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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Der König nach Breslau.
gehoben und durchleuchtet von stolzer Zuversicht. Tag und Nacht war
er thätig, bald in Berathungen und Unterredungen mit dem Könige,
bald daheim in seinem weißen Mantel am Schreibtisch kniend. Am
3. Februar unterzeichnete der König einen Aufruf, der die jungen Männer
der eximirten Klassen aufforderte, als freiwillige Jäger in das Heer ein-
zutreten. Schon Tags darauf legte Scharnhorst den Operationsplan vor
für die preußisch-russische Armee. Am 9. folgte das Edict, das für die
Dauer dieses Krieges alle Befreiungen von der Wehrpflicht aufhob.
Wenige Tage später übergab der General dem getreuen Hippel den eigen-
händig geschriebenen Entwurf des Landwehrgesetzes. Unterdessen wurde
Knesebeck aus Wien zurückgerufen; er sollte, da er über die Pläne der
Hofburg am Genauesten unterrichtet war, in das russische Hauptquartier
gehen und empfing am 8. seine neuen Instructionen. Am 13. ergingen
die Weisungen nach Paris, die den offenen Bruch mit Frankreich herbei-
führen mußten: der König verlangte alsbaldige Zahlung der Hälfte seiner
Vorschüsse und Abzug der Franzosen über die Elbe; dann sei er bereit,
einen Waffenstillstand zwischen Rußland und Frankreich zu vermitteln.
Lehnte Napoleon ab, so war der Krieg erklärt.

So bereitete die Krone fest und umsichtig den Kampf vor. Doch
über ihren letzten Absichten lag ein unverbrüchliches Geheimniß. Selbst
die Oberregierungscommission, welche der König unter dem Vorsitze des
Grafen Goltz in Berlin zurückgelassen, erfuhr kein Wort von den diplo-
matischen Verhandlungen, sie war angewiesen, mit den französischen Mi-
litärbehörden auf freundlichem Fuße zu bleiben. Der ohnehin langsame
Verkehr wurde durch die Truppenzüge der Franzosen fast ganz unter-
brochen. In den Provinzen wußte man lange nur das Eine, daß der
König unfrei sei, von französischen Bajonetten umgeben. Wo sollte das
hinaus? Ward es nicht hohe Zeit, daß die Nation ohne die Krone und
doch für sie handelte, durch einen heroischen Entschluß den König be-
freite und sich selber zurückgab? Die verzweifelte Frage lag auf Aller
Lippen, nirgends aber ward die quälende Ungewißheit bitterer empfunden,
als in dem treuen Altpreußen. Hier diese alten tapferen Grenzenhüter
der Germanen, denen die rothen Mauern ihrer Ordensburgen von den
Wundern einer großen Geschichte erzählten -- sollten sie thatlos zu-
schauen, wie der Moskowiter den Franzmann verjagte um dann vielleicht
die schöne Provinz, die schon während des siebenjährigen Krieges fünf Jahre
lang unter russischer Herrschaft gestanden hatte, für immer mit dem
Czarenreiche zu vereinigen? Jedermann fühlte, daß irgend etwas ge-
schehen, daß die Provinz sich durch eigene Kraft die Freiheit verdienen
müsse. Schon zu Anfang Januars erschienen einige Mitglieder der
preußischen Stände bei dem General Wittgenstein und erboten sich, Truppen
auszuheben, die unter Yorks Führung an der Seite der Russen kämpfen
sollten.

Der König nach Breslau.
gehoben und durchleuchtet von ſtolzer Zuverſicht. Tag und Nacht war
er thätig, bald in Berathungen und Unterredungen mit dem Könige,
bald daheim in ſeinem weißen Mantel am Schreibtiſch kniend. Am
3. Februar unterzeichnete der König einen Aufruf, der die jungen Männer
der eximirten Klaſſen aufforderte, als freiwillige Jäger in das Heer ein-
zutreten. Schon Tags darauf legte Scharnhorſt den Operationsplan vor
für die preußiſch-ruſſiſche Armee. Am 9. folgte das Edict, das für die
Dauer dieſes Krieges alle Befreiungen von der Wehrpflicht aufhob.
Wenige Tage ſpäter übergab der General dem getreuen Hippel den eigen-
händig geſchriebenen Entwurf des Landwehrgeſetzes. Unterdeſſen wurde
Kneſebeck aus Wien zurückgerufen; er ſollte, da er über die Pläne der
Hofburg am Genaueſten unterrichtet war, in das ruſſiſche Hauptquartier
gehen und empfing am 8. ſeine neuen Inſtructionen. Am 13. ergingen
die Weiſungen nach Paris, die den offenen Bruch mit Frankreich herbei-
führen mußten: der König verlangte alsbaldige Zahlung der Hälfte ſeiner
Vorſchüſſe und Abzug der Franzoſen über die Elbe; dann ſei er bereit,
einen Waffenſtillſtand zwiſchen Rußland und Frankreich zu vermitteln.
Lehnte Napoleon ab, ſo war der Krieg erklärt.

