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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Steins und Hardenbergs deutsche Pläne.
vorderösterreichischen Lande am Oberrhein wieder mit dem Kaiserstaate zu
vereinigen; nur so werde Oesterreich in Wahrheit der Herr von Süd-
deutschland und durch sein eigenes Interesse genöthigt jeden Uebergriff
Frankreichs zurückzuweisen. Die Sicherung des deutschen Bodens gegen
neue Gewaltthaten des westlichen Nachbars blieb in Hardenbergs Augen
der wichtigste Zweck des künftigen deutschen Bundes. Dagegen verwarf
er entschieden die Wiederherstellung des Kaiserthums; in diesem Gedanken
fanden sich Humboldt und, außer Stein, alle preußischen Staatsmänner
mit dem Staatskanzler zusammen. So stark war das Selbstgefühl der
norddeutschen Macht doch angewachsen, daß sie eine förmliche Unterord-
nung nicht mehr ertragen konnte; nur in voller Gleichberechtigung durften
die beiden Großmächte an die Spitze der kleinen Staaten treten. Unter
den norddeutschen Patrioten vernahm man sogar seit den Siegen der
jüngsten Wochen immer häufiger die Frage: warum denn dies Preußen,
das die Waffen Deutschlands führe, nicht selber an Oesterreichs Stelle
die Herrschaft im Reiche übernehmen solle?

Wenn Metternichs Angst vor den norddeutschen Jacobinern überhaupt
noch wachsen konnte, so mußte sie durch diese Denkschrift gesteigert werden.
In jedem Satze fand er das genaue Gegentheil seiner eigenen Meinung.
Was war entsetzlicher: Steins schonungslose Sprache gegen den Rheinbund
oder das Verlangen nach der Einverleibung Sachsens oder die Forderung
eines deutschen Parlaments? Der furchtsame Gentz, der alle die schönen
Erinnerungen seiner kräftigen Jahre längst über Bord geworfen hatte,
klagte bereits beweglich: dieser Befreiungskrieg beginne einem Freiheits-
kriege ähnlich zu sehen, drohe mit einer Revolution zu enden, statt mit
einer Restauration! Das Angebot der kaiserlichen Würde reizte den öster-
reichischen Staatsmann jetzt so wenig wie im Frühjahr. Auch England,
Rußland, Schweden hatten ihm in den jüngsten Wochen wiederholt von
der Erneuerung des Kaiserthums gesprochen. Der conservative Zug ward
an den Höfen immer stärker, seit das revolutionäre Weltreich ins Sinken
kam; unwillkürlich regte sich überall der Wunsch nach einfacher Wieder-
herstellung der alten Zustände. Der Oesterreicher aber blieb bei seiner
Weigerung: nimmermehr sollte sich das Haus Lothringen mit dem leeren
Prunke einer Krone belasten, welche ihm jetzt nur noch den Haß Frank-
reichs und der Mittelstaaten zuziehen konnte.

Eben diese französischen Vasallen, denen alle Preußen Verachtung und
Groll entgegentrugen, wollte Metternich um jeden Preis schonen. Er
gedachte die deutsche Politik Napoleons mit ihren eigenen Waffen zu
schlagen, spielte den Gönner der rheinbündischen Höfe, erklärte sich bereit
im Nothfalle sogar einige der kleinsten Fürsten zum Besten dieser Könige
zu mediatisiren. Da er den Haß der Mittelstaaten gegen jede starke
Bundesgewalt kannte, so durfte die deutsche Frage nur im freien Ein-
verständniß mit den Rheinbundsfürsten entschieden werden. Die ver-

Steins und Hardenbergs deutſche Pläne.
vorderöſterreichiſchen Lande am Oberrhein wieder mit dem Kaiſerſtaate zu
vereinigen; nur ſo werde Oeſterreich in Wahrheit der Herr von Süd-
deutſchland und durch ſein eigenes Intereſſe genöthigt jeden Uebergriff
Frankreichs zurückzuweiſen. Die Sicherung des deutſchen Bodens gegen
neue Gewaltthaten des weſtlichen Nachbars blieb in Hardenbergs Augen
der wichtigſte Zweck des künftigen deutſchen Bundes. Dagegen verwarf
er entſchieden die Wiederherſtellung des Kaiſerthums; in dieſem Gedanken
fanden ſich Humboldt und, außer Stein, alle preußiſchen Staatsmänner
mit dem Staatskanzler zuſammen. So ſtark war das Selbſtgefühl der
norddeutſchen Macht doch angewachſen, daß ſie eine förmliche Unterord-
nung nicht mehr ertragen konnte; nur in voller Gleichberechtigung durften
die beiden Großmächte an die Spitze der kleinen Staaten treten. Unter
den norddeutſchen Patrioten vernahm man ſogar ſeit den Siegen der
jüngſten Wochen immer häufiger die Frage: warum denn dies Preußen,
das die Waffen Deutſchlands führe, nicht ſelber an Oeſterreichs Stelle
die Herrſchaft im Reiche übernehmen ſolle?

