den schlachtgewohnten Ebenen Obersachsens zusammen. Die große Zahl- woche kam heran, die Abrechnung für zwei Jahrzehnte des Unheils und der Zerstörung. Nach der Schlacht erzählte sich das Volk in der Pfalz, wie die acht Kaiser aus den Grüften des Speierer Domes sich erhoben hatten und Nächtens über den Rhein gefahren waren um bei Leipzig mitzukämpfen; nach vollbrachter Arbeit ruhten sie wieder still im Grabe. Die Verbündeten hatten für sich den dreifachen Vortheil der Ueberzahl an Mannschaft und Geschütz, des concentrischen Angriffs und einer siche- ren Flügelanlehnung. Napoleon stand im Halbkreise auf der Ebene östlich von Leipzig; hinter ihm lagen die Stadt und die Auen -- jene wild- reichen dichten Laubwälder, die sich meilenlang zwischen der Elster, der Pleiße und ihren zahlreichen sumpfigen Armen ausdehnen, ein für die Entfaltung großer Truppenmassen völlig unbrauchbares Wald- und Sumpfland, das die beiden Flügel der Verbündeten gegen jede Umgehung sicherte. Gelang der Angriff, so konnte der Imperator vielleicht versuchen irgendwo den eisernen Ring der alliirten Heere zu durchbrechen und sich ostwärts nach Torgau durchzuschlagen -- ein tollkühnes Wagniß, das bei einiger Wachsamkeit der Verbündeten sicher scheitern mußte. Sonst blieb ihm nur noch der Rückzug nach Westen offen, erst durch die enge Stadt, dann auf einer einzigen Brücke über die Elster, endlich auf dem hohen Damme der Frankfurter Landstraße quer durch die nassen Wiesen der Auen -- der denkbar ungünstigste Weg für ein geschlagenes Heer.
Am 15. war Rühle von Lilienstern mit einer Botschaft des schle- sischen Hauptquartiers bei dem Oberfeldherrn in Pegau angelangt. Gneisenau schlug vor, am ersten Schlachttage das Gefecht hinzuhalten, weil mindestens 80,000 Mann von der verbündeten Armee noch nicht zur Stelle waren. Sobald diese Verstärkungen eingetroffen, sollte der Angriff auf allen Stellen des Halbkreises mit entschiedener Uebermacht wieder aufgenommen und indessen durch ein in Napoleons Rücken entsendetes Corps dem Feinde die einzige Rückzugsstraße gesperrt werden; dann war nicht nur ein Sieg, sondern eine Vernichtungsschlacht, eine in aller Ge- schichte unerhörte Waffenstreckung möglich. Zu so hohen Flügen ver- mochte sich freilich Schwarzenberg nicht aufzuschwingen. Eine Zeit lang hoffte er sogar die Schlacht gänzlich zu vermeiden, schon durch das Er- scheinen der drei vereinigten Armeen den Imperator zum Rückzuge zu nöthigen. Auch als er sich endlich überzeugen mußte, daß ein Napoleon so leichten Kaufes nicht zu verdrängen sei, entwarf er einen überaus un- glücklichen Schlachtplan. Da die böhmische Armee vom Süden, die bei- den anderen Heere vom Norden herankamen, so mußte der Oberfeldherr -- das war die Meinung des schlesischen Hauptquartiers -- die Entschei- dung auf seiner rechten Flanke suchen, dort auf der Rechten sich mit der Nordarmee zu verbinden streben um die Umklammerung des Feindes zu vollenden. Statt dessen ballte er eine Masse von 35,000 Mann, lauter
