Dohm die Weisung gab, hier in Dresden an erster Quelle die Geheim- nisse des Ceremoniells zu studiren und ausführlich darüber zu berichten. Unter den alteingesessenen Herren des Nordens hat nur einer seinen Staat in napoleonische Formen umgegossen: der närrische Herzog von Koethen. Der ruhte nicht bis sein Reich in zwei Departements getheilt, mit einem Staatsrathe, Präfecten, Unterpräfecten und dem "heilbringen- den" Code gesegnet war: alle diese Herrlichkeiten verkündete das neue Bulletin des lois de l'Empire Anhaltin-Coethien.
Den beiden Napoleoniden, welche inmitten dieser hochconservativen norddeutschen Welt ihre Throne aufrichteten, war eine revolutionäre Po- litik durch die Natur der Dinge geboten. Hier, in "Staaten ohne Ver- gangenheit" -- wie der westphälische Minister Malchus sich wohlgefällig ausdrückte, lag kein Grund vor alte Ueberlieferungen zu schonen, hier konnte Alles was bestand kurzerhand nach der Schablone der napoleoni- schen constitution reguliere umgeformt werden. In Westphalen wie in Berg begann die Neugestaltung unter der Oberaufsicht des Imperators selber; beiden Vasallen schärfte er ein, sie sollten durch die Zerstörung aller Privilegien dahin wirken, daß die norddeutschen Nachbarn, nament- lich die Preußen, sich nach der napoleonischen Herrschaft sehnten. In der That galt das Staatsrecht des Königreichs Westphalen nicht blos im Rheinbunde, sondern auch bei einem Theile der preußischen Patrioten als eine Musterverfassung. Wie stattlich erhob sich hier die Krone mit ihrem Scheinparlamente hoch über der eingeebneten, von allen Standesvorrechten völlig befreiten Gesellschaft; und zudem die Schlagfertigkeit der Präfecten, die raschere Rechtspflege, die ungewohnte Höflichkeit der meisten Beamten, die Beseitigung der Binnenmauthen, die Aufhebung der Leibeigenschaft, der Patrimonialgerichte und der gutsherrlichen Gewalt! Die neue Herr- schaft wußte sich viel mit ihrer Bauernfreundlichkeit. Nicht einmal die Namen der alten ständischen Gliederung des flachen Landes ließ sie mehr gelten; das altgermanische Kothsasse schien den aufgeklärten Räthen des Königs schon darum anstößig weil sie das Wort von Koth ableiteten. Wer auf dem Lande wohnte war paysan. Der vielgeplagte "Rusticalstand" befand sich in mancher Hinsicht wohler als vormals unter dem Regimente der hannoverschen Junker und der hessischen Soldatenverkäufer. Noch heute hat sich unter den kleinen Leuten des Göttinger Landes der Name Pisänger erhalten. Die Bauern fühlten sich geehrt, wenn ihre Repräsen- tanten im Schlosse zu Cassel unter den vornehmen Herren erschienen und von der Wache mit präsentirtem Gewehr begrüßt wurden. Nach Jahren noch gestanden die Pächter im Magdeburgischen dem preußischen Minister Klewitz treuherzig, eine solche Verfassung möchten sie wohl wie- der haben.*)
*) Klewitz' Bericht über seine Rundreise in der Provinz Sachsen v. 29. Juli 1817.
I. 3. Preußens Erhebung.
Dohm die Weiſung gab, hier in Dresden an erſter Quelle die Geheim- niſſe des Ceremoniells zu ſtudiren und ausführlich darüber zu berichten. Unter den alteingeſeſſenen Herren des Nordens hat nur einer ſeinen Staat in napoleoniſche Formen umgegoſſen: der närriſche Herzog von Koethen. Der ruhte nicht bis ſein Reich in zwei Departements getheilt, mit einem Staatsrathe, Präfecten, Unterpräfecten und dem „heilbringen- den“ Code geſegnet war: alle dieſe Herrlichkeiten verkündete das neue Bulletin des lois de l’Empire Anhaltin-Coethien.
