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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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Die Krisis von 1811.
nung. Der kluge Talleyrand, der noch zuweilen zur Mäßigung gerathen,
war längst aus dem auswärtigen Amte zurückgetreten; seine Nachfolger,
Champagny und nachher Maret, folgten knechtisch jeder Laune des Herr-
schers. Eine geheime Denkschrift Champagnys vom December 1810 fiel
in Hardenbergs Hände; sie entwickelte ausführlich den Plan der Vernich-
tung Preußens. Der Staatskanzler durchschaute die hinterhaltigen Ab-
sichten der napoleonischen Diplomaten, die jede Kriegsgefahr hartnäckig
in Abrede stellten; noch im April 1811 versicherte ihm Lauriston, der
russisch-französische Streit sei nur ein harmloser Zwist zwischen Mann
und Frau.*) Es war klar, man wollte Preußens Wachsamkeit einschlä-
fern; der Imperator schwankte nur noch, ob er den Hohenzollern vor
oder nach dem russischen Kriege den Gnadenstoß geben solle. Aber eine
Schilderhebung in so entsetzlicher Lage war ein Selbstmord, wenn der
Czar sich nicht entschloß den Krieg auf preußischem Boden zu eröffnen.

In diesem Sinne schrieb Friedrich Wilhelm seinem Freunde, wieder-
holt, nachdrücklich, in tiefster Erregung. Alexander schwieg lange. Gegen
Ende Mai antwortete er schließlich: er habe kein Mittel die Ueberfluthung
Preußens durch die große Armee zu hindern und werde den Krieg nicht
anders als im Innern seines Landes beginnen. Zum vierten male über-
ließ er seinen Freund einem unheimlichen Schicksale. Unterdessen hatte
Hardenberg versucht, ob in Paris ein Bündniß unter ehrenvollen Be-
dingungen zu erlangen sei; er bot ein Hilfscorps, gegen die Rückgabe
von Glogau, gegen den Erlaß der Contribution und die Erlaubniß zur
Vermehrung des Heeres. Napoleon verwarf den Antrag: nicht als ein
gleichberechtigter Bundesgenosse, sondern gebunden und gezwungen sollte
ihm Preußen Heeresfolge leisten. Unheil also und Verderben wohin man
sich auch wenden mochte!

Da, im Augenblicke der höchsten Noth, brach die heiße Leidenschaft
der Kriegspartei in hellen Flammen aus. Hardenberg selbst trat auf die
Seite Scharnhorsts, Gneisenau wurde in den Staatsrath berufen zur
Leitung der Rüstungen, und so entstanden im Sommer 1811 jene gran-
diosen Pläne für eine Massenerhebung des preußischen Volkes -- das
Tollkühnste vielleicht, was moderne Staatsmänner je erdacht haben, ein
unvergängliches Denkmal für die Seelengröße Scharnhorsts und seiner
Freunde. Wie man so dalag, dicht unter den Feuerschlünden der großen
Armee, die mit jedem Tage anwuchs, traute man sich noch die Kraft zu,
durch einen plötzlichen Aufstand dem übermächtigen Feinde zuvorzukommen;
in jedem Dorfe sollte der Pfarrer den Landsturm aufbieten, wer nur
irgend die Waffen schwingen konnte mußte mit heran. Bereits waren
in aller Stille die Krümper einberufen, so viele man nur heranziehen
konnte ohne den Argwohn der Franzosen zu wecken; gegen Ende August

*) Hardenbergs Journal 20. April 1811.
25*

Die Kriſis von 1811.
nung. Der kluge Talleyrand, der noch zuweilen zur Mäßigung gerathen,
war längſt aus dem auswärtigen Amte zurückgetreten; ſeine Nachfolger,
Champagny und nachher Maret, folgten knechtiſch jeder Laune des Herr-
ſchers. Eine geheime Denkſchrift Champagnys vom December 1810 fiel
in Hardenbergs Hände; ſie entwickelte ausführlich den Plan der Vernich-
tung Preußens. Der Staatskanzler durchſchaute die hinterhaltigen Ab-
ſichten der napoleoniſchen Diplomaten, die jede Kriegsgefahr hartnäckig
in Abrede ſtellten; noch im April 1811 verſicherte ihm Lauriſton, der
ruſſiſch-franzöſiſche Streit ſei nur ein harmloſer Zwiſt zwiſchen Mann
und Frau.*) Es war klar, man wollte Preußens Wachſamkeit einſchlä-
fern; der Imperator ſchwankte nur noch, ob er den Hohenzollern vor
oder nach dem ruſſiſchen Kriege den Gnadenſtoß geben ſolle. Aber eine
Schilderhebung in ſo entſetzlicher Lage war ein Selbſtmord, wenn der
Czar ſich nicht entſchloß den Krieg auf preußiſchem Boden zu eröffnen.

In dieſem Sinne ſchrieb Friedrich Wilhelm ſeinem Freunde, wieder-
holt, nachdrücklich, in tiefſter Erregung. Alexander ſchwieg lange. Gegen
Ende Mai antwortete er ſchließlich: er habe kein Mittel die Ueberfluthung
Preußens durch die große Armee zu hindern und werde den Krieg nicht
anders als im Innern ſeines Landes beginnen. Zum vierten male über-
ließ er ſeinen Freund einem unheimlichen Schickſale. Unterdeſſen hatte
Hardenberg verſucht, ob in Paris ein Bündniß unter ehrenvollen Be-
dingungen zu erlangen ſei; er bot ein Hilfscorps, gegen die Rückgabe
von Glogau, gegen den Erlaß der Contribution und die Erlaubniß zur
Vermehrung des Heeres. Napoleon verwarf den Antrag: nicht als ein
gleichberechtigter Bundesgenoſſe, ſondern gebunden und gezwungen ſollte
ihm Preußen Heeresfolge leiſten. Unheil alſo und Verderben wohin man
ſich auch wenden mochte!

