mit Oesterreich, den jene Zeit erhoffte, überhaupt lebensfähig, so konnte er nur durch ein treues Einvernehmen der beiden führenden Staaten und durch eine ehrliche Abgrenzung ihrer Machtgebiete erhalten werden. Darum sind auch späterhin die Gedanken des friedlichen Dualismus am Berliner Hofe immer von Neuem wieder aufgetaucht so lange man noch nicht gänzlich an dem Deutschen Bunde verzweifelte. Der Staatskanzler hatte diese Ideen während der letzten Jahre wiederholt seinem österreichi- schen Freunde ausgesprochen und schloß aus einigen hingeworfenen Worten halber Zustimmung leichtsinnig auf Metternichs volles Einverständniß. Die vertrauten Hannoveraner Ompteda und Hardenberg wußten jedoch sehr wohl, daß die Hofburg keineswegs gesonnen war ihrem Nebenbuhler die Hegemonie in Norddeutschland zuzugestehen.
Metternich erkannte, daß Oesterreich die durch eine ehrlose Politik verscherzte Kaiserkrone nicht wieder verlangen durfte. Ein erbliches Kaiser- thum der Lothringer hätte alle Mittelstaaten dem Hause Oesterreich ver- feindet; eine Wahlkrone konnte, da die alten getreuen geistlichen Kurfürsten nicht mehr bestanden, vielleicht dereinst den Hohenzollern in die Hände fallen. Es galt also, durch kluge Schonung der dynastischen Interessen der Mittelstaaten den herrschenden Einfluß in Deutschland zu gewinnen. Darum verzichtete Metternich nicht nur auf Belgien, das in der Hofburg von jeher als ein sehr lästiges Besitzthum gegolten hatte, sondern auch auf die Wiedererwerbung der vorderösterreichischen Lande. Durch diesen vorgescho- benen Posten hatte das Kaiserhaus einst die süddeutschen Höfe beständig bedroht und die Geängstigten bald in Preußens bald in Frankreichs Arme gescheucht. Als ein wohlwollender primus inter pares wollte Oesterreich fortan, wohl abgerundet an der Adria, mit den alten Feinden Baiern und Württemberg ehrlich Frieden halten und ihnen vor Allem das köst- lichste Gut, das sie der Gnade Napoleons verdankten, die Souveränität sicher stellen. Einige Andeutungen dieser politischen Grundsätze gab Metternich schon in seinen Unterredungen mit Knesebeck; noch bestimmter erklärte er etwas später in einer Depesche an Lebzeltern (23. März), den Staaten des Rheinbundes müsse der Besitzstand, die Souveränität und die Unabhängigkeit vollständig gewahrt bleiben.
Aus Alledem ergab sich mit Nothwendigkeit, daß Metternich die augenblickliche Krisis benutzte um "den großen Plan einer allgemeinen Pacification" zu verwirklichen, wie Gentz in einem vertrauten Briefe an den Hospodar Karadja aussprach. Es gelang ihm während des Früh- jahrs, durch geheime Verhandlungen mit Rußland, das österreichische Hilfs- corps, das noch an der Seite der Franzosen in Polen stand, in die Heimath zurückzuführen und sich von der französischen Allianz thatsächlich loszusagen. So stand Oesterreich frei, in beherrschender Flankenstellung, den kriegführenden Mächten zur Seite und konnte hoffen durch seine Ver- mittlung den Ausschlag zu geben. Während Metternich in Paris dringend
I. 4. Der Befreiungskrieg.
mit Oeſterreich, den jene Zeit erhoffte, überhaupt lebensfähig, ſo konnte er nur durch ein treues Einvernehmen der beiden führenden Staaten und durch eine ehrliche Abgrenzung ihrer Machtgebiete erhalten werden. Darum ſind auch ſpäterhin die Gedanken des friedlichen Dualismus am Berliner Hofe immer von Neuem wieder aufgetaucht ſo lange man noch nicht gänzlich an dem Deutſchen Bunde verzweifelte. Der Staatskanzler hatte dieſe Ideen während der letzten Jahre wiederholt ſeinem öſterreichi- ſchen Freunde ausgeſprochen und ſchloß aus einigen hingeworfenen Worten halber Zuſtimmung leichtſinnig auf Metternichs volles Einverſtändniß. Die vertrauten Hannoveraner Ompteda und Hardenberg wußten jedoch ſehr wohl, daß die Hofburg keineswegs geſonnen war ihrem Nebenbuhler die Hegemonie in Norddeutſchland zuzugeſtehen.
Metternich erkannte, daß Oeſterreich die durch eine ehrloſe Politik verſcherzte Kaiſerkrone nicht wieder verlangen durfte. Ein erbliches Kaiſer- thum der Lothringer hätte alle Mittelſtaaten dem Hauſe Oeſterreich ver- feindet; eine Wahlkrone konnte, da die alten getreuen geiſtlichen Kurfürſten nicht mehr beſtanden, vielleicht dereinſt den Hohenzollern in die Hände fallen. Es galt alſo, durch kluge Schonung der dynaſtiſchen Intereſſen der Mittelſtaaten den herrſchenden Einfluß in Deutſchland zu gewinnen. Darum verzichtete Metternich nicht nur auf Belgien, das in der Hofburg von jeher als ein ſehr läſtiges Beſitzthum gegolten hatte, ſondern auch auf die Wiedererwerbung der vorderöſterreichiſchen Lande. Durch dieſen vorgeſcho- benen Poſten hatte das Kaiſerhaus einſt die ſüddeutſchen Höfe beſtändig bedroht und die Geängſtigten bald in Preußens bald in Frankreichs Arme geſcheucht. Als ein wohlwollender primus inter pares wollte Oeſterreich fortan, wohl abgerundet an der Adria, mit den alten Feinden Baiern und Württemberg ehrlich Frieden halten und ihnen vor Allem das köſt- lichſte Gut, das ſie der Gnade Napoleons verdankten, die Souveränität ſicher ſtellen. Einige Andeutungen dieſer politiſchen Grundſätze gab Metternich ſchon in ſeinen Unterredungen mit Kneſebeck; noch beſtimmter erklärte er etwas ſpäter in einer Depeſche an Lebzeltern (23. März), den Staaten des Rheinbundes müſſe der Beſitzſtand, die Souveränität und die Unabhängigkeit vollſtändig gewahrt bleiben.
