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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 4. Der Befreiungskrieg.
standes von 1805 für Oesterreich und Preußen. Die Mächte verpflichteten
sich in feierlichster Form keinen Friedensvorschlag Frankreichs auch nur
anzuhören, ohne ihn sofort den Verbündeten mitzutheilen. Trotzdem
ward ein rückhaltloses Einverständniß keineswegs erreicht. Der Czar
hüllte seine polnischen Pläne noch immer in ein tiefes Dunkel. Er hatte
in Reichenbach zugestanden, das Herzogthum Warschau solle unter den
drei Ostmächten vertheilt werden. Dies Versprechen schloß, buchstäblich
verstanden, ein Königreich Polen unter russischem Scepter nicht aus, vor-
ausgesetzt nur, daß Preußen und Oesterreich einige Theile von Warschau
erhielten. In dem Teplitzer Vertrage wurde die Zusage sogar noch ab-
geschwächt; er bestimmte einfach, daß eine freundschaftliche Verständigung
zwischen den drei Höfen über das künftige Schicksal Warschaus erfolgen
solle. Der glückliche Besitzer von Warschau hatte also gar keine bestimmte
Verpflichtung übernommen.

Seitdem hing die polnische Frage wie eine Wetterwolke über der
großen Allianz. Alle Eingeweihten wußten, wie Graf Münster in seinen
Berichten dem Prinzregenten oft wiederholte, daß vornehmlich die Sorge
um die Zukunft Polens den zaudernden Gang der österreichischen Politik
während des Krieges verschuldete. Wie die Dinge lagen, konnten nur
Preußen und Rußland von der gänzlichen Demüthigung Frankreichs einen
großen Gewinn für sich selber erwarten, während England seine erbeuteten
Colonien wohlgeborgen wußte und Oesterreich auch nach einem halben
Siege auf die Herrscherstellung in Italien hoffen durfte. Dazu die
Angst der Welfen und der Lothringer vor dem ehrgeizigen Preußen, das
ihnen nach jedem neuen Siege widerwärtiger wurde. So ergab sich eine
Parteiung im Lager der Alliirten, die von Tag zu Tag schärfer heraus-
trat. Oesterreich und England zögerten, Preußen und Rußland drängten
vorwärts; dies blieb doch der feste Kern in den diplomatischen Händeln
des großen Krieges, obgleich sowohl der Czar als der König auf Augen-
blicke schwankten. In Schwarzenbergs schlaffer Bedachtsamkeit und Gnei-
senaus genialer Kühnheit fand der Gegensatz der österreichisch-englischen
und der preußisch-russischen Politik seinen getreuen Ausdruck. Laut und
heftig sprachen die Preußen und die Russen ihren Unmuth aus über die
kläglichen Leistungen des großen Hauptquartiers. Der König selbst war
sehr unzufrieden. Er hatte schon vor dem Zuge gen Dresden vergeblich
vorgeschlagen, der Oberbefehl solle dem Czaren anvertraut werden, der
durch sein kaiserliches Ansehen und mit dem Beistande des geistreichen Toll
vielleicht etwas ausrichten konnte.*) Als darauf die Ereignisse sein Miß-
trauen nur zu sehr gerechtfertigt hatten, verbarg er seinen Unmuth nicht
und weigerte sich zu Hardenbergs Kummer entschieden, dem k. k. Oberfeld-
herrn auch nur die übliche Höflichkeit einer Ordensverleihung zu gewähren.

*) Hardenbergs Tagebuch 18. August 1813.

I. 4. Der Befreiungskrieg.
ſtandes von 1805 für Oeſterreich und Preußen. Die Mächte verpflichteten
ſich in feierlichſter Form keinen Friedensvorſchlag Frankreichs auch nur
anzuhören, ohne ihn ſofort den Verbündeten mitzutheilen. Trotzdem
ward ein rückhaltloſes Einverſtändniß keineswegs erreicht. Der Czar
hüllte ſeine polniſchen Pläne noch immer in ein tiefes Dunkel. Er hatte
in Reichenbach zugeſtanden, das Herzogthum Warſchau ſolle unter den
drei Oſtmächten vertheilt werden. Dies Verſprechen ſchloß, buchſtäblich
verſtanden, ein Königreich Polen unter ruſſiſchem Scepter nicht aus, vor-
ausgeſetzt nur, daß Preußen und Oeſterreich einige Theile von Warſchau
erhielten. In dem Teplitzer Vertrage wurde die Zuſage ſogar noch ab-
geſchwächt; er beſtimmte einfach, daß eine freundſchaftliche Verſtändigung
zwiſchen den drei Höfen über das künftige Schickſal Warſchaus erfolgen
ſolle. Der glückliche Beſitzer von Warſchau hatte alſo gar keine beſtimmte
Verpflichtung übernommen.

