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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 4. Der Befreiungskrieg.
brauchbaren Institutionen des alten Reichs wieder aufleben. Daher Wie-
derherstellung der Mediatisirten von 1806 -- die Opfer des Reichsdepu-
tationshauptschlusses gab der Freiherr verloren -- und Verkleinerung der
Mittelstaaten, die zum Unheile des Reichs durch Frankreich vergrößert
wurden und dem Vaterlande weit gefährlicher sind als der ohnmächtige
Particularismus der Kleinen. Daher ferner Wiederaufrichtung des Kaiser-
thums für Oesterreich; dieser halbfremde Staat muß durch sein Interesse
an Deutschland gebunden werden, während in Preußen das deutsche
Blut sich von selbst freier und reiner erhält. Heerwesen und auswärtige
Politik gebühren dem Reiche, dergestalt daß ein von dem österreichischen ver-
schiedenes deutsches diplomatisches Corps gebildet wird; desgleichen Münze
und Zölle und die Reichsgerichte. Ein Reichstag in Regensburg, mit
drei Bänken wie vor Alters, jedoch seine Mitglieder sind nicht Gesandte,
sondern Repräsentanten; die Bank der Reichsstädte wird verstärkt durch
Abgeordnete der Landtage, die in allen deutschen Staaten einzuberufen
sind. Ein solcher Bund, meinte der Reichsritter, könne vielleicht dereinst
den Franzosen das Land zwischen Rhein und Schelde wieder entreißen;
auf die sofortige Befreiung des linken Rheinufers wagte selbst Stein in
jenem Augenblicke noch nicht zu hoffen.

Große, zukunftsreiche Gedanken waren in dieser Denkschrift nieder-
gelegt, so das zweifache Verlangen nach landständischen Rechten und einem
deutschen Parlamente, doch Alles gährte noch roh und unfertig durchein-
ander. Der eigentliche Kern der deutschen Frage blieb dem ersten Manne
der Nation noch völlig dunkel. In seiner hochherzigen Begeisterung für
die Größe der Ottonen und der Staufer wollte er den dreihundertjährigen
Jammer jener Fremdherrschaft wiederherstellen, die den Verfall der alten
Kaiserherrlichkeit herbeigeführt hatte. Wie Preußens norddeutsche Hege-
monie mit dem österreichischen Kaiserthum und dem Regensburger Reichs-
tage sich vertragen, ob auch Preußen zu Gunsten dieser Kaiserkrone auf
seine Militärhoheit und auf seine selbständige europäische Politik verzichten
sollte -- alle diese verhängnißvollen Machtfragen ließ der Reichsritter un-
erörtert.

Der Staatskanzler zeigte sich mit mehreren Grundgedanken der Denk-
schrift einverstanden. Gleich Stein hielt er die Mittelstaaten für Deutsch-
lands ärgste Feinde und dachte ihnen die schmählichen Erwerbungen der
letzten sieben Jahre wieder abzunehmen: der Besitzstand von 1805 sollte
wie für die Wiederherstellung der beiden Großmächte so auch für die
übrigen deutschen Staaten die Richtschnur bilden. Aber Hardenberg wollte
das also gewonnene Land nicht den Mediatisirten zurückgeben, sondern
zur Verstärkung von Oesterreich und Preußen verwenden. Wie Stein
war auch er überzeugt von der Nothwendigkeit des Dualismus, und so
ernsthaft, so uneigennützig verfolgte er diese alten Bartensteiner Pläne,
daß er die österreichischen Staatsmänner wiederholt und dringend bat die

I. 4. Der Befreiungskrieg.
brauchbaren Inſtitutionen des alten Reichs wieder aufleben. Daher Wie-
derherſtellung der Mediatiſirten von 1806 — die Opfer des Reichsdepu-
tationshauptſchluſſes gab der Freiherr verloren — und Verkleinerung der
Mittelſtaaten, die zum Unheile des Reichs durch Frankreich vergrößert
wurden und dem Vaterlande weit gefährlicher ſind als der ohnmächtige
Particularismus der Kleinen. Daher ferner Wiederaufrichtung des Kaiſer-
thums für Oeſterreich; dieſer halbfremde Staat muß durch ſein Intereſſe
an Deutſchland gebunden werden, während in Preußen das deutſche
Blut ſich von ſelbſt freier und reiner erhält. Heerweſen und auswärtige
Politik gebühren dem Reiche, dergeſtalt daß ein von dem öſterreichiſchen ver-
ſchiedenes deutſches diplomatiſches Corps gebildet wird; desgleichen Münze
und Zölle und die Reichsgerichte. Ein Reichstag in Regensburg, mit
drei Bänken wie vor Alters, jedoch ſeine Mitglieder ſind nicht Geſandte,
ſondern Repräſentanten; die Bank der Reichsſtädte wird verſtärkt durch
Abgeordnete der Landtage, die in allen deutſchen Staaten einzuberufen
ſind. Ein ſolcher Bund, meinte der Reichsritter, könne vielleicht dereinſt
den Franzoſen das Land zwiſchen Rhein und Schelde wieder entreißen;
auf die ſofortige Befreiung des linken Rheinufers wagte ſelbſt Stein in
jenem Augenblicke noch nicht zu hoffen.

