Opfer, und lud ihn zu einer feierlichen Zusammenkunft ein: das furcht- bare Bündniß der beiden Beherrscher des Abendlandes und des Morgen- landes sollte in seiner ganzen Pracht und Größe vor den erschreckten Welttheil treten. In der That nahm Alexander die Einladung an; die Hofburg aber wurde durch die kühne diplomatische Schwenkung des Im- perators dermaßen eingeschüchtert, daß sie ihre Armee wieder auf Frie- densfuß zu setzen versprach, wenngleich die Rüstungen in der Stille weiter gingen.
Preußen stand wieder völlig vereinsamt, aller Mittel zum Wider- stande beraubt. Am 8. September unterzeichnete Prinz Wilhelm die drückenden Bedingungen des Pariser Vertrags. Die rückständige Con- tribution wurde auf 140 Mill. festgesetzt, die französische Armee zurückge- rufen; der König sollte endlich seine Staatseinkünfte wieder erhalten, doch dafür mußte er bis zur Abtragung der Kriegsschuld die Oderfestungen Stettin, Cüstrin und Glogau den Franzosen einräumen und sich ver- pflichten, weder seine Armee über 42,000 Mann hinaus zu verstärken noch eine Landwehr zu bilden. Napoleon gewann also zu den festen Plätzen der Elbe und der Weichsel auch noch den Besitz der Oderlinie, dazu sieben Etappenstraßen quer durch das preußische Gebiet, dergestalt daß seinen Polen und Rheinbündnern und den 70,000 Franzosen, die er zwischen Elbe und Rhein noch zurückhielt, jederzeit der Eintritt offen stand. Er beherrschte Preußen militärisch so vollkommen wie bisher -- auf un- bestimmte Zeit hinaus, da die pünktliche Abzahlung der unerschwinglichen Schuld ganz außer Frage stand; er unterbrach die Rüstungen des ver- dächtigen Bundesgenossen und gewann zudem die freie Verfügung über seine große Armee sowie das Versprechen preußischer Hilfstruppen für den Fall eines Krieges mit Oesterreich!
Der König schwankte lange, ob er diese neue Mißhandlung hin- nehmen dürfe. Er verlangte Herabsetzung der Contribution, wollte weder die Oderfestungen preisgeben noch die Stärke seiner Armee sich vorschreiben lassen und am allerwenigsten sich von seinem Minister tren- nen. Noch blieb ihm eine letzte Hoffnung: die Vermittlung Rußlands. Alexander aber hatte jetzt nur noch Augen für die Erwerbung der Moldau und Walachei; erst wenn dies Ziel seines Ehrgeizes erreicht war durfte man ihm wieder von der Befreiung Europas sprechen. Darum hielt er fest an dem französischen Bündniß und blieb, als er auf der Durchreise zu Napoleon den Königsberger Hof besuchte, den Mahnungen seines preußi- schen Freundes völlig unzugänglich: wohl oder übel müsse man sich mit Frankreich vertragen, er wolle zusehen, ob er von dem Imperator eine Milderung des Pariser Vertrages erlangen könne.
Im October 1808 trafen die beiden Kaiser in Erfurt zusammen. Zum zweiten male, wie vier Jahre zuvor in Mainz, hielt der Protector Deutschlands einen glänzenden Hoftag unter seinen deutschen Vasallen.
Erfurter Zuſammenkunft.
Opfer, und lud ihn zu einer feierlichen Zuſammenkunft ein: das furcht- bare Bündniß der beiden Beherrſcher des Abendlandes und des Morgen- landes ſollte in ſeiner ganzen Pracht und Größe vor den erſchreckten Welttheil treten. In der That nahm Alexander die Einladung an; die Hofburg aber wurde durch die kühne diplomatiſche Schwenkung des Im- perators dermaßen eingeſchüchtert, daß ſie ihre Armee wieder auf Frie- densfuß zu ſetzen verſprach, wenngleich die Rüſtungen in der Stille weiter gingen.
Preußen ſtand wieder völlig vereinſamt, aller Mittel zum Wider- ſtande beraubt. Am 8. September unterzeichnete Prinz Wilhelm die drückenden Bedingungen des Pariſer Vertrags. Die rückſtändige Con- tribution wurde auf 140 Mill. feſtgeſetzt, die franzöſiſche Armee zurückge- rufen; der König ſollte endlich ſeine Staatseinkünfte wieder erhalten, doch dafür mußte er bis zur Abtragung der Kriegsſchuld die Oderfeſtungen Stettin, Cüſtrin und Glogau den Franzoſen einräumen und ſich ver- pflichten, weder ſeine Armee über 42,000 Mann hinaus zu verſtärken noch eine Landwehr zu bilden. Napoleon gewann alſo zu den feſten Plätzen der Elbe und der Weichſel auch noch den Beſitz der Oderlinie, dazu ſieben Etappenſtraßen quer durch das preußiſche Gebiet, dergeſtalt daß ſeinen Polen und Rheinbündnern und den 70,000 Franzoſen, die er zwiſchen Elbe und Rhein noch zurückhielt, jederzeit der Eintritt offen ſtand. Er beherrſchte Preußen militäriſch ſo vollkommen wie bisher — auf un- beſtimmte Zeit hinaus, da die pünktliche Abzahlung der unerſchwinglichen Schuld ganz außer Frage ſtand; er unterbrach die Rüſtungen des ver- dächtigen Bundesgenoſſen und gewann zudem die freie Verfügung über ſeine große Armee ſowie das Verſprechen preußiſcher Hilfstruppen für den Fall eines Krieges mit Oeſterreich!