So bereitete die Krone feſt und umſichtig den Kampf vor. Doch
über ihren letzten Abſichten lag ein unverbrüchliches Geheimniß. Selbſt
die Oberregierungscommiſſion, welche der König unter dem Vorſitze des
Grafen Goltz in Berlin zurückgelaſſen, erfuhr kein Wort von den diplo-
matiſchen Verhandlungen, ſie war angewieſen, mit den franzöſiſchen Mi-
litärbehörden auf freundlichem Fuße zu bleiben. Der ohnehin langſame
Verkehr wurde durch die Truppenzüge der Franzoſen faſt ganz unter-
brochen. In den Provinzen wußte man lange nur das Eine, daß der
König unfrei ſei, von franzöſiſchen Bajonetten umgeben. Wo ſollte das
hinaus? Ward es nicht hohe Zeit, daß die Nation ohne die Krone und
doch für ſie handelte, durch einen heroiſchen Entſchluß den König be-
freite und ſich ſelber zurückgab? Die verzweifelte Frage lag auf Aller
Lippen, nirgends aber ward die quälende Ungewißheit bitterer empfunden,
als in dem treuen Altpreußen. Hier dieſe alten tapferen Grenzenhüter
der Germanen, denen die rothen Mauern ihrer Ordensburgen von den
Wundern einer großen Geſchichte erzählten — ſollten ſie thatlos zu-
ſchauen, wie der Moskowiter den Franzmann verjagte um dann vielleicht
die ſchöne Provinz, die ſchon während des ſiebenjährigen Krieges fünf Jahre
lang unter ruſſiſcher Herrſchaft geſtanden hatte, für immer mit dem
Czarenreiche zu vereinigen? Jedermann fühlte, daß irgend etwas ge-
ſchehen, daß die Provinz ſich durch eigene Kraft die Freiheit verdienen
müſſe. Schon zu Anfang Januars erſchienen einige Mitglieder der
preußiſchen Stände bei dem General Wittgenſtein und erboten ſich, Truppen
auszuheben, die unter Yorks Führung an der Seite der Ruſſen kämpfen
ſollten.

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[415/0431] Der König nach Breslau. gehoben und durchleuchtet von ſtolzer Zuverſicht. Tag und Nacht war er thätig, bald in Berathungen und Unterredungen mit dem Könige, bald daheim in ſeinem weißen Mantel am Schreibtiſch kniend. Am 3. Februar unterzeichnete der König einen Aufruf, der die jungen Männer der eximirten Klaſſen aufforderte, als freiwillige Jäger in das Heer ein- zutreten. Schon Tags darauf legte Scharnhorſt den Operationsplan vor für die preußiſch-ruſſiſche Armee. Am 9. folgte das Edict, das für die Dauer dieſes Krieges alle Befreiungen von der Wehrpflicht aufhob. Wenige Tage ſpäter übergab der General dem getreuen Hippel den eigen- händig geſchriebenen Entwurf des Landwehrgeſetzes. Unterdeſſen wurde Kneſebeck aus Wien zurückgerufen; er ſollte, da er über die Pläne der Hofburg am Genaueſten unterrichtet war, in das ruſſiſche Hauptquartier gehen und empfing am 8. ſeine neuen Inſtructionen. Am 13. ergingen die Weiſungen nach Paris, die den offenen Bruch mit Frankreich herbei- führen mußten: der König verlangte alsbaldige Zahlung der Hälfte ſeiner Vorſchüſſe und Abzug der Franzoſen über die Elbe; dann ſei er bereit, einen Waffenſtillſtand zwiſchen Rußland und Frankreich zu vermitteln. Lehnte Napoleon ab, ſo war der Krieg erklärt. So bereitete die Krone feſt und umſichtig den Kampf vor. Doch über ihren letzten Abſichten lag ein unverbrüchliches Geheimniß. Selbſt die Oberregierungscommiſſion, welche der König unter dem Vorſitze des Grafen Goltz in Berlin zurückgelaſſen, erfuhr kein Wort von den diplo- matiſchen Verhandlungen, ſie war angewieſen, mit den franzöſiſchen Mi- litärbehörden auf freundlichem Fuße zu bleiben. Der ohnehin langſame Verkehr wurde durch die Truppenzüge der Franzoſen faſt ganz unter- brochen. In den Provinzen wußte man lange nur das Eine, daß der König unfrei ſei, von franzöſiſchen Bajonetten umgeben. Wo ſollte das hinaus? Ward es nicht hohe Zeit, daß die Nation ohne die Krone und doch für ſie handelte, durch einen heroiſchen Entſchluß den König be- freite und ſich ſelber zurückgab? Die verzweifelte Frage lag auf Aller Lippen, nirgends aber ward die quälende Ungewißheit bitterer empfunden, als in dem treuen Altpreußen. Hier dieſe alten tapferen Grenzenhüter der Germanen, denen die rothen Mauern ihrer Ordensburgen von den Wundern einer großen Geſchichte erzählten — ſollten ſie thatlos zu- ſchauen, wie der Moskowiter den Franzmann verjagte um dann vielleicht die ſchöne Provinz, die ſchon während des ſiebenjährigen Krieges fünf Jahre lang unter ruſſiſcher Herrſchaft geſtanden hatte, für immer mit dem Czarenreiche zu vereinigen? Jedermann fühlte, daß irgend etwas ge- ſchehen, daß die Provinz ſich durch eigene Kraft die Freiheit verdienen müſſe. Schon zu Anfang Januars erſchienen einige Mitglieder der preußiſchen Stände bei dem General Wittgenſtein und erboten ſich, Truppen auszuheben, die unter Yorks Führung an der Seite der Ruſſen kämpfen ſollten.

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 415. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/431>, abgerufen am 22.11.2024.