Oesterreicher, auf seinem äußersten linken Flügel zusammen und ließ sie
durch das unwegsame Buschland der Auen gegen Connewitz vorgehen, in
der sonderbaren Hoffnung, dort auf ganz unzugänglichem Boden Napoleons
rechten Flügel von der Stadt abzudrängen. Sein General Langenau
hatte diesen unseligen Anschlag eingegeben; der ehrgeizige Sachse, der
erst im Frühjahr zugleich mit dem Minister Senfft in österreichische
Dienste übergetreten war, brannte vor Begier sich in der Gnade seines
Kaisers fest zu setzen und wollte darum den Hauptschlag durch die Oester-
reicher allein ausführen, den Preußen, die er mit dem ganzen Ingrimm
des Particularisten haßte, eine untergeordnete Rolle zuweisen. Der klein-
liche Gedanke sollte sich grausam bestrafen.

Napoleon sammelte die Hauptmasse seiner Streitkräfte bei Wachau,
drei Stunden südöstlich der Stadt. Da er von dem Zauderer Bernadotte
nichts befürchtete und die schlesische Armee noch weitab im Nordwesten
bei Merseburg wähnte, so gab er dem Marschall Marmont, der im Nor-
den bei Möckern stand, den Befehl sich mit der Hauptarmee zu vereinigen
um die Niederlage des böhmischen Heeres vollständig zu machen. In
der That entsprach Karl Johann den Erwartungen des Imperators. Die
Nordarmee erschien am 16. gar nicht auf dem Schlachtfelde, dergestalt daß
die Alliirten nur eine geringfügige Ueberzahl, 192,000 gegen 177,000 Mann,
in das Gefecht führen konnten; eine weite Lücke blieb zwischen den beiden
Hälften der verbündeten Heere offen, die Kämpfe des ersten Tages zerfielen
in Wahrheit in zwei selbständige Schlachten, bei Möckern und bei Wachau.

Blücher dagegen kam nicht auf dem Umwege über Merseburg, son-
dern gradeswegs von Halle auf der Landstraße am Ostrande der Auen
heran und zwang Marmont durch sein unerwartetes Erscheinen, bei
Möckern stehen zu bleiben. Wie lieblich war den tapferen Schlesischen
das Leben eingegangen die letzten Tage über, als sie jubelnd in Halle
einzogen, von den Bürgern der endlich befreiten treuen Stadt auf den
Händen getragen, und dann bei Becherklang und vaterländischen Gesängen,
nach altem Burschenbrauche die Nacht verbrachten. Dem Rausche der
jugendlichen Lust folgte die ernste Arbeit, die blutigste des ganzen Krieges,
denn wieder fiel dem York'schen Corps die schwerste Aufgabe zu. Als
York am Morgen des 16. in Schkeuditz unter seinen Fenstern die Husaren
zum Aufsitzen blasen hörte, da hob er sein Glas und sprach den Kern-
spruch seines lieben Paul Gerhard: den Anfang, Mitt' und Ende, Herr
Gott, zum Besten wende! Wohl mochte er sich einer höheren Hand
empfehlen, denn unangreifbar wie bei Wartenburg schien wieder die Stel-
lung des Feindes. Marmont lehnte sich mit seiner linken Flanke bei
Möckern an den steilen Thalrand der Elster, hatte die Mauern des
Dorfes zur Vertheidigung eingerichtet, weiter rechts auf den flachen Höhen
eine Batterie von 80 Geschützen aufgefahren. Gegen diese kleine Festung
stürmten die Preußen heran auf der sanft ansteigenden baumlosen Ebene;

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Schlacht von Möckern.
Oeſterreicher, auf ſeinem äußerſten linken Flügel zuſammen und ließ ſie
durch das unwegſame Buſchland der Auen gegen Connewitz vorgehen, in
der ſonderbaren Hoffnung, dort auf ganz unzugänglichem Boden Napoleons
rechten Flügel von der Stadt abzudrängen. Sein General Langenau
hatte dieſen unſeligen Anſchlag eingegeben; der ehrgeizige Sachſe, der
erſt im Frühjahr zugleich mit dem Miniſter Senfft in öſterreichiſche
Dienſte übergetreten war, brannte vor Begier ſich in der Gnade ſeines
Kaiſers feſt zu ſetzen und wollte darum den Hauptſchlag durch die Oeſter-
reicher allein ausführen, den Preußen, die er mit dem ganzen Ingrimm
des Particulariſten haßte, eine untergeordnete Rolle zuweiſen. Der klein-
liche Gedanke ſollte ſich grauſam beſtrafen.

Napoleon ſammelte die Hauptmaſſe ſeiner Streitkräfte bei Wachau,
drei Stunden ſüdöſtlich der Stadt. Da er von dem Zauderer Bernadotte
nichts befürchtete und die ſchleſiſche Armee noch weitab im Nordweſten
bei Merſeburg wähnte, ſo gab er dem Marſchall Marmont, der im Nor-
den bei Möckern ſtand, den Befehl ſich mit der Hauptarmee zu vereinigen
um die Niederlage des böhmiſchen Heeres vollſtändig zu machen. In
der That entſprach Karl Johann den Erwartungen des Imperators. Die
Nordarmee erſchien am 16. gar nicht auf dem Schlachtfelde, dergeſtalt daß
die Alliirten nur eine geringfügige Ueberzahl, 192,000 gegen 177,000 Mann,
in das Gefecht führen konnten; eine weite Lücke blieb zwiſchen den beiden
Hälften der verbündeten Heere offen, die Kämpfe des erſten Tages zerfielen
in Wahrheit in zwei ſelbſtändige Schlachten, bei Möckern und bei Wachau.

