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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Der Teplitzer Vertrag.

Die bedenklichste Bestimmung des Teplitzer Vertrags lag in dem
ersten geheimen Artikel, welcher den zwischen Oesterreich, Preußen und dem
Rheine gelegenen Staaten "die volle und unbedingte Unabhängigkeit" zu-
sicherte. Damit war streng genommen jede Unterordnung der Rhein-
bundsfürsten unter eine nationale Centralgewalt, jede irgend ernsthafte
Gesammtstaatsverfassung für Deutschland unmöglich gemacht, und dahin
ging auch Metternichs geheime Absicht. Hardenberg hingegen verstand
unter jenen verhängnißvollen Worten nur die Aufhebung des napoleoni-
schen Protectorats und unterzeichnete unbedenklich, arglos auf Oesterreichs
patriotische Absichten vertrauend. Nicht im Mindesten war er gesonnen
den Rheinbundsfürsten die Souveränität zuzugestehen; vielmehr schien
ihm, und so auch den Freunden Stein und Humboldt, jetzt die rechte
Stunde gekommen um mit Oesterreich die Grundzüge einer starken Bun-
desverfassung zu vereinbaren.

Stein übergab den Monarchen eine Denkschrift, die er zu Prag in
den letzten Augusttagen entworfen hatte -- eines der beredtesten und
mächtigsten Werke seiner Feder. Mit feierlichen Worten hielt er seinen
erlauchten Lesern vor, Mit- und Nachwelt würden sie verdammen, wenn
sie jetzt nicht mit ganzem Ernst an die Neuordnung der deutschen Nation
heranträten. "Es ist von der höchsten irdischen Angelegenheit die Rede.
Fünfzehn Millionen gebildeter, sittlicher, durch ihre Anlagen und den
Grad der erreichten Entwicklung achtbarer Menschen, die durch Grenzen,
Sprache, Sitten und einen inneren unzerstörbaren Charakter der Natio-
nalität mit zwei anderen großen Staaten verschwistert sind!" Hierauf
schildert er in seinem markigen Lapidarstile, wie im alten Reiche, Dank
den Reichsgerichten und den Landständen, Jedermann doch seiner Person
und seines Eigenthums sicher gewesen sei, und knüpft daran eine furcht-
bare Anklage gegen den Rheinbund, der diese fünfzehn Millionen der
Willkür von sechsunddreißig kleinen Despoten preisgegeben habe. "Einer
Neuerungslust, einer tollen Aufgeblasenheit und einer grenzenlosen Ver-
schwendung und thierischen Wollust ist es gelungen jede Art des Glücks
den beklagenswerthen Bewohnern dieser einst blühenden Länder zu zer-
stören." Dauere diese Zerstückelung fort, so werde der Deutsche fort-
schreitend schlechter, kriechender, unedler werden, die Entfremdung der
verschiedenen Länder drohe mit jedem Jahre zu wachsen, der Einfluß
Frankreichs sich immer fester einzunisten. Darum muß mit dem Rhein-
bunde auch "die Despotie der sechsunddreißig Häuptlinge" verschwinden.
Dann kommt er auf seine Petersburger Pläne zurück und verlangt, da die
vollständige Einheit der alten großen Kaiserzeiten unmöglich sei, die Bil-
dung zweier großen Bundesstaaten, also daß Preußen, durch Sachsen,
Mecklenburg und Holstein bis auf elf Millionen Einwohner verstärkt, den
Norden, Oesterreich mit einem deutschen Besitze von zehn Millionen den
Süden beherrsche. In diesem dualistischen Gemeinwesen sollen alle noch

Der Teplitzer Vertrag.

Die bedenklichſte Beſtimmung des Teplitzer Vertrags lag in dem
erſten geheimen Artikel, welcher den zwiſchen Oeſterreich, Preußen und dem
Rheine gelegenen Staaten „die volle und unbedingte Unabhängigkeit“ zu-
ſicherte. Damit war ſtreng genommen jede Unterordnung der Rhein-
bundsfürſten unter eine nationale Centralgewalt, jede irgend ernſthafte
Geſammtſtaatsverfaſſung für Deutſchland unmöglich gemacht, und dahin
ging auch Metternichs geheime Abſicht. Hardenberg hingegen verſtand
unter jenen verhängnißvollen Worten nur die Aufhebung des napoleoni-
ſchen Protectorats und unterzeichnete unbedenklich, arglos auf Oeſterreichs
patriotiſche Abſichten vertrauend. Nicht im Mindeſten war er geſonnen
den Rheinbundsfürſten die Souveränität zuzugeſtehen; vielmehr ſchien
ihm, und ſo auch den Freunden Stein und Humboldt, jetzt die rechte
Stunde gekommen um mit Oeſterreich die Grundzüge einer ſtarken Bun-
desverfaſſung zu vereinbaren.