Der König ſchwankte lange, ob er dieſe neue Mißhandlung hin- nehmen dürfe. Er verlangte Herabſetzung der Contribution, wollte weder die Oderfeſtungen preisgeben noch die Stärke ſeiner Armee ſich vorſchreiben laſſen und am allerwenigſten ſich von ſeinem Miniſter tren- nen. Noch blieb ihm eine letzte Hoffnung: die Vermittlung Rußlands. Alexander aber hatte jetzt nur noch Augen für die Erwerbung der Moldau und Walachei; erſt wenn dies Ziel ſeines Ehrgeizes erreicht war durfte man ihm wieder von der Befreiung Europas ſprechen. Darum hielt er feſt an dem franzöſiſchen Bündniß und blieb, als er auf der Durchreiſe zu Napoleon den Königsberger Hof beſuchte, den Mahnungen ſeines preußi- ſchen Freundes völlig unzugänglich: wohl oder übel müſſe man ſich mit Frankreich vertragen, er wolle zuſehen, ob er von dem Imperator eine Milderung des Pariſer Vertrages erlangen könne.
Im October 1808 trafen die beiden Kaiſer in Erfurt zuſammen. Zum zweiten male, wie vier Jahre zuvor in Mainz, hielt der Protector Deutſchlands einen glänzenden Hoftag unter ſeinen deutſchen Vaſallen.
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0343"n="327"/><fwplace="top"type="header">Erfurter Zuſammenkunft.</fw><lb/>
Opfer, und lud ihn zu einer feierlichen Zuſammenkunft ein: das furcht-<lb/>
bare Bündniß der beiden Beherrſcher des Abendlandes und des Morgen-<lb/>
landes ſollte in ſeiner ganzen Pracht und Größe vor den erſchreckten<lb/>
Welttheil treten. In der That nahm Alexander die Einladung an; die<lb/>
Hofburg aber wurde durch die kühne diplomatiſche Schwenkung des Im-<lb/>
perators dermaßen eingeſchüchtert, daß ſie ihre Armee wieder auf Frie-<lb/>
densfuß zu ſetzen verſprach, wenngleich die Rüſtungen in der Stille weiter<lb/>
gingen.</p><lb/><p>Preußen ſtand wieder völlig vereinſamt, aller Mittel zum Wider-<lb/>ſtande beraubt. Am 8. September unterzeichnete Prinz Wilhelm die<lb/>
drückenden Bedingungen des Pariſer Vertrags. Die rückſtändige Con-<lb/>
tribution wurde auf 140 Mill. feſtgeſetzt, die franzöſiſche Armee zurückge-<lb/>
rufen; der König ſollte endlich ſeine Staatseinkünfte wieder erhalten, doch<lb/>
dafür mußte er bis zur Abtragung der Kriegsſchuld die Oderfeſtungen<lb/>
Stettin, Cüſtrin und Glogau den Franzoſen einräumen und ſich ver-<lb/>
pflichten, weder ſeine Armee über 42,000 Mann hinaus zu verſtärken<lb/>
noch eine Landwehr zu bilden. Napoleon gewann alſo zu den feſten<lb/>
Plätzen der Elbe und der Weichſel auch noch den Beſitz der Oderlinie,<lb/>
dazu ſieben Etappenſtraßen quer durch das preußiſche Gebiet, dergeſtalt<lb/>
daß ſeinen Polen und Rheinbündnern und den 70,000 Franzoſen, die er<lb/>
zwiſchen Elbe und Rhein noch zurückhielt, jederzeit der Eintritt offen ſtand.<lb/>
Er beherrſchte Preußen militäriſch ſo vollkommen wie bisher — auf un-<lb/>
beſtimmte Zeit hinaus, da die pünktliche Abzahlung der unerſchwinglichen<lb/>
Schuld ganz außer Frage ſtand; er unterbrach die Rüſtungen des ver-<lb/>
dächtigen Bundesgenoſſen und gewann zudem die freie Verfügung über<lb/>ſeine große Armee ſowie das Verſprechen preußiſcher Hilfstruppen für den<lb/>
Fall eines Krieges mit Oeſterreich!</p><lb/><p>Der König ſchwankte lange, ob er dieſe neue Mißhandlung hin-<lb/>
nehmen dürfe. Er verlangte Herabſetzung der Contribution, wollte<lb/>
weder die Oderfeſtungen preisgeben noch die Stärke ſeiner Armee ſich<lb/>
vorſchreiben laſſen und am allerwenigſten ſich von ſeinem Miniſter tren-<lb/>
nen. Noch blieb ihm eine letzte Hoffnung: die Vermittlung Rußlands.<lb/>
Alexander aber hatte jetzt nur noch Augen für die Erwerbung der Moldau<lb/>
und Walachei; erſt wenn dies Ziel ſeines Ehrgeizes erreicht war durfte<lb/>
man ihm wieder von der Befreiung Europas ſprechen. Darum hielt er<lb/>
feſt an dem franzöſiſchen Bündniß und blieb, als er auf der Durchreiſe<lb/>
zu Napoleon den Königsberger Hof beſuchte, den Mahnungen ſeines preußi-<lb/>ſchen Freundes völlig unzugänglich: wohl oder übel müſſe man ſich mit<lb/>
Frankreich vertragen, er wolle zuſehen, ob er von dem Imperator eine<lb/>
Milderung des Pariſer Vertrages erlangen könne.</p><lb/><p>Im October 1808 trafen die beiden Kaiſer in Erfurt zuſammen.<lb/>
Zum zweiten male, wie vier Jahre zuvor in Mainz, hielt der Protector<lb/>
Deutſchlands einen glänzenden Hoftag unter ſeinen deutſchen Vaſallen.<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[327/0343]
Erfurter Zuſammenkunft.