I. 4. Der Befreiungskrieg.
den ſchlachtgewohnten Ebenen Oberſachſens zuſammen. Die große Zahl- woche kam heran, die Abrechnung für zwei Jahrzehnte des Unheils und der Zerſtörung. Nach der Schlacht erzählte ſich das Volk in der Pfalz, wie die acht Kaiſer aus den Grüften des Speierer Domes ſich erhoben hatten und Nächtens über den Rhein gefahren waren um bei Leipzig mitzukämpfen; nach vollbrachter Arbeit ruhten ſie wieder ſtill im Grabe. Die Verbündeten hatten für ſich den dreifachen Vortheil der Ueberzahl an Mannſchaft und Geſchütz, des concentriſchen Angriffs und einer ſiche- ren Flügelanlehnung. Napoleon ſtand im Halbkreiſe auf der Ebene öſtlich von Leipzig; hinter ihm lagen die Stadt und die Auen — jene wild- reichen dichten Laubwälder, die ſich meilenlang zwiſchen der Elſter, der Pleiße und ihren zahlreichen ſumpfigen Armen ausdehnen, ein für die Entfaltung großer Truppenmaſſen völlig unbrauchbares Wald- und Sumpfland, das die beiden Flügel der Verbündeten gegen jede Umgehung ſicherte. Gelang der Angriff, ſo konnte der Imperator vielleicht verſuchen irgendwo den eiſernen Ring der alliirten Heere zu durchbrechen und ſich oſtwärts nach Torgau durchzuſchlagen — ein tollkühnes Wagniß, das bei einiger Wachſamkeit der Verbündeten ſicher ſcheitern mußte. Sonſt blieb ihm nur noch der Rückzug nach Weſten offen, erſt durch die enge Stadt, dann auf einer einzigen Brücke über die Elſter, endlich auf dem hohen Damme der Frankfurter Landſtraße quer durch die naſſen Wieſen der Auen — der denkbar ungünſtigſte Weg für ein geſchlagenes Heer.
Am 15. war Rühle von Lilienſtern mit einer Botſchaft des ſchle- ſiſchen Hauptquartiers bei dem Oberfeldherrn in Pegau angelangt. Gneiſenau ſchlug vor, am erſten Schlachttage das Gefecht hinzuhalten, weil mindeſtens 80,000 Mann von der verbündeten Armee noch nicht zur Stelle waren. Sobald dieſe Verſtärkungen eingetroffen, ſollte der Angriff auf allen Stellen des Halbkreiſes mit entſchiedener Uebermacht wieder aufgenommen und indeſſen durch ein in Napoleons Rücken entſendetes Corps dem Feinde die einzige Rückzugsſtraße geſperrt werden; dann war nicht nur ein Sieg, ſondern eine Vernichtungsſchlacht, eine in aller Ge- ſchichte unerhörte Waffenſtreckung möglich. Zu ſo hohen Flügen ver- mochte ſich freilich Schwarzenberg nicht aufzuſchwingen. Eine Zeit lang hoffte er ſogar die Schlacht gänzlich zu vermeiden, ſchon durch das Er- ſcheinen der drei vereinigten Armeen den Imperator zum Rückzuge zu nöthigen. Auch als er ſich endlich überzeugen mußte, daß ein Napoleon ſo leichten Kaufes nicht zu verdrängen ſei, entwarf er einen überaus un- glücklichen Schlachtplan. Da die böhmiſche Armee vom Süden, die bei- den anderen Heere vom Norden herankamen, ſo mußte der Oberfeldherr — das war die Meinung des ſchleſiſchen Hauptquartiers — die Entſchei- dung auf ſeiner rechten Flanke ſuchen, dort auf der Rechten ſich mit der Nordarmee zu verbinden ſtreben um die Umklammerung des Feindes zu vollenden. Statt deſſen ballte er eine Maſſe von 35,000 Mann, lauter
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0514"n="498"/><fwplace="top"type="header"><hirendition="#aq">I.</hi> 4. Der Befreiungskrieg.</fw><lb/>
den ſchlachtgewohnten Ebenen Oberſachſens zuſammen. Die große Zahl-<lb/>
woche kam heran, die Abrechnung für zwei Jahrzehnte des Unheils und<lb/>
der Zerſtörung. Nach der Schlacht erzählte ſich das Volk in der Pfalz,<lb/>
wie die acht Kaiſer aus den Grüften des Speierer Domes ſich erhoben<lb/>