Aus Alledem ergab ſich mit Nothwendigkeit, daß Metternich die augenblickliche Kriſis benutzte um „den großen Plan einer allgemeinen Pacification“ zu verwirklichen, wie Gentz in einem vertrauten Briefe an den Hospodar Karadja ausſprach. Es gelang ihm während des Früh- jahrs, durch geheime Verhandlungen mit Rußland, das öſterreichiſche Hilfs- corps, das noch an der Seite der Franzoſen in Polen ſtand, in die Heimath zurückzuführen und ſich von der franzöſiſchen Allianz thatſächlich loszuſagen. So ſtand Oeſterreich frei, in beherrſchender Flankenſtellung, den kriegführenden Mächten zur Seite und konnte hoffen durch ſeine Ver- mittlung den Ausſchlag zu geben. Während Metternich in Paris dringend
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I. 4. Der Befreiungskrieg.
mit Oeſterreich, den jene Zeit erhoffte, überhaupt lebensfähig, ſo konnte
er nur durch ein treues Einvernehmen der beiden führenden Staaten
und durch eine ehrliche Abgrenzung ihrer Machtgebiete erhalten werden.
Darum ſind auch ſpäterhin die Gedanken des friedlichen Dualismus am
Berliner Hofe immer von Neuem wieder aufgetaucht ſo lange man noch
nicht gänzlich an dem Deutſchen Bunde verzweifelte. Der Staatskanzler
hatte dieſe Ideen während der letzten Jahre wiederholt ſeinem öſterreichi-
ſchen Freunde ausgeſprochen und ſchloß aus einigen hingeworfenen Worten
halber Zuſtimmung leichtſinnig auf Metternichs volles Einverſtändniß.
Die vertrauten Hannoveraner Ompteda und Hardenberg wußten jedoch
ſehr wohl, daß die Hofburg keineswegs geſonnen war ihrem Nebenbuhler
die Hegemonie in Norddeutſchland zuzugeſtehen.
Metternich erkannte, daß Oeſterreich die durch eine ehrloſe Politik
verſcherzte Kaiſerkrone nicht wieder verlangen durfte. Ein erbliches Kaiſer-
thum der Lothringer hätte alle Mittelſtaaten dem Hauſe Oeſterreich ver-
feindet; eine Wahlkrone konnte, da die alten getreuen geiſtlichen Kurfürſten
nicht mehr beſtanden, vielleicht dereinſt den Hohenzollern in die Hände
fallen. Es galt alſo, durch kluge Schonung der dynaſtiſchen Intereſſen
der Mittelſtaaten den herrſchenden Einfluß in Deutſchland zu gewinnen.
Darum verzichtete Metternich nicht nur auf Belgien, das in der Hofburg von
jeher als ein ſehr läſtiges Beſitzthum gegolten hatte, ſondern auch auf die
Wiedererwerbung der vorderöſterreichiſchen Lande. Durch dieſen vorgeſcho-
benen Poſten hatte das Kaiſerhaus einſt die ſüddeutſchen Höfe beſtändig
bedroht und die Geängſtigten bald in Preußens bald in Frankreichs Arme
geſcheucht. Als ein wohlwollender primus inter pares wollte Oeſterreich
fortan, wohl abgerundet an der Adria, mit den alten Feinden Baiern
und Württemberg ehrlich Frieden halten und ihnen vor Allem das köſt-
lichſte Gut, das ſie der Gnade Napoleons verdankten, die Souveränität
ſicher ſtellen. Einige Andeutungen dieſer politiſchen Grundſätze gab
Metternich ſchon in ſeinen Unterredungen mit Kneſebeck; noch beſtimmter
erklärte er etwas ſpäter in einer Depeſche an Lebzeltern (23. März), den
Staaten des Rheinbundes müſſe der Beſitzſtand, die Souveränität und
die Unabhängigkeit vollſtändig gewahrt bleiben.
Aus Alledem ergab ſich mit Nothwendigkeit, daß Metternich die
augenblickliche Kriſis benutzte um „den großen Plan einer allgemeinen
Pacification“ zu verwirklichen, wie Gentz in einem vertrauten Briefe an
den Hospodar Karadja ausſprach. Es gelang ihm während des Früh-
jahrs, durch geheime Verhandlungen mit Rußland, das öſterreichiſche Hilfs-
corps, das noch an der Seite der Franzoſen in Polen ſtand, in die
Heimath zurückzuführen und ſich von der franzöſiſchen Allianz thatſächlich
loszuſagen. So ſtand Oeſterreich frei, in beherrſchender Flankenſtellung,
den kriegführenden Mächten zur Seite und konnte hoffen durch ſeine Ver-
mittlung den Ausſchlag zu geben. Während Metternich in Paris dringend
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 412. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/428>, abgerufen am 22.11.2024.
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