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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Verhandlungen mit Rußland.
zum Frieden mahnte, sprach er, dem preußischen Unterhändler gegenüber,
ebenso warm für den Anschluß Preußens an Rußland; ja Knesebeck er-
hielt sogar ein eigenhändiges Schreiben des Kaisers an den König mit
auf den Weg, worin bestimmt erklärt war, der Uebertritt Preußens zu
den Russen werde das Vertrauen der Hofburg in keiner Weise erschüttern.
Die Absicht war klar: wurde Rußland durch Preußens Zutritt verstärkt,
so standen die Aussichten für den neuen Krieg annähernd gleich, und
Oesterreich konnte mit seinen Friedensvorschlägen um so leichter durch-
dringen.

Der schlaue Rechner übersah nur Eines: die sittlichen Mächte, die
unversöhnlichen Gegensätze, welche über diesem Kampfe walteten; er
würdigte weder Napoleons unbeugsamen Caesarenstolz noch die Naturge-
walt des nationalen Hasses, die in Preußen erwacht war. Seine Frie-
densmahnungen in Paris waren durchaus ernst gemeint, obgleich er sie
dem Czaren gegenüber als eine Komödie darstellte, und nichts konnte
ehrlicher sein als die Versicherung, welche Kaiser Franz späterhin dem
Könige von Baiern gab: "wenn Frankreich den Frieden gewollt hätte,
so hätte es ihn haben können." Metternich hoffte noch lange den Krieg
gänzlich zu verhindern und gab eine ausweichende Antwort, als Alexander
am 12. Februar verlangte, Oesterreich solle seine Vermittlungsvorschläge
nöthigenfalls mit den Waffen aufrechthalten. Indeß blieb der Behutsame
auch auf den unerwünschten Fall, daß der russisch-französische Krieg von
Neuem anhob, gefaßt; dann sollte Oesterreich seine wohlgeschonte Kraft
aufsparen, bis die Kriegführenden durch ein schweres unentschiedenes
Ringen erschöpft und für die Vorschläge des Vermittlers empfänglich
wären. So wurde das alte Kaiserhaus vielleicht ohne alle Opfer, jeden-
falls ohne unmittelbare Gefahr, wieder das Zünglein in der Waage
Europas, der Friedensbringer und Mediator des Welttheils, die Macht
des kaiserlichen Schwiegersohns ward nicht vernichtet, sondern nur in ge-
wisse Schranken zurückgewiesen, und die Führung in dem Bunde der
souveränen deutschen Staaten fiel dem Hause Oesterreich von selber zu.
Radetzky, der beste Kopf des kaiserlichen Generalstabs, führte noch im
März in einer militärischen Denkschrift aus, wie Oesterreich eine große
Armee bereit halten müsse um die Partei, welche sich seinen Vorschlägen
widersetzte, niederzuschlagen; ohne Liebe noch Haß stellte er sich über die
Parteien und wagte nur die Vermuthung, daß Frankreich "der muthmaß-
liche Gegner" sein werde. -- Genug, Knesebecks Sendung brachte nur
einen halben Erfolg. Der begeisterte Verehrer der kaiserlichen Hochherzig-
keit trug aus der Hofburg nichts heim als die Zusage, daß Oesterreich
gegen einen preußisch-russischen Bund nicht feindlich auftreten werde.

Weit glücklicher verliefen die Verhandlungen mit Rußland. Major
Natzmer traf den Czaren am 13. Januar zu Bobersk in Litthauen und
bot ihm im Namen des Königs ein Schutz- und Trutzbündniß an, falls

Verhandlungen mit Rußland.
zum Frieden mahnte, ſprach er, dem preußiſchen Unterhändler gegenüber,
ebenſo warm für den Anſchluß Preußens an Rußland; ja Kneſebeck er-
hielt ſogar ein eigenhändiges Schreiben des Kaiſers an den König mit
auf den Weg, worin beſtimmt erklärt war, der Uebertritt Preußens zu
den Ruſſen werde das Vertrauen der Hofburg in keiner Weiſe erſchüttern.
Die Abſicht war klar: wurde Rußland durch Preußens Zutritt verſtärkt,
ſo ſtanden die Ausſichten für den neuen Krieg annähernd gleich, und
Oeſterreich konnte mit ſeinen Friedensvorſchlägen um ſo leichter durch-
dringen.

