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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 3. Preußens Erhebung.
Talma spielte vor einem Parterre von Königen; in jeder Miene des Im-
perators, in jeder Förmlichkeit des Hofceremoniells verrieth sich die Ver-
achtung des gekrönten Plebejers gegen seine hochgeborenen Bedienten.
Taisez-vous! Ce n'est qu'un roi! rief der Offizier der Leibwache seinem
Trommler zu, als dieser vor einem Könige von Napoleons Gnaden das
Spiel rühren wollte. Die Anwesenheit der deutschen Könige sollte lediglich
dem Czaren die Macht seines Verbündeten greifbar vor die Augen stellen;
von den Verhandlungen blieb das Dienergefolge ausgeschlossen. In einem
geheimen Vertrage verpflichtete sich Napoleon, der Eroberung von Finn-
land und den Donaufürstenthümern nichts in den Weg zu legen, dafür
wurde Joseph Bonaparte von Rußland als König von Spanien anerkannt.
Ein gemeinsamer Brief der beiden Kaiser forderte den König von England
auf, seinerseits diesen Abmachungen beizutreten; wo nicht, so würden sie
den Krieg mit ganzer Kraft weiter führen. Für Preußen erreichte der
Czar nur die Herabsetzung der Contribution um 20 Mill.; doch selbst
dies einzige Zugeständniß mußte durch eine nochmalige schnöde Verletzung
des Tilsiter Friedens erkauft werden. In Tilsit war dem Könige ein
Gebiet von 400,000 Einwohnern zur Entschädigung versprochen, falls
Napoleon sich das hannoversche Land aneigne; diese Zusage wurde jetzt
mit Alexanders Zustimmung zurückgenommen.

Napoleon schied befriedigt, er konnte jetzt unbedenklich an die Bändi-
gung des spanischen Aufstandes gehen. Für die Ruhe in Deutschland
sorgten der russische Freund und die wohlgerüsteten Rheinbundstaaten.
Zum Abschied erließ der Imperator noch ein drohendes Schreiben an
Kaiser Franz: daß er sich nicht unterstehe Widersetzlichkeit zu zeigen; "was
Eure Majestät sind, das sind Sie durch meinen Willen!" Der Czar da-
gegen war tief verstimmt und beunruhigt. Er hatte den pöbelhaften
Uebermuth des Glückberauschten aus der Nähe beobachtet, er hatte mit
ansehen müssen, wie Napoleon den Prinzen Wilhelm von Preußen zu
einer Hasenjagd auf dem Jenaer Schlachtfelde einlud und in Gegen-
wart seines russischen Freundes die Soldaten, die sich im Kriege gegen
Rußland hervorgethan, mit dem Kreuze der Ehrenlegion schmückte. Alexan-
der begann zu zweifeln, ob es denn nicht lächerlich sei, mit diesem Manne
irgend etwas, und nun gar die Weltherrschaft theilen zu wollen; er fand
keine Antwort, wenn ihm der wackere preußische Gesandte Schladen vor-
stellte, die Besetzung der Oderlinie solle doch offenbar einen Krieg gegen
Rußland vorbereiten. Sein Mißtrauen wuchs und wuchs. Doch erst
mußten seine Adler in Bukarest und Jassy Wache halten; bis dahin sollte
das widerwärtige Bündniß noch aufrecht bleiben.

Dem Königsberger Hofe blieb jetzt keine Wahl mehr. Noch im Octo-
ber fragte Graf Goetzen vertraulich in Wien an, ob Oesterreich sogleich
die Waffen ergreifen wolle; es sei die höchste Zeit, daß Preußen sich er-
kläre. Scharnhorst und seine Freunde wünschten eine Berufung der Land-

I. 3. Preußens Erhebung.
Talma ſpielte vor einem Parterre von Königen; in jeder Miene des Im-
perators, in jeder Förmlichkeit des Hofceremoniells verrieth ſich die Ver-
achtung des gekrönten Plebejers gegen ſeine hochgeborenen Bedienten.
Taisez-vous! Ce n’est qu’un roi! rief der Offizier der Leibwache ſeinem
Trommler zu, als dieſer vor einem Könige von Napoleons Gnaden das
Spiel rühren wollte. Die Anweſenheit der deutſchen Könige ſollte lediglich
dem Czaren die Macht ſeines Verbündeten greifbar vor die Augen ſtellen;
von den Verhandlungen blieb das Dienergefolge ausgeſchloſſen. In einem
geheimen Vertrage verpflichtete ſich Napoleon, der Eroberung von Finn-
land und den Donaufürſtenthümern nichts in den Weg zu legen, dafür
wurde Joſeph Bonaparte von Rußland als König von Spanien anerkannt.
Ein gemeinſamer Brief der beiden Kaiſer forderte den König von England
auf, ſeinerſeits dieſen Abmachungen beizutreten; wo nicht, ſo würden ſie
den Krieg mit ganzer Kraft weiter führen. Für Preußen erreichte der
Czar nur die Herabſetzung der Contribution um 20 Mill.; doch ſelbſt
dies einzige Zugeſtändniß mußte durch eine nochmalige ſchnöde Verletzung
des Tilſiter Friedens erkauft werden. In Tilſit war dem Könige ein
Gebiet von 400,000 Einwohnern zur Entſchädigung verſprochen, falls
Napoleon ſich das hannoverſche Land aneigne; dieſe Zuſage wurde jetzt
mit Alexanders Zuſtimmung zurückgenommen.