Den beiden Napoleoniden, welche inmitten dieſer hochconſervativen norddeutſchen Welt ihre Throne aufrichteten, war eine revolutionäre Po- litik durch die Natur der Dinge geboten. Hier, in „Staaten ohne Ver- gangenheit“ — wie der weſtphäliſche Miniſter Malchus ſich wohlgefällig ausdrückte, lag kein Grund vor alte Ueberlieferungen zu ſchonen, hier konnte Alles was beſtand kurzerhand nach der Schablone der napoleoni- ſchen constitution régulière umgeformt werden. In Weſtphalen wie in Berg begann die Neugeſtaltung unter der Oberaufſicht des Imperators ſelber; beiden Vaſallen ſchärfte er ein, ſie ſollten durch die Zerſtörung aller Privilegien dahin wirken, daß die norddeutſchen Nachbarn, nament- lich die Preußen, ſich nach der napoleoniſchen Herrſchaft ſehnten. In der That galt das Staatsrecht des Königreichs Weſtphalen nicht blos im Rheinbunde, ſondern auch bei einem Theile der preußiſchen Patrioten als eine Muſterverfaſſung. Wie ſtattlich erhob ſich hier die Krone mit ihrem Scheinparlamente hoch über der eingeebneten, von allen Standesvorrechten völlig befreiten Geſellſchaft; und zudem die Schlagfertigkeit der Präfecten, die raſchere Rechtspflege, die ungewohnte Höflichkeit der meiſten Beamten, die Beſeitigung der Binnenmauthen, die Aufhebung der Leibeigenſchaft, der Patrimonialgerichte und der gutsherrlichen Gewalt! Die neue Herr- ſchaft wußte ſich viel mit ihrer Bauernfreundlichkeit. Nicht einmal die Namen der alten ſtändiſchen Gliederung des flachen Landes ließ ſie mehr gelten; das altgermaniſche Kothſaſſe ſchien den aufgeklärten Räthen des Königs ſchon darum anſtößig weil ſie das Wort von Koth ableiteten. Wer auf dem Lande wohnte war paysan. Der vielgeplagte „Ruſticalſtand“ befand ſich in mancher Hinſicht wohler als vormals unter dem Regimente der hannoverſchen Junker und der heſſiſchen Soldatenverkäufer. Noch heute hat ſich unter den kleinen Leuten des Göttinger Landes der Name Piſänger erhalten. Die Bauern fühlten ſich geehrt, wenn ihre Repräſen- tanten im Schloſſe zu Caſſel unter den vornehmen Herren erſchienen und von der Wache mit präſentirtem Gewehr begrüßt wurden. Nach Jahren noch geſtanden die Pächter im Magdeburgiſchen dem preußiſchen Miniſter Klewitz treuherzig, eine ſolche Verfaſſung möchten ſie wohl wie- der haben.*)
*) Klewitz’ Bericht über ſeine Rundreiſe in der Provinz Sachſen v. 29. Juli 1817.
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Dohm die Weiſung gab, hier in Dresden an erſter Quelle die Geheim-
niſſe des Ceremoniells zu ſtudiren und ausführlich darüber zu berichten.
Unter den alteingeſeſſenen Herren des Nordens hat nur einer ſeinen
Staat in napoleoniſche Formen umgegoſſen: der närriſche Herzog von
Koethen. Der ruhte nicht bis ſein Reich in zwei Departements getheilt,
mit einem Staatsrathe, Präfecten, Unterpräfecten und dem „heilbringen-
den“ Code geſegnet war: alle dieſe Herrlichkeiten verkündete das neue
Bulletin des lois de l’Empire Anhaltin-Coethien.
Den beiden Napoleoniden, welche inmitten dieſer hochconſervativen
norddeutſchen Welt ihre Throne aufrichteten, war eine revolutionäre Po-
litik durch die Natur der Dinge geboten. Hier, in „Staaten ohne Ver-
gangenheit“ — wie der weſtphäliſche Miniſter Malchus ſich wohlgefällig
ausdrückte, lag kein Grund vor alte Ueberlieferungen zu ſchonen, hier
konnte Alles was beſtand kurzerhand nach der Schablone der napoleoni-
ſchen constitution régulière umgeformt werden. In Weſtphalen wie in
Berg begann die Neugeſtaltung unter der Oberaufſicht des Imperators
ſelber; beiden Vaſallen ſchärfte er ein, ſie ſollten durch die Zerſtörung
aller Privilegien dahin wirken, daß die norddeutſchen Nachbarn, nament-
lich die Preußen, ſich nach der napoleoniſchen Herrſchaft ſehnten. In
der That galt das Staatsrecht des Königreichs Weſtphalen nicht blos im
Rheinbunde, ſondern auch bei einem Theile der preußiſchen Patrioten als
eine Muſterverfaſſung. Wie ſtattlich erhob ſich hier die Krone mit ihrem
Scheinparlamente hoch über der eingeebneten, von allen Standesvorrechten
völlig befreiten Geſellſchaft; und zudem die Schlagfertigkeit der Präfecten,
die raſchere Rechtspflege, die ungewohnte Höflichkeit der meiſten Beamten,
die Beſeitigung der Binnenmauthen, die Aufhebung der Leibeigenſchaft,
der Patrimonialgerichte und der gutsherrlichen Gewalt! Die neue Herr-
ſchaft wußte ſich viel mit ihrer Bauernfreundlichkeit. Nicht einmal die
Namen der alten ſtändiſchen Gliederung des flachen Landes ließ ſie mehr
gelten; das altgermaniſche Kothſaſſe ſchien den aufgeklärten Räthen des
Königs ſchon darum anſtößig weil ſie das Wort von Koth ableiteten. Wer
auf dem Lande wohnte war paysan. Der vielgeplagte „Ruſticalſtand“
befand ſich in mancher Hinſicht wohler als vormals unter dem Regimente
der hannoverſchen Junker und der heſſiſchen Soldatenverkäufer. Noch
heute hat ſich unter den kleinen Leuten des Göttinger Landes der Name
Piſänger erhalten. Die Bauern fühlten ſich geehrt, wenn ihre Repräſen-
tanten im Schloſſe zu Caſſel unter den vornehmen Herren erſchienen
und von der Wache mit präſentirtem Gewehr begrüßt wurden. Nach
Jahren noch geſtanden die Pächter im Magdeburgiſchen dem preußiſchen
Miniſter Klewitz treuherzig, eine ſolche Verfaſſung möchten ſie wohl wie-
der haben. *)
*) Klewitz’ Bericht über ſeine Rundreiſe in der Provinz Sachſen v. 29. Juli 1817.
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/378>, abgerufen am 22.11.2024.
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