Seitdem hing die polniſche Frage wie eine Wetterwolke über der
großen Allianz. Alle Eingeweihten wußten, wie Graf Münſter in ſeinen
Berichten dem Prinzregenten oft wiederholte, daß vornehmlich die Sorge
um die Zukunft Polens den zaudernden Gang der öſterreichiſchen Politik
während des Krieges verſchuldete. Wie die Dinge lagen, konnten nur
Preußen und Rußland von der gänzlichen Demüthigung Frankreichs einen
großen Gewinn für ſich ſelber erwarten, während England ſeine erbeuteten
Colonien wohlgeborgen wußte und Oeſterreich auch nach einem halben
Siege auf die Herrſcherſtellung in Italien hoffen durfte. Dazu die
Angſt der Welfen und der Lothringer vor dem ehrgeizigen Preußen, das
ihnen nach jedem neuen Siege widerwärtiger wurde. So ergab ſich eine
Parteiung im Lager der Alliirten, die von Tag zu Tag ſchärfer heraus-
trat. Oeſterreich und England zögerten, Preußen und Rußland drängten
vorwärts; dies blieb doch der feſte Kern in den diplomatiſchen Händeln
des großen Krieges, obgleich ſowohl der Czar als der König auf Augen-
blicke ſchwankten. In Schwarzenbergs ſchlaffer Bedachtſamkeit und Gnei-
ſenaus genialer Kühnheit fand der Gegenſatz der öſterreichiſch-engliſchen
und der preußiſch-ruſſiſchen Politik ſeinen getreuen Ausdruck. Laut und
heftig ſprachen die Preußen und die Ruſſen ihren Unmuth aus über die
kläglichen Leiſtungen des großen Hauptquartiers. Der König ſelbſt war
ſehr unzufrieden. Er hatte ſchon vor dem Zuge gen Dresden vergeblich
vorgeſchlagen, der Oberbefehl ſolle dem Czaren anvertraut werden, der
durch ſein kaiſerliches Anſehen und mit dem Beiſtande des geiſtreichen Toll
vielleicht etwas ausrichten konnte.*) Als darauf die Ereigniſſe ſein Miß-
trauen nur zu ſehr gerechtfertigt hatten, verbarg er ſeinen Unmuth nicht
und weigerte ſich zu Hardenbergs Kummer entſchieden, dem k. k. Oberfeld-
herrn auch nur die übliche Höflichkeit einer Ordensverleihung zu gewähren.

*) Hardenbergs Tagebuch 18. Auguſt 1813.
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[486/0502] I. 4. Der Befreiungskrieg. ſtandes von 1805 für Oeſterreich und Preußen. Die Mächte verpflichteten ſich in feierlichſter Form keinen Friedensvorſchlag Frankreichs auch nur anzuhören, ohne ihn ſofort den Verbündeten mitzutheilen. Trotzdem ward ein rückhaltloſes Einverſtändniß keineswegs erreicht. Der Czar hüllte ſeine polniſchen Pläne noch immer in ein tiefes Dunkel. Er hatte in Reichenbach zugeſtanden, das Herzogthum Warſchau ſolle unter den drei Oſtmächten vertheilt werden. Dies Verſprechen ſchloß, buchſtäblich verſtanden, ein Königreich Polen unter ruſſiſchem Scepter nicht aus, vor- ausgeſetzt nur, daß Preußen und Oeſterreich einige Theile von Warſchau erhielten. In dem Teplitzer Vertrage wurde die Zuſage ſogar noch ab- geſchwächt; er beſtimmte einfach, daß eine freundſchaftliche Verſtändigung zwiſchen den drei Höfen über das künftige Schickſal Warſchaus erfolgen ſolle. Der glückliche Beſitzer von Warſchau hatte alſo gar keine beſtimmte Verpflichtung übernommen. Seitdem hing die polniſche Frage wie eine Wetterwolke über der großen Allianz. Alle Eingeweihten wußten, wie Graf Münſter in ſeinen Berichten dem Prinzregenten oft wiederholte, daß vornehmlich die Sorge um die Zukunft Polens den zaudernden Gang der öſterreichiſchen Politik während des Krieges verſchuldete. Wie die Dinge lagen, konnten nur Preußen und Rußland von der gänzlichen Demüthigung Frankreichs einen großen Gewinn für ſich ſelber erwarten, während England ſeine erbeuteten Colonien wohlgeborgen wußte und Oeſterreich auch nach einem halben Siege auf die Herrſcherſtellung in Italien hoffen durfte. Dazu die Angſt der Welfen und der Lothringer vor dem ehrgeizigen Preußen, das ihnen nach jedem neuen Siege widerwärtiger wurde. So ergab ſich eine Parteiung im Lager der Alliirten, die von Tag zu Tag ſchärfer heraus- trat. Oeſterreich und England zögerten, Preußen und Rußland drängten vorwärts; dies blieb doch der feſte Kern in den diplomatiſchen Händeln des großen Krieges, obgleich ſowohl der Czar als der König auf Augen- blicke ſchwankten. In Schwarzenbergs ſchlaffer Bedachtſamkeit und Gnei- ſenaus genialer Kühnheit fand der Gegenſatz der öſterreichiſch-engliſchen und der preußiſch-ruſſiſchen Politik ſeinen getreuen Ausdruck. Laut und heftig ſprachen die Preußen und die Ruſſen ihren Unmuth aus über die kläglichen Leiſtungen des großen Hauptquartiers. Der König ſelbſt war ſehr unzufrieden. Er hatte ſchon vor dem Zuge gen Dresden vergeblich vorgeſchlagen, der Oberbefehl ſolle dem Czaren anvertraut werden, der durch ſein kaiſerliches Anſehen und mit dem Beiſtande des geiſtreichen Toll vielleicht etwas ausrichten konnte. *) Als darauf die Ereigniſſe ſein Miß- trauen nur zu ſehr gerechtfertigt hatten, verbarg er ſeinen Unmuth nicht und weigerte ſich zu Hardenbergs Kummer entſchieden, dem k. k. Oberfeld- herrn auch nur die übliche Höflichkeit einer Ordensverleihung zu gewähren. *) Hardenbergs Tagebuch 18. Auguſt 1813.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 486. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/502>, abgerufen am 22.11.2024.