Napoleon ſchied befriedigt, er konnte jetzt unbedenklich an die Bändi-
gung des ſpaniſchen Aufſtandes gehen. Für die Ruhe in Deutſchland
ſorgten der ruſſiſche Freund und die wohlgerüſteten Rheinbundſtaaten.
Zum Abſchied erließ der Imperator noch ein drohendes Schreiben an
Kaiſer Franz: daß er ſich nicht unterſtehe Widerſetzlichkeit zu zeigen; „was
Eure Majeſtät ſind, das ſind Sie durch meinen Willen!“ Der Czar da-
gegen war tief verſtimmt und beunruhigt. Er hatte den pöbelhaften
Uebermuth des Glückberauſchten aus der Nähe beobachtet, er hatte mit
anſehen müſſen, wie Napoleon den Prinzen Wilhelm von Preußen zu
einer Haſenjagd auf dem Jenaer Schlachtfelde einlud und in Gegen-
wart ſeines ruſſiſchen Freundes die Soldaten, die ſich im Kriege gegen
Rußland hervorgethan, mit dem Kreuze der Ehrenlegion ſchmückte. Alexan-
der begann zu zweifeln, ob es denn nicht lächerlich ſei, mit dieſem Manne
irgend etwas, und nun gar die Weltherrſchaft theilen zu wollen; er fand
keine Antwort, wenn ihm der wackere preußiſche Geſandte Schladen vor-
ſtellte, die Beſetzung der Oderlinie ſolle doch offenbar einen Krieg gegen
Rußland vorbereiten. Sein Mißtrauen wuchs und wuchs. Doch erſt
mußten ſeine Adler in Bukareſt und Jaſſy Wache halten; bis dahin ſollte
das widerwärtige Bündniß noch aufrecht bleiben.

Dem Königsberger Hofe blieb jetzt keine Wahl mehr. Noch im Octo-
ber fragte Graf Goetzen vertraulich in Wien an, ob Oeſterreich ſogleich
die Waffen ergreifen wolle; es ſei die höchſte Zeit, daß Preußen ſich er-
kläre. Scharnhorſt und ſeine Freunde wünſchten eine Berufung der Land-

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[328/0344] I. 3. Preußens Erhebung. Talma ſpielte vor einem Parterre von Königen; in jeder Miene des Im- perators, in jeder Förmlichkeit des Hofceremoniells verrieth ſich die Ver- achtung des gekrönten Plebejers gegen ſeine hochgeborenen Bedienten. Taisez-vous! Ce n’est qu’un roi! rief der Offizier der Leibwache ſeinem Trommler zu, als dieſer vor einem Könige von Napoleons Gnaden das Spiel rühren wollte. Die Anweſenheit der deutſchen Könige ſollte lediglich dem Czaren die Macht ſeines Verbündeten greifbar vor die Augen ſtellen; von den Verhandlungen blieb das Dienergefolge ausgeſchloſſen. In einem geheimen Vertrage verpflichtete ſich Napoleon, der Eroberung von Finn- land und den Donaufürſtenthümern nichts in den Weg zu legen, dafür wurde Joſeph Bonaparte von Rußland als König von Spanien anerkannt. Ein gemeinſamer Brief der beiden Kaiſer forderte den König von England auf, ſeinerſeits dieſen Abmachungen beizutreten; wo nicht, ſo würden ſie den Krieg mit ganzer Kraft weiter führen. Für Preußen erreichte der Czar nur die Herabſetzung der Contribution um 20 Mill.; doch ſelbſt dies einzige Zugeſtändniß mußte durch eine nochmalige ſchnöde Verletzung des Tilſiter Friedens erkauft werden. In Tilſit war dem Könige ein Gebiet von 400,000 Einwohnern zur Entſchädigung verſprochen, falls Napoleon ſich das hannoverſche Land aneigne; dieſe Zuſage wurde jetzt mit Alexanders Zuſtimmung zurückgenommen. Napoleon ſchied befriedigt, er konnte jetzt unbedenklich an die Bändi- gung des ſpaniſchen Aufſtandes gehen. Für die Ruhe in Deutſchland ſorgten der ruſſiſche Freund und die wohlgerüſteten Rheinbundſtaaten. Zum Abſchied erließ der Imperator noch ein drohendes Schreiben an Kaiſer Franz: daß er ſich nicht unterſtehe Widerſetzlichkeit zu zeigen; „was Eure Majeſtät ſind, das ſind Sie durch meinen Willen!“ Der Czar da- gegen war tief verſtimmt und beunruhigt. Er hatte den pöbelhaften Uebermuth des Glückberauſchten aus der Nähe beobachtet, er hatte mit anſehen müſſen, wie Napoleon den Prinzen Wilhelm von Preußen zu einer Haſenjagd auf dem Jenaer Schlachtfelde einlud und in Gegen- wart ſeines ruſſiſchen Freundes die Soldaten, die ſich im Kriege gegen Rußland hervorgethan, mit dem Kreuze der Ehrenlegion ſchmückte. Alexan- der begann zu zweifeln, ob es denn nicht lächerlich ſei, mit dieſem Manne irgend etwas, und nun gar die Weltherrſchaft theilen zu wollen; er fand keine Antwort, wenn ihm der wackere preußiſche Geſandte Schladen vor- ſtellte, die Beſetzung der Oderlinie ſolle doch offenbar einen Krieg gegen Rußland vorbereiten. Sein Mißtrauen wuchs und wuchs. Doch erſt mußten ſeine Adler in Bukareſt und Jaſſy Wache halten; bis dahin ſollte das widerwärtige Bündniß noch aufrecht bleiben. Dem Königsberger Hofe blieb jetzt keine Wahl mehr. Noch im Octo- ber fragte Graf Goetzen vertraulich in Wien an, ob Oeſterreich ſogleich die Waffen ergreifen wolle; es ſei die höchſte Zeit, daß Preußen ſich er- kläre. Scharnhorſt und ſeine Freunde wünſchten eine Berufung der Land-

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 328. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/344>, abgerufen am 22.11.2024.