Opfer, und lud ihn zu einer feierlichen Zuſammenkunft ein: das furcht-
bare Bündniß der beiden Beherrſcher des Abendlandes und des Morgen-
landes ſollte in ſeiner ganzen Pracht und Größe vor den erſchreckten
Welttheil treten. In der That nahm Alexander die Einladung an; die
Hofburg aber wurde durch die kühne diplomatiſche Schwenkung des Im-
perators dermaßen eingeſchüchtert, daß ſie ihre Armee wieder auf Frie-
densfuß zu ſetzen verſprach, wenngleich die Rüſtungen in der Stille weiter
gingen.
Preußen ſtand wieder völlig vereinſamt, aller Mittel zum Wider-
ſtande beraubt. Am 8. September unterzeichnete Prinz Wilhelm die
drückenden Bedingungen des Pariſer Vertrags. Die rückſtändige Con-
tribution wurde auf 140 Mill. feſtgeſetzt, die franzöſiſche Armee zurückge-
rufen; der König ſollte endlich ſeine Staatseinkünfte wieder erhalten, doch
dafür mußte er bis zur Abtragung der Kriegsſchuld die Oderfeſtungen
Stettin, Cüſtrin und Glogau den Franzoſen einräumen und ſich ver-
pflichten, weder ſeine Armee über 42,000 Mann hinaus zu verſtärken
noch eine Landwehr zu bilden. Napoleon gewann alſo zu den feſten
Plätzen der Elbe und der Weichſel auch noch den Beſitz der Oderlinie,
dazu ſieben Etappenſtraßen quer durch das preußiſche Gebiet, dergeſtalt
daß ſeinen Polen und Rheinbündnern und den 70,000 Franzoſen, die er
zwiſchen Elbe und Rhein noch zurückhielt, jederzeit der Eintritt offen ſtand.
Er beherrſchte Preußen militäriſch ſo vollkommen wie bisher — auf un-
beſtimmte Zeit hinaus, da die pünktliche Abzahlung der unerſchwinglichen
Schuld ganz außer Frage ſtand; er unterbrach die Rüſtungen des ver-
dächtigen Bundesgenoſſen und gewann zudem die freie Verfügung über
ſeine große Armee ſowie das Verſprechen preußiſcher Hilfstruppen für den
Fall eines Krieges mit Oeſterreich!
Der König ſchwankte lange, ob er dieſe neue Mißhandlung hin-
nehmen dürfe. Er verlangte Herabſetzung der Contribution, wollte
weder die Oderfeſtungen preisgeben noch die Stärke ſeiner Armee ſich
vorſchreiben laſſen und am allerwenigſten ſich von ſeinem Miniſter tren-
nen. Noch blieb ihm eine letzte Hoffnung: die Vermittlung Rußlands.
Alexander aber hatte jetzt nur noch Augen für die Erwerbung der Moldau
und Walachei; erſt wenn dies Ziel ſeines Ehrgeizes erreicht war durfte
man ihm wieder von der Befreiung Europas ſprechen. Darum hielt er
feſt an dem franzöſiſchen Bündniß und blieb, als er auf der Durchreiſe
zu Napoleon den Königsberger Hof beſuchte, den Mahnungen ſeines preußi-
ſchen Freundes völlig unzugänglich: wohl oder übel müſſe man ſich mit
Frankreich vertragen, er wolle zuſehen, ob er von dem Imperator eine
Milderung des Pariſer Vertrages erlangen könne.
Im October 1808 trafen die beiden Kaiſer in Erfurt zuſammen.
Zum zweiten male, wie vier Jahre zuvor in Mainz, hielt der Protector
Deutſchlands einen glänzenden Hoftag unter ſeinen deutſchen Vaſallen.
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 327. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/343>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.