Blücher dagegen kam nicht auf dem Umwege über Merſeburg, ſon-
dern gradeswegs von Halle auf der Landſtraße am Oſtrande der Auen
heran und zwang Marmont durch ſein unerwartetes Erſcheinen, bei
Möckern ſtehen zu bleiben. Wie lieblich war den tapferen Schleſiſchen
das Leben eingegangen die letzten Tage über, als ſie jubelnd in Halle
einzogen, von den Bürgern der endlich befreiten treuen Stadt auf den
Händen getragen, und dann bei Becherklang und vaterländiſchen Geſängen,
nach altem Burſchenbrauche die Nacht verbrachten. Dem Rauſche der
jugendlichen Luſt folgte die ernſte Arbeit, die blutigſte des ganzen Krieges,
denn wieder fiel dem York’ſchen Corps die ſchwerſte Aufgabe zu. Als
York am Morgen des 16. in Schkeuditz unter ſeinen Fenſtern die Huſaren
zum Aufſitzen blaſen hörte, da hob er ſein Glas und ſprach den Kern-
ſpruch ſeines lieben Paul Gerhard: den Anfang, Mitt’ und Ende, Herr
Gott, zum Beſten wende! Wohl mochte er ſich einer höheren Hand
empfehlen, denn unangreifbar wie bei Wartenburg ſchien wieder die Stel-
lung des Feindes. Marmont lehnte ſich mit ſeiner linken Flanke bei
Möckern an den ſteilen Thalrand der Elſter, hatte die Mauern des
Dorfes zur Vertheidigung eingerichtet, weiter rechts auf den flachen Höhen
eine Batterie von 80 Geſchützen aufgefahren. Gegen dieſe kleine Feſtung
ſtürmten die Preußen heran auf der ſanft anſteigenden baumloſen Ebene;

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[499/0515] Schlacht von Möckern. Oeſterreicher, auf ſeinem äußerſten linken Flügel zuſammen und ließ ſie durch das unwegſame Buſchland der Auen gegen Connewitz vorgehen, in der ſonderbaren Hoffnung, dort auf ganz unzugänglichem Boden Napoleons rechten Flügel von der Stadt abzudrängen. Sein General Langenau hatte dieſen unſeligen Anſchlag eingegeben; der ehrgeizige Sachſe, der erſt im Frühjahr zugleich mit dem Miniſter Senfft in öſterreichiſche Dienſte übergetreten war, brannte vor Begier ſich in der Gnade ſeines Kaiſers feſt zu ſetzen und wollte darum den Hauptſchlag durch die Oeſter- reicher allein ausführen, den Preußen, die er mit dem ganzen Ingrimm des Particulariſten haßte, eine untergeordnete Rolle zuweiſen. Der klein- liche Gedanke ſollte ſich grauſam beſtrafen. Napoleon ſammelte die Hauptmaſſe ſeiner Streitkräfte bei Wachau, drei Stunden ſüdöſtlich der Stadt. Da er von dem Zauderer Bernadotte nichts befürchtete und die ſchleſiſche Armee noch weitab im Nordweſten bei Merſeburg wähnte, ſo gab er dem Marſchall Marmont, der im Nor- den bei Möckern ſtand, den Befehl ſich mit der Hauptarmee zu vereinigen um die Niederlage des böhmiſchen Heeres vollſtändig zu machen. In der That entſprach Karl Johann den Erwartungen des Imperators. Die Nordarmee erſchien am 16. gar nicht auf dem Schlachtfelde, dergeſtalt daß die Alliirten nur eine geringfügige Ueberzahl, 192,000 gegen 177,000 Mann, in das Gefecht führen konnten; eine weite Lücke blieb zwiſchen den beiden Hälften der verbündeten Heere offen, die Kämpfe des erſten Tages zerfielen in Wahrheit in zwei ſelbſtändige Schlachten, bei Möckern und bei Wachau. Blücher dagegen kam nicht auf dem Umwege über Merſeburg, ſon- dern gradeswegs von Halle auf der Landſtraße am Oſtrande der Auen heran und zwang Marmont durch ſein unerwartetes Erſcheinen, bei Möckern ſtehen zu bleiben. Wie lieblich war den tapferen Schleſiſchen das Leben eingegangen die letzten Tage über, als ſie jubelnd in Halle einzogen, von den Bürgern der endlich befreiten treuen Stadt auf den Händen getragen, und dann bei Becherklang und vaterländiſchen Geſängen, nach altem Burſchenbrauche die Nacht verbrachten. Dem Rauſche der jugendlichen Luſt folgte die ernſte Arbeit, die blutigſte des ganzen Krieges, denn wieder fiel dem York’ſchen Corps die ſchwerſte Aufgabe zu. Als York am Morgen des 16. in Schkeuditz unter ſeinen Fenſtern die Huſaren zum Aufſitzen blaſen hörte, da hob er ſein Glas und ſprach den Kern- ſpruch ſeines lieben Paul Gerhard: den Anfang, Mitt’ und Ende, Herr Gott, zum Beſten wende! Wohl mochte er ſich einer höheren Hand empfehlen, denn unangreifbar wie bei Wartenburg ſchien wieder die Stel- lung des Feindes. Marmont lehnte ſich mit ſeiner linken Flanke bei Möckern an den ſteilen Thalrand der Elſter, hatte die Mauern des Dorfes zur Vertheidigung eingerichtet, weiter rechts auf den flachen Höhen eine Batterie von 80 Geſchützen aufgefahren. Gegen dieſe kleine Feſtung ſtürmten die Preußen heran auf der ſanft anſteigenden baumloſen Ebene; 32*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 499. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/515>, abgerufen am 21.05.2024.