hatten und Nächtens über den Rhein gefahren waren um bei Leipzig<lb/>
mitzukämpfen; nach vollbrachter Arbeit ruhten ſie wieder ſtill im Grabe.<lb/>
Die Verbündeten hatten für ſich den dreifachen Vortheil der Ueberzahl<lb/>
an Mannſchaft und Geſchütz, des concentriſchen Angriffs und einer ſiche-<lb/>
ren Flügelanlehnung. Napoleon ſtand im Halbkreiſe auf der Ebene öſtlich<lb/>
von Leipzig; hinter ihm lagen die Stadt und die Auen — jene wild-<lb/>
reichen dichten Laubwälder, die ſich meilenlang zwiſchen der Elſter, der<lb/>
Pleiße und ihren zahlreichen ſumpfigen Armen ausdehnen, ein für<lb/>
die Entfaltung großer Truppenmaſſen völlig unbrauchbares Wald- und<lb/>
Sumpfland, das die beiden Flügel der Verbündeten gegen jede Umgehung<lb/>ſicherte. Gelang der Angriff, ſo konnte der Imperator vielleicht verſuchen<lb/>
irgendwo den eiſernen Ring der alliirten Heere zu durchbrechen und ſich<lb/>
oſtwärts nach Torgau durchzuſchlagen — ein tollkühnes Wagniß, das bei<lb/>
einiger Wachſamkeit der Verbündeten ſicher ſcheitern mußte. Sonſt blieb<lb/>
ihm nur noch der Rückzug nach Weſten offen, erſt durch die enge Stadt,<lb/>
dann auf einer einzigen Brücke über die Elſter, endlich auf dem hohen<lb/>
Damme der Frankfurter Landſtraße quer durch die naſſen Wieſen der<lb/>
Auen — der denkbar ungünſtigſte Weg für ein geſchlagenes Heer.</p><lb/><p>Am 15. war Rühle von Lilienſtern mit einer Botſchaft des ſchle-<lb/>ſiſchen Hauptquartiers bei dem Oberfeldherrn in Pegau angelangt.<lb/>
Gneiſenau ſchlug vor, am erſten Schlachttage das Gefecht hinzuhalten,<lb/>
weil mindeſtens 80,000 Mann von der verbündeten Armee noch nicht zur<lb/>
Stelle waren. Sobald dieſe Verſtärkungen eingetroffen, ſollte der Angriff<lb/>
auf allen Stellen des Halbkreiſes mit entſchiedener Uebermacht wieder<lb/>
aufgenommen und indeſſen durch ein in Napoleons Rücken entſendetes<lb/>
Corps dem Feinde die einzige Rückzugsſtraße geſperrt werden; dann war<lb/>
nicht nur ein Sieg, ſondern eine Vernichtungsſchlacht, eine in aller Ge-<lb/>ſchichte unerhörte Waffenſtreckung möglich. Zu ſo hohen Flügen ver-<lb/>
mochte ſich freilich Schwarzenberg nicht aufzuſchwingen. Eine Zeit lang<lb/>
hoffte er ſogar die Schlacht gänzlich zu vermeiden, ſchon durch das Er-<lb/>ſcheinen der drei vereinigten Armeen den Imperator zum Rückzuge zu<lb/>
nöthigen. Auch als er ſich endlich überzeugen mußte, daß ein Napoleon<lb/>ſo leichten Kaufes nicht zu verdrängen ſei, entwarf er einen überaus un-<lb/>
glücklichen Schlachtplan. Da die böhmiſche Armee vom Süden, die bei-<lb/>
den anderen Heere vom Norden herankamen, ſo mußte der Oberfeldherr<lb/>— das war die Meinung des ſchleſiſchen Hauptquartiers — die Entſchei-<lb/>
dung auf ſeiner rechten Flanke ſuchen, dort auf der Rechten ſich mit der<lb/>
Nordarmee zu verbinden ſtreben um die Umklammerung des Feindes zu<lb/>
vollenden. Statt deſſen ballte er eine Maſſe von 35,000 Mann, lauter<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[498/0514]
I. 4. Der Befreiungskrieg.
den ſchlachtgewohnten Ebenen Oberſachſens zuſammen. Die große Zahl-
woche kam heran, die Abrechnung für zwei Jahrzehnte des Unheils und
der Zerſtörung. Nach der Schlacht erzählte ſich das Volk in der Pfalz,
wie die acht Kaiſer aus den Grüften des Speierer Domes ſich erhoben
hatten und Nächtens über den Rhein gefahren waren um bei Leipzig
mitzukämpfen; nach vollbrachter Arbeit ruhten ſie wieder ſtill im Grabe.