Da, im Augenblicke der höchſten Noth, brach die heiße Leidenſchaft
der Kriegspartei in hellen Flammen aus. Hardenberg ſelbſt trat auf die
Seite Scharnhorſts, Gneiſenau wurde in den Staatsrath berufen zur
Leitung der Rüſtungen, und ſo entſtanden im Sommer 1811 jene gran-
dioſen Pläne für eine Maſſenerhebung des preußiſchen Volkes — das
Tollkühnſte vielleicht, was moderne Staatsmänner je erdacht haben, ein
unvergängliches Denkmal für die Seelengröße Scharnhorſts und ſeiner
Freunde. Wie man ſo dalag, dicht unter den Feuerſchlünden der großen
Armee, die mit jedem Tage anwuchs, traute man ſich noch die Kraft zu,
durch einen plötzlichen Aufſtand dem übermächtigen Feinde zuvorzukommen;
in jedem Dorfe ſollte der Pfarrer den Landſturm aufbieten, wer nur
irgend die Waffen ſchwingen konnte mußte mit heran. Bereits waren
in aller Stille die Krümper einberufen, ſo viele man nur heranziehen
konnte ohne den Argwohn der Franzoſen zu wecken; gegen Ende Auguſt

*) Hardenbergs Journal 20. April 1811.
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[387/0403] Die Kriſis von 1811. nung. Der kluge Talleyrand, der noch zuweilen zur Mäßigung gerathen, war längſt aus dem auswärtigen Amte zurückgetreten; ſeine Nachfolger, Champagny und nachher Maret, folgten knechtiſch jeder Laune des Herr- ſchers. Eine geheime Denkſchrift Champagnys vom December 1810 fiel in Hardenbergs Hände; ſie entwickelte ausführlich den Plan der Vernich- tung Preußens. Der Staatskanzler durchſchaute die hinterhaltigen Ab- ſichten der napoleoniſchen Diplomaten, die jede Kriegsgefahr hartnäckig in Abrede ſtellten; noch im April 1811 verſicherte ihm Lauriſton, der ruſſiſch-franzöſiſche Streit ſei nur ein harmloſer Zwiſt zwiſchen Mann und Frau. *) Es war klar, man wollte Preußens Wachſamkeit einſchlä- fern; der Imperator ſchwankte nur noch, ob er den Hohenzollern vor oder nach dem ruſſiſchen Kriege den Gnadenſtoß geben ſolle. Aber eine Schilderhebung in ſo entſetzlicher Lage war ein Selbſtmord, wenn der Czar ſich nicht entſchloß den Krieg auf preußiſchem Boden zu eröffnen. In dieſem Sinne ſchrieb Friedrich Wilhelm ſeinem Freunde, wieder- holt, nachdrücklich, in tiefſter Erregung. Alexander ſchwieg lange. Gegen Ende Mai antwortete er ſchließlich: er habe kein Mittel die Ueberfluthung Preußens durch die große Armee zu hindern und werde den Krieg nicht anders als im Innern ſeines Landes beginnen. Zum vierten male über- ließ er ſeinen Freund einem unheimlichen Schickſale. Unterdeſſen hatte Hardenberg verſucht, ob in Paris ein Bündniß unter ehrenvollen Be- dingungen zu erlangen ſei; er bot ein Hilfscorps, gegen die Rückgabe von Glogau, gegen den Erlaß der Contribution und die Erlaubniß zur Vermehrung des Heeres. Napoleon verwarf den Antrag: nicht als ein gleichberechtigter Bundesgenoſſe, ſondern gebunden und gezwungen ſollte ihm Preußen Heeresfolge leiſten. Unheil alſo und Verderben wohin man ſich auch wenden mochte! Da, im Augenblicke der höchſten Noth, brach die heiße Leidenſchaft der Kriegspartei in hellen Flammen aus. Hardenberg ſelbſt trat auf die Seite Scharnhorſts, Gneiſenau wurde in den Staatsrath berufen zur Leitung der Rüſtungen, und ſo entſtanden im Sommer 1811 jene gran- dioſen Pläne für eine Maſſenerhebung des preußiſchen Volkes — das Tollkühnſte vielleicht, was moderne Staatsmänner je erdacht haben, ein unvergängliches Denkmal für die Seelengröße Scharnhorſts und ſeiner Freunde. Wie man ſo dalag, dicht unter den Feuerſchlünden der großen Armee, die mit jedem Tage anwuchs, traute man ſich noch die Kraft zu, durch einen plötzlichen Aufſtand dem übermächtigen Feinde zuvorzukommen; in jedem Dorfe ſollte der Pfarrer den Landſturm aufbieten, wer nur irgend die Waffen ſchwingen konnte mußte mit heran. Bereits waren in aller Stille die Krümper einberufen, ſo viele man nur heranziehen konnte ohne den Argwohn der Franzoſen zu wecken; gegen Ende Auguſt *) Hardenbergs Journal 20. April 1811. 25*

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 387. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/403>, abgerufen am 20.05.2024.