Der ſchlaue Rechner überſah nur Eines: die ſittlichen Mächte, die
unverſöhnlichen Gegenſätze, welche über dieſem Kampfe walteten; er
würdigte weder Napoleons unbeugſamen Caeſarenſtolz noch die Naturge-
walt des nationalen Haſſes, die in Preußen erwacht war. Seine Frie-
densmahnungen in Paris waren durchaus ernſt gemeint, obgleich er ſie
dem Czaren gegenüber als eine Komödie darſtellte, und nichts konnte
ehrlicher ſein als die Verſicherung, welche Kaiſer Franz ſpäterhin dem
Könige von Baiern gab: „wenn Frankreich den Frieden gewollt hätte,
ſo hätte es ihn haben können.“ Metternich hoffte noch lange den Krieg
gänzlich zu verhindern und gab eine ausweichende Antwort, als Alexander
am 12. Februar verlangte, Oeſterreich ſolle ſeine Vermittlungsvorſchläge
nöthigenfalls mit den Waffen aufrechthalten. Indeß blieb der Behutſame
auch auf den unerwünſchten Fall, daß der ruſſiſch-franzöſiſche Krieg von
Neuem anhob, gefaßt; dann ſollte Oeſterreich ſeine wohlgeſchonte Kraft
aufſparen, bis die Kriegführenden durch ein ſchweres unentſchiedenes
Ringen erſchöpft und für die Vorſchläge des Vermittlers empfänglich
wären. So wurde das alte Kaiſerhaus vielleicht ohne alle Opfer, jeden-
falls ohne unmittelbare Gefahr, wieder das Zünglein in der Waage
Europas, der Friedensbringer und Mediator des Welttheils, die Macht
des kaiſerlichen Schwiegerſohns ward nicht vernichtet, ſondern nur in ge-
wiſſe Schranken zurückgewieſen, und die Führung in dem Bunde der
ſouveränen deutſchen Staaten fiel dem Hauſe Oeſterreich von ſelber zu.
Radetzky, der beſte Kopf des kaiſerlichen Generalſtabs, führte noch im
März in einer militäriſchen Denkſchrift aus, wie Oeſterreich eine große
Armee bereit halten müſſe um die Partei, welche ſich ſeinen Vorſchlägen
widerſetzte, niederzuſchlagen; ohne Liebe noch Haß ſtellte er ſich über die
Parteien und wagte nur die Vermuthung, daß Frankreich „der muthmaß-
liche Gegner“ ſein werde. — Genug, Kneſebecks Sendung brachte nur
einen halben Erfolg. Der begeiſterte Verehrer der kaiſerlichen Hochherzig-
keit trug aus der Hofburg nichts heim als die Zuſage, daß Oeſterreich
gegen einen preußiſch-ruſſiſchen Bund nicht feindlich auftreten werde.

Weit glücklicher verliefen die Verhandlungen mit Rußland. Major
Natzmer traf den Czaren am 13. Januar zu Bobersk in Litthauen und
bot ihm im Namen des Königs ein Schutz- und Trutzbündniß an, falls

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[413/0429] Verhandlungen mit Rußland. zum Frieden mahnte, ſprach er, dem preußiſchen Unterhändler gegenüber, ebenſo warm für den Anſchluß Preußens an Rußland; ja Kneſebeck er- hielt ſogar ein eigenhändiges Schreiben des Kaiſers an den König mit auf den Weg, worin beſtimmt erklärt war, der Uebertritt Preußens zu den Ruſſen werde das Vertrauen der Hofburg in keiner Weiſe erſchüttern. Die Abſicht war klar: wurde Rußland durch Preußens Zutritt verſtärkt, ſo ſtanden die Ausſichten für den neuen Krieg annähernd gleich, und Oeſterreich konnte mit ſeinen Friedensvorſchlägen um ſo leichter durch- dringen. Der ſchlaue Rechner überſah nur Eines: die ſittlichen Mächte, die unverſöhnlichen Gegenſätze, welche über dieſem Kampfe walteten; er würdigte weder Napoleons unbeugſamen Caeſarenſtolz noch die Naturge- walt des nationalen Haſſes, die in Preußen erwacht war. Seine Frie- densmahnungen in Paris waren durchaus ernſt gemeint, obgleich er ſie dem Czaren gegenüber als eine Komödie darſtellte, und nichts konnte ehrlicher ſein als die Verſicherung, welche Kaiſer Franz ſpäterhin dem Könige von Baiern gab: „wenn Frankreich den Frieden gewollt hätte, ſo hätte es ihn haben können.“ Metternich hoffte noch lange den Krieg gänzlich zu verhindern und gab eine ausweichende Antwort, als Alexander am 12. Februar verlangte, Oeſterreich ſolle ſeine Vermittlungsvorſchläge nöthigenfalls mit den Waffen aufrechthalten. Indeß blieb der Behutſame auch auf den unerwünſchten Fall, daß der ruſſiſch-franzöſiſche Krieg von Neuem anhob, gefaßt; dann ſollte Oeſterreich ſeine wohlgeſchonte Kraft aufſparen, bis die Kriegführenden durch ein ſchweres unentſchiedenes Ringen erſchöpft und für die Vorſchläge des Vermittlers empfänglich wären. So wurde das alte Kaiſerhaus vielleicht ohne alle Opfer, jeden- falls ohne unmittelbare Gefahr, wieder das Zünglein in der Waage Europas, der Friedensbringer und Mediator des Welttheils, die Macht des kaiſerlichen Schwiegerſohns ward nicht vernichtet, ſondern nur in ge- wiſſe Schranken zurückgewieſen, und die Führung in dem Bunde der ſouveränen deutſchen Staaten fiel dem Hauſe Oeſterreich von ſelber zu. Radetzky, der beſte Kopf des kaiſerlichen Generalſtabs, führte noch im März in einer militäriſchen Denkſchrift aus, wie Oeſterreich eine große Armee bereit halten müſſe um die Partei, welche ſich ſeinen Vorſchlägen widerſetzte, niederzuſchlagen; ohne Liebe noch Haß ſtellte er ſich über die Parteien und wagte nur die Vermuthung, daß Frankreich „der muthmaß- liche Gegner“ ſein werde. — Genug, Kneſebecks Sendung brachte nur einen halben Erfolg. Der begeiſterte Verehrer der kaiſerlichen Hochherzig- keit trug aus der Hofburg nichts heim als die Zuſage, daß Oeſterreich gegen einen preußiſch-ruſſiſchen Bund nicht feindlich auftreten werde. Weit glücklicher verliefen die Verhandlungen mit Rußland. Major Natzmer traf den Czaren am 13. Januar zu Bobersk in Litthauen und bot ihm im Namen des Königs ein Schutz- und Trutzbündniß an, falls

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 413. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/429>, abgerufen am 22.11.2024.