Die Verbündeten hatten für ſich den dreifachen Vortheil der Ueberzahl
an Mannſchaft und Geſchütz, des concentriſchen Angriffs und einer ſiche-
ren Flügelanlehnung. Napoleon ſtand im Halbkreiſe auf der Ebene öſtlich
von Leipzig; hinter ihm lagen die Stadt und die Auen — jene wild-
reichen dichten Laubwälder, die ſich meilenlang zwiſchen der Elſter, der
Pleiße und ihren zahlreichen ſumpfigen Armen ausdehnen, ein für
die Entfaltung großer Truppenmaſſen völlig unbrauchbares Wald- und
Sumpfland, das die beiden Flügel der Verbündeten gegen jede Umgehung
ſicherte. Gelang der Angriff, ſo konnte der Imperator vielleicht verſuchen
irgendwo den eiſernen Ring der alliirten Heere zu durchbrechen und ſich
oſtwärts nach Torgau durchzuſchlagen — ein tollkühnes Wagniß, das bei
einiger Wachſamkeit der Verbündeten ſicher ſcheitern mußte. Sonſt blieb
ihm nur noch der Rückzug nach Weſten offen, erſt durch die enge Stadt,
dann auf einer einzigen Brücke über die Elſter, endlich auf dem hohen
Damme der Frankfurter Landſtraße quer durch die naſſen Wieſen der
Auen — der denkbar ungünſtigſte Weg für ein geſchlagenes Heer.
Am 15. war Rühle von Lilienſtern mit einer Botſchaft des ſchle-
ſiſchen Hauptquartiers bei dem Oberfeldherrn in Pegau angelangt.
Gneiſenau ſchlug vor, am erſten Schlachttage das Gefecht hinzuhalten,
weil mindeſtens 80,000 Mann von der verbündeten Armee noch nicht zur
Stelle waren. Sobald dieſe Verſtärkungen eingetroffen, ſollte der Angriff
auf allen Stellen des Halbkreiſes mit entſchiedener Uebermacht wieder
aufgenommen und indeſſen durch ein in Napoleons Rücken entſendetes
Corps dem Feinde die einzige Rückzugsſtraße geſperrt werden; dann war
nicht nur ein Sieg, ſondern eine Vernichtungsſchlacht, eine in aller Ge-
ſchichte unerhörte Waffenſtreckung möglich. Zu ſo hohen Flügen ver-
mochte ſich freilich Schwarzenberg nicht aufzuſchwingen. Eine Zeit lang
hoffte er ſogar die Schlacht gänzlich zu vermeiden, ſchon durch das Er-
ſcheinen der drei vereinigten Armeen den Imperator zum Rückzuge zu
nöthigen. Auch als er ſich endlich überzeugen mußte, daß ein Napoleon
ſo leichten Kaufes nicht zu verdrängen ſei, entwarf er einen überaus un-
glücklichen Schlachtplan. Da die böhmiſche Armee vom Süden, die bei-
den anderen Heere vom Norden herankamen, ſo mußte der Oberfeldherr
— das war die Meinung des ſchleſiſchen Hauptquartiers — die Entſchei-
dung auf ſeiner rechten Flanke ſuchen, dort auf der Rechten ſich mit der
Nordarmee zu verbinden ſtreben um die Umklammerung des Feindes zu
vollenden. Statt deſſen ballte er eine Maſſe von 35,000 Mann, lauter
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 498. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/514>, abgerufen am 23.07.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.