Wenn Metternichs Angſt vor den norddeutſchen Jacobinern überhaupt
noch wachſen konnte, ſo mußte ſie durch dieſe Denkſchrift geſteigert werden.
In jedem Satze fand er das genaue Gegentheil ſeiner eigenen Meinung.
Was war entſetzlicher: Steins ſchonungsloſe Sprache gegen den Rheinbund
oder das Verlangen nach der Einverleibung Sachſens oder die Forderung
eines deutſchen Parlaments? Der furchtſame Gentz, der alle die ſchönen
Erinnerungen ſeiner kräftigen Jahre längſt über Bord geworfen hatte,
klagte bereits beweglich: dieſer Befreiungskrieg beginne einem Freiheits-
kriege ähnlich zu ſehen, drohe mit einer Revolution zu enden, ſtatt mit
einer Reſtauration! Das Angebot der kaiſerlichen Würde reizte den öſter-
reichiſchen Staatsmann jetzt ſo wenig wie im Frühjahr. Auch England,
Rußland, Schweden hatten ihm in den jüngſten Wochen wiederholt von
der Erneuerung des Kaiſerthums geſprochen. Der conſervative Zug ward
an den Höfen immer ſtärker, ſeit das revolutionäre Weltreich ins Sinken
kam; unwillkürlich regte ſich überall der Wunſch nach einfacher Wieder-
herſtellung der alten Zuſtände. Der Oeſterreicher aber blieb bei ſeiner
Weigerung: nimmermehr ſollte ſich das Haus Lothringen mit dem leeren
Prunke einer Krone belaſten, welche ihm jetzt nur noch den Haß Frank-
reichs und der Mittelſtaaten zuziehen konnte.

Eben dieſe franzöſiſchen Vaſallen, denen alle Preußen Verachtung und
Groll entgegentrugen, wollte Metternich um jeden Preis ſchonen. Er
gedachte die deutſche Politik Napoleons mit ihren eigenen Waffen zu
ſchlagen, ſpielte den Gönner der rheinbündiſchen Höfe, erklärte ſich bereit
im Nothfalle ſogar einige der kleinſten Fürſten zum Beſten dieſer Könige
zu mediatiſiren. Da er den Haß der Mittelſtaaten gegen jede ſtarke
Bundesgewalt kannte, ſo durfte die deutſche Frage nur im freien Ein-
verſtändniß mit den Rheinbundsfürſten entſchieden werden. Die ver-

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[489/0505] Steins und Hardenbergs deutſche Pläne. vorderöſterreichiſchen Lande am Oberrhein wieder mit dem Kaiſerſtaate zu vereinigen; nur ſo werde Oeſterreich in Wahrheit der Herr von Süd- deutſchland und durch ſein eigenes Intereſſe genöthigt jeden Uebergriff Frankreichs zurückzuweiſen. Die Sicherung des deutſchen Bodens gegen neue Gewaltthaten des weſtlichen Nachbars blieb in Hardenbergs Augen der wichtigſte Zweck des künftigen deutſchen Bundes. Dagegen verwarf er entſchieden die Wiederherſtellung des Kaiſerthums; in dieſem Gedanken fanden ſich Humboldt und, außer Stein, alle preußiſchen Staatsmänner mit dem Staatskanzler zuſammen. So ſtark war das Selbſtgefühl der norddeutſchen Macht doch angewachſen, daß ſie eine förmliche Unterord- nung nicht mehr ertragen konnte; nur in voller Gleichberechtigung durften die beiden Großmächte an die Spitze der kleinen Staaten treten. Unter den norddeutſchen Patrioten vernahm man ſogar ſeit den Siegen der jüngſten Wochen immer häufiger die Frage: warum denn dies Preußen, das die Waffen Deutſchlands führe, nicht ſelber an Oeſterreichs Stelle die Herrſchaft im Reiche übernehmen ſolle? Wenn Metternichs Angſt vor den norddeutſchen Jacobinern überhaupt noch wachſen konnte, ſo mußte ſie durch dieſe Denkſchrift geſteigert werden. In jedem Satze fand er das genaue Gegentheil ſeiner eigenen Meinung. Was war entſetzlicher: Steins ſchonungsloſe Sprache gegen den Rheinbund oder das Verlangen nach der Einverleibung Sachſens oder die Forderung eines deutſchen Parlaments? Der furchtſame Gentz, der alle die ſchönen Erinnerungen ſeiner kräftigen Jahre längſt über Bord geworfen hatte, klagte bereits beweglich: dieſer Befreiungskrieg beginne einem Freiheits- kriege ähnlich zu ſehen, drohe mit einer Revolution zu enden, ſtatt mit einer Reſtauration! Das Angebot der kaiſerlichen Würde reizte den öſter- reichiſchen Staatsmann jetzt ſo wenig wie im Frühjahr. Auch England, Rußland, Schweden hatten ihm in den jüngſten Wochen wiederholt von der Erneuerung des Kaiſerthums geſprochen. Der conſervative Zug ward an den Höfen immer ſtärker, ſeit das revolutionäre Weltreich ins Sinken kam; unwillkürlich regte ſich überall der Wunſch nach einfacher Wieder- herſtellung der alten Zuſtände. Der Oeſterreicher aber blieb bei ſeiner Weigerung: nimmermehr ſollte ſich das Haus Lothringen mit dem leeren Prunke einer Krone belaſten, welche ihm jetzt nur noch den Haß Frank- reichs und der Mittelſtaaten zuziehen konnte. Eben dieſe franzöſiſchen Vaſallen, denen alle Preußen Verachtung und Groll entgegentrugen, wollte Metternich um jeden Preis ſchonen. Er gedachte die deutſche Politik Napoleons mit ihren eigenen Waffen zu ſchlagen, ſpielte den Gönner der rheinbündiſchen Höfe, erklärte ſich bereit im Nothfalle ſogar einige der kleinſten Fürſten zum Beſten dieſer Könige zu mediatiſiren. Da er den Haß der Mittelſtaaten gegen jede ſtarke Bundesgewalt kannte, ſo durfte die deutſche Frage nur im freien Ein- verſtändniß mit den Rheinbundsfürſten entſchieden werden. Die ver-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 489. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/505>, abgerufen am 22.11.2024.