deutschen Particularismus; Friedrich von Württemberg tobte im Zorne der beleidigten Majestät, als der Herzog von Braunschweig ihn an das gemein- same Vaterland und an die Pflichten deutscher Fürsten mahnte. Die süd- deutschen Offiziere frohlockten bei dem Gedanken endlich einmal diesen übermüthigen Preußen die Schande von Roßbach und von Leuthen zu vergelten; die Lanzknechtsroheit der bairischen und württembergischen Sol- daten hauste in den preußischen Quartieren noch ärger als die Fran- zosen selbst.
Wohl war es ein heiliger Krieg; erst durch ihn und sein schreckliches Mißlingen wurde die alte Ordnung des deutschen Lebens völlig vernichtet. Was dort in Regensburg zusammenstürzte war ein leerer Schatten; was aber auf den Schlachtfeldern Thüringens und Ostpreußens zertrümmert wurde, das war der lebendige deutsche Staat, der einzige, der dem poli- tischen Dasein dieses Volkes einen Inhalt und ein Ziel gegeben hatte. Ihn traf das Verderben, als er nach langer Verirrung sich wieder auf sich selbst besann, den Kampf aufnahm wider die Zwingherrschaft der Fremden und die Felonie der heimischen Fürsten. Nichts konnte ehrlicher sein als der schonungslos aufrichtige Absagebrief des Königs an Napoleon; nichts berechtigter als die drei Forderungen des preußischen Ultimatums vom 1. October: Abzug der Franzosen aus Deutschland, Anerkennung des Norddeutschen Bundes, friedliche Verständigung über die andern zwischen den beiden Mächten noch schwebenden Streitfragen. Selbst aus dem weit- läuftigen ungeschickten Kriegsmanifeste brach doch zuweilen ein Ton würdigen nationalen Stolzes hervor: der König ergreift die Waffen "um das un- glückliche Deutschland von dem Joche, worunter es erliegt, zu befreien; vor allen Tractaten haben die Nationen ihre Rechte!"
Im Volke wie im Heere regte sich noch kaum eine Ahnung von dem großen Sinne des Krieges. Wie ein Prediger in der Wüste stand Schleier- macher auf der Kanzel der Ulrichskirche zu Halle und deutete den Verblen- deten die Zeichen der Zeit: "unser Aller Leben ist eingewurzelt in deutscher Freiheit und deutscher Gesinnung; und diese gilt es!" Auch Fichte blieb noch einsam, von Wenigen verstanden. Sobald der Ernst des Kampfes an Preußen herantrat, erwachte in dem tapferen Manne die lebendige Staatsgesinnung; alle seine weltbürgerlichen Träume warf er entschlossen hinter sich, und mit flammenden Worten pries er den Beruf des vaterländischen Kriegers: "was ist der Charakter des Kriegers? opfern muß er sich können. In ihm kann die wahre Gesinnung, die rechte Ehrliebe gar nicht ausgehen, die Erhebung zu etwas, was über das Leben und seine Genüsse hinausliegt." In den selbstgenügsamen Kreisen des Offizierscorps hatte man kaum ein geringschätziges Lächeln übrig für die begeisterten Reden des sonderbaren Schwärmers; hier herrschte noch der steife Dünkel der fridericianischen Zeiten und daneben eine freche Tadelsucht, die an jedem Befehle der Vor- gesetzten ihren Witz übte. Niemand übersah noch vollständig, wie schwer
Krieg von 1806.
deutſchen Particularismus; Friedrich von Württemberg tobte im Zorne der beleidigten Majeſtät, als der Herzog von Braunſchweig ihn an das gemein- ſame Vaterland und an die Pflichten deutſcher Fürſten mahnte. Die ſüd- deutſchen Offiziere frohlockten bei dem Gedanken endlich einmal dieſen übermüthigen Preußen die Schande von Roßbach und von Leuthen zu vergelten; die Lanzknechtsroheit der bairiſchen und württembergiſchen Sol- daten hauſte in den preußiſchen Quartieren noch ärger als die Fran- zoſen ſelbſt.