Große, zukunftsreiche Gedanken waren in dieſer Denkſchrift nieder-
gelegt, ſo das zweifache Verlangen nach landſtändiſchen Rechten und einem
deutſchen Parlamente, doch Alles gährte noch roh und unfertig durchein-
ander. Der eigentliche Kern der deutſchen Frage blieb dem erſten Manne
der Nation noch völlig dunkel. In ſeiner hochherzigen Begeiſterung für
die Größe der Ottonen und der Staufer wollte er den dreihundertjährigen
Jammer jener Fremdherrſchaft wiederherſtellen, die den Verfall der alten
Kaiſerherrlichkeit herbeigeführt hatte. Wie Preußens norddeutſche Hege-
monie mit dem öſterreichiſchen Kaiſerthum und dem Regensburger Reichs-
tage ſich vertragen, ob auch Preußen zu Gunſten dieſer Kaiſerkrone auf
ſeine Militärhoheit und auf ſeine ſelbſtändige europäiſche Politik verzichten
ſollte — alle dieſe verhängnißvollen Machtfragen ließ der Reichsritter un-
erörtert.

Der Staatskanzler zeigte ſich mit mehreren Grundgedanken der Denk-
ſchrift einverſtanden. Gleich Stein hielt er die Mittelſtaaten für Deutſch-
lands ärgſte Feinde und dachte ihnen die ſchmählichen Erwerbungen der
letzten ſieben Jahre wieder abzunehmen: der Beſitzſtand von 1805 ſollte
wie für die Wiederherſtellung der beiden Großmächte ſo auch für die
übrigen deutſchen Staaten die Richtſchnur bilden. Aber Hardenberg wollte
das alſo gewonnene Land nicht den Mediatiſirten zurückgeben, ſondern
zur Verſtärkung von Oeſterreich und Preußen verwenden. Wie Stein
war auch er überzeugt von der Nothwendigkeit des Dualismus, und ſo
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[488/0504] I. 4. Der Befreiungskrieg. brauchbaren Inſtitutionen des alten Reichs wieder aufleben. Daher Wie- derherſtellung der Mediatiſirten von 1806 — die Opfer des Reichsdepu- tationshauptſchluſſes gab der Freiherr verloren — und Verkleinerung der Mittelſtaaten, die zum Unheile des Reichs durch Frankreich vergrößert wurden und dem Vaterlande weit gefährlicher ſind als der ohnmächtige Particularismus der Kleinen. Daher ferner Wiederaufrichtung des Kaiſer- thums für Oeſterreich; dieſer halbfremde Staat muß durch ſein Intereſſe an Deutſchland gebunden werden, während in Preußen das deutſche Blut ſich von ſelbſt freier und reiner erhält. Heerweſen und auswärtige Politik gebühren dem Reiche, dergeſtalt daß ein von dem öſterreichiſchen ver- ſchiedenes deutſches diplomatiſches Corps gebildet wird; desgleichen Münze und Zölle und die Reichsgerichte. Ein Reichstag in Regensburg, mit drei Bänken wie vor Alters, jedoch ſeine Mitglieder ſind nicht Geſandte, ſondern Repräſentanten; die Bank der Reichsſtädte wird verſtärkt durch Abgeordnete der Landtage, die in allen deutſchen Staaten einzuberufen ſind. Ein ſolcher Bund, meinte der Reichsritter, könne vielleicht dereinſt den Franzoſen das Land zwiſchen Rhein und Schelde wieder entreißen; auf die ſofortige Befreiung des linken Rheinufers wagte ſelbſt Stein in jenem Augenblicke noch nicht zu hoffen. Große, zukunftsreiche Gedanken waren in dieſer Denkſchrift nieder- gelegt, ſo das zweifache Verlangen nach landſtändiſchen Rechten und einem deutſchen Parlamente, doch Alles gährte noch roh und unfertig durchein- ander. Der eigentliche Kern der deutſchen Frage blieb dem erſten Manne der Nation noch völlig dunkel. In ſeiner hochherzigen Begeiſterung für die Größe der Ottonen und der Staufer wollte er den dreihundertjährigen Jammer jener Fremdherrſchaft wiederherſtellen, die den Verfall der alten Kaiſerherrlichkeit herbeigeführt hatte. Wie Preußens norddeutſche Hege- monie mit dem öſterreichiſchen Kaiſerthum und dem Regensburger Reichs- tage ſich vertragen, ob auch Preußen zu Gunſten dieſer Kaiſerkrone auf ſeine Militärhoheit und auf ſeine ſelbſtändige europäiſche Politik verzichten ſollte — alle dieſe verhängnißvollen Machtfragen ließ der Reichsritter un- erörtert. Der Staatskanzler zeigte ſich mit mehreren Grundgedanken der Denk- ſchrift einverſtanden. Gleich Stein hielt er die Mittelſtaaten für Deutſch- lands ärgſte Feinde und dachte ihnen die ſchmählichen Erwerbungen der letzten ſieben Jahre wieder abzunehmen: der Beſitzſtand von 1805 ſollte wie für die Wiederherſtellung der beiden Großmächte ſo auch für die übrigen deutſchen Staaten die Richtſchnur bilden. Aber Hardenberg wollte das alſo gewonnene Land nicht den Mediatiſirten zurückgeben, ſondern zur Verſtärkung von Oeſterreich und Preußen verwenden. Wie Stein war auch er überzeugt von der Nothwendigkeit des Dualismus, und ſo ernſthaft, ſo uneigennützig verfolgte er dieſe alten Bartenſteiner Pläne, daß er die öſterreichiſchen Staatsmänner wiederholt und dringend bat die

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 488. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/504>, abgerufen am 22.11.2024.