Stein übergab den Monarchen eine Denkſchrift, die er zu Prag in
den letzten Auguſttagen entworfen hatte — eines der beredteſten und
mächtigſten Werke ſeiner Feder. Mit feierlichen Worten hielt er ſeinen
erlauchten Leſern vor, Mit- und Nachwelt würden ſie verdammen, wenn
ſie jetzt nicht mit ganzem Ernſt an die Neuordnung der deutſchen Nation
heranträten. „Es iſt von der höchſten irdiſchen Angelegenheit die Rede.
Fünfzehn Millionen gebildeter, ſittlicher, durch ihre Anlagen und den
Grad der erreichten Entwicklung achtbarer Menſchen, die durch Grenzen,
Sprache, Sitten und einen inneren unzerſtörbaren Charakter der Natio-
nalität mit zwei anderen großen Staaten verſchwiſtert ſind!“ Hierauf
ſchildert er in ſeinem markigen Lapidarſtile, wie im alten Reiche, Dank
den Reichsgerichten und den Landſtänden, Jedermann doch ſeiner Perſon
und ſeines Eigenthums ſicher geweſen ſei, und knüpft daran eine furcht-
bare Anklage gegen den Rheinbund, der dieſe fünfzehn Millionen der
Willkür von ſechsunddreißig kleinen Despoten preisgegeben habe. „Einer
Neuerungsluſt, einer tollen Aufgeblaſenheit und einer grenzenloſen Ver-
ſchwendung und thieriſchen Wolluſt iſt es gelungen jede Art des Glücks
den beklagenswerthen Bewohnern dieſer einſt blühenden Länder zu zer-
ſtören.“ Dauere dieſe Zerſtückelung fort, ſo werde der Deutſche fort-
ſchreitend ſchlechter, kriechender, unedler werden, die Entfremdung der
verſchiedenen Länder drohe mit jedem Jahre zu wachſen, der Einfluß
Frankreichs ſich immer feſter einzuniſten. Darum muß mit dem Rhein-
bunde auch „die Despotie der ſechsunddreißig Häuptlinge“ verſchwinden.
Dann kommt er auf ſeine Petersburger Pläne zurück und verlangt, da die
vollſtändige Einheit der alten großen Kaiſerzeiten unmöglich ſei, die Bil-
dung zweier großen Bundesſtaaten, alſo daß Preußen, durch Sachſen,
Mecklenburg und Holſtein bis auf elf Millionen Einwohner verſtärkt, den
Norden, Oeſterreich mit einem deutſchen Beſitze von zehn Millionen den
Süden beherrſche. In dieſem dualiſtiſchen Gemeinweſen ſollen alle noch

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[487/0503] Der Teplitzer Vertrag. Die bedenklichſte Beſtimmung des Teplitzer Vertrags lag in dem erſten geheimen Artikel, welcher den zwiſchen Oeſterreich, Preußen und dem Rheine gelegenen Staaten „die volle und unbedingte Unabhängigkeit“ zu- ſicherte. Damit war ſtreng genommen jede Unterordnung der Rhein- bundsfürſten unter eine nationale Centralgewalt, jede irgend ernſthafte Geſammtſtaatsverfaſſung für Deutſchland unmöglich gemacht, und dahin ging auch Metternichs geheime Abſicht. Hardenberg hingegen verſtand unter jenen verhängnißvollen Worten nur die Aufhebung des napoleoni- ſchen Protectorats und unterzeichnete unbedenklich, arglos auf Oeſterreichs patriotiſche Abſichten vertrauend. Nicht im Mindeſten war er geſonnen den Rheinbundsfürſten die Souveränität zuzugeſtehen; vielmehr ſchien ihm, und ſo auch den Freunden Stein und Humboldt, jetzt die rechte Stunde gekommen um mit Oeſterreich die Grundzüge einer ſtarken Bun- desverfaſſung zu vereinbaren. Stein übergab den Monarchen eine Denkſchrift, die er zu Prag in den letzten Auguſttagen entworfen hatte — eines der beredteſten und mächtigſten Werke ſeiner Feder. Mit feierlichen Worten hielt er ſeinen erlauchten Leſern vor, Mit- und Nachwelt würden ſie verdammen, wenn ſie jetzt nicht mit ganzem Ernſt an die Neuordnung der deutſchen Nation heranträten. „Es iſt von der höchſten irdiſchen Angelegenheit die Rede. Fünfzehn Millionen gebildeter, ſittlicher, durch ihre Anlagen und den Grad der erreichten Entwicklung achtbarer Menſchen, die durch Grenzen, Sprache, Sitten und einen inneren unzerſtörbaren Charakter der Natio- nalität mit zwei anderen großen Staaten verſchwiſtert ſind!“ Hierauf ſchildert er in ſeinem markigen Lapidarſtile, wie im alten Reiche, Dank den Reichsgerichten und den Landſtänden, Jedermann doch ſeiner Perſon und ſeines Eigenthums ſicher geweſen ſei, und knüpft daran eine furcht- bare Anklage gegen den Rheinbund, der dieſe fünfzehn Millionen der Willkür von ſechsunddreißig kleinen Despoten preisgegeben habe. „Einer Neuerungsluſt, einer tollen Aufgeblaſenheit und einer grenzenloſen Ver- ſchwendung und thieriſchen Wolluſt iſt es gelungen jede Art des Glücks den beklagenswerthen Bewohnern dieſer einſt blühenden Länder zu zer- ſtören.“ Dauere dieſe Zerſtückelung fort, ſo werde der Deutſche fort- ſchreitend ſchlechter, kriechender, unedler werden, die Entfremdung der verſchiedenen Länder drohe mit jedem Jahre zu wachſen, der Einfluß Frankreichs ſich immer feſter einzuniſten. Darum muß mit dem Rhein- bunde auch „die Despotie der ſechsunddreißig Häuptlinge“ verſchwinden. Dann kommt er auf ſeine Petersburger Pläne zurück und verlangt, da die vollſtändige Einheit der alten großen Kaiſerzeiten unmöglich ſei, die Bil- dung zweier großen Bundesſtaaten, alſo daß Preußen, durch Sachſen, Mecklenburg und Holſtein bis auf elf Millionen Einwohner verſtärkt, den Norden, Oeſterreich mit einem deutſchen Beſitze von zehn Millionen den Süden beherrſche. In dieſem dualiſtiſchen Gemeinweſen ſollen alle noch

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 487. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/503>, abgerufen am 22.11.2024.