Wohl war es ein heiliger Krieg; erſt durch ihn und ſein ſchreckliches Mißlingen wurde die alte Ordnung des deutſchen Lebens völlig vernichtet. Was dort in Regensburg zuſammenſtürzte war ein leerer Schatten; was aber auf den Schlachtfeldern Thüringens und Oſtpreußens zertrümmert wurde, das war der lebendige deutſche Staat, der einzige, der dem poli- tiſchen Daſein dieſes Volkes einen Inhalt und ein Ziel gegeben hatte. Ihn traf das Verderben, als er nach langer Verirrung ſich wieder auf ſich ſelbſt beſann, den Kampf aufnahm wider die Zwingherrſchaft der Fremden und die Felonie der heimiſchen Fürſten. Nichts konnte ehrlicher ſein als der ſchonungslos aufrichtige Abſagebrief des Königs an Napoleon; nichts berechtigter als die drei Forderungen des preußiſchen Ultimatums vom 1. October: Abzug der Franzoſen aus Deutſchland, Anerkennung des Norddeutſchen Bundes, friedliche Verſtändigung über die andern zwiſchen den beiden Mächten noch ſchwebenden Streitfragen. Selbſt aus dem weit- läuftigen ungeſchickten Kriegsmanifeſte brach doch zuweilen ein Ton würdigen nationalen Stolzes hervor: der König ergreift die Waffen „um das un- glückliche Deutſchland von dem Joche, worunter es erliegt, zu befreien; vor allen Tractaten haben die Nationen ihre Rechte!“
Im Volke wie im Heere regte ſich noch kaum eine Ahnung von dem großen Sinne des Krieges. Wie ein Prediger in der Wüſte ſtand Schleier- macher auf der Kanzel der Ulrichskirche zu Halle und deutete den Verblen- deten die Zeichen der Zeit: „unſer Aller Leben iſt eingewurzelt in deutſcher Freiheit und deutſcher Geſinnung; und dieſe gilt es!“ Auch Fichte blieb noch einſam, von Wenigen verſtanden. Sobald der Ernſt des Kampfes an Preußen herantrat, erwachte in dem tapferen Manne die lebendige Staatsgeſinnung; alle ſeine weltbürgerlichen Träume warf er entſchloſſen hinter ſich, und mit flammenden Worten pries er den Beruf des vaterländiſchen Kriegers: „was iſt der Charakter des Kriegers? opfern muß er ſich können. In ihm kann die wahre Geſinnung, die rechte Ehrliebe gar nicht ausgehen, die Erhebung zu etwas, was über das Leben und ſeine Genüſſe hinausliegt.“ In den ſelbſtgenügſamen Kreiſen des Offizierscorps hatte man kaum ein geringſchätziges Lächeln übrig für die begeiſterten Reden des ſonderbaren Schwärmers; hier herrſchte noch der ſteife Dünkel der fridericianiſchen Zeiten und daneben eine freche Tadelſucht, die an jedem Befehle der Vor- geſetzten ihren Witz übte. Niemand überſah noch vollſtändig, wie ſchwer
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Krieg von 1806.
deutſchen Particularismus; Friedrich von Württemberg tobte im Zorne der
beleidigten Majeſtät, als der Herzog von Braunſchweig ihn an das gemein-
ſame Vaterland und an die Pflichten deutſcher Fürſten mahnte. Die ſüd-
deutſchen Offiziere frohlockten bei dem Gedanken endlich einmal dieſen
übermüthigen Preußen die Schande von Roßbach und von Leuthen zu
vergelten; die Lanzknechtsroheit der bairiſchen und württembergiſchen Sol-
daten hauſte in den preußiſchen Quartieren noch ärger als die Fran-
zoſen ſelbſt.
Wohl war es ein heiliger Krieg; erſt durch ihn und ſein ſchreckliches
Mißlingen wurde die alte Ordnung des deutſchen Lebens völlig vernichtet.
Was dort in Regensburg zuſammenſtürzte war ein leerer Schatten; was
aber auf den Schlachtfeldern Thüringens und Oſtpreußens zertrümmert
wurde, das war der lebendige deutſche Staat, der einzige, der dem poli-
tiſchen Daſein dieſes Volkes einen Inhalt und ein Ziel gegeben hatte.
Ihn traf das Verderben, als er nach langer Verirrung ſich wieder auf
ſich ſelbſt beſann, den Kampf aufnahm wider die Zwingherrſchaft der
Fremden und die Felonie der heimiſchen Fürſten. Nichts konnte ehrlicher
ſein als der ſchonungslos aufrichtige Abſagebrief des Königs an Napoleon;
nichts berechtigter als die drei Forderungen des preußiſchen Ultimatums
vom 1. October: Abzug der Franzoſen aus Deutſchland, Anerkennung des
Norddeutſchen Bundes, friedliche Verſtändigung über die andern zwiſchen
den beiden Mächten noch ſchwebenden Streitfragen. Selbſt aus dem weit-
läuftigen ungeſchickten Kriegsmanifeſte brach doch zuweilen ein Ton würdigen
nationalen Stolzes hervor: der König ergreift die Waffen „um das un-
glückliche Deutſchland von dem Joche, worunter es erliegt, zu befreien;
vor allen Tractaten haben die Nationen ihre Rechte!“
Im Volke wie im Heere regte ſich noch kaum eine Ahnung von dem
großen Sinne des Krieges. Wie ein Prediger in der Wüſte ſtand Schleier-
macher auf der Kanzel der Ulrichskirche zu Halle und deutete den Verblen-
deten die Zeichen der Zeit: „unſer Aller Leben iſt eingewurzelt in deutſcher
Freiheit und deutſcher Geſinnung; und dieſe gilt es!“ Auch Fichte blieb noch
einſam, von Wenigen verſtanden. Sobald der Ernſt des Kampfes an Preußen
herantrat, erwachte in dem tapferen Manne die lebendige Staatsgeſinnung;
alle ſeine weltbürgerlichen Träume warf er entſchloſſen hinter ſich, und
mit flammenden Worten pries er den Beruf des vaterländiſchen Kriegers:
„was iſt der Charakter des Kriegers? opfern muß er ſich können. In ihm
kann die wahre Geſinnung, die rechte Ehrliebe gar nicht ausgehen, die
Erhebung zu etwas, was über das Leben und ſeine Genüſſe hinausliegt.“
In den ſelbſtgenügſamen Kreiſen des Offizierscorps hatte man kaum ein
geringſchätziges Lächeln übrig für die begeiſterten Reden des ſonderbaren
Schwärmers; hier herrſchte noch der ſteife Dünkel der fridericianiſchen
Zeiten und daneben eine freche Tadelſucht, die an jedem Befehle der Vor-
geſetzten ihren Witz übte. Niemand überſah noch vollſtändig, wie ſchwer
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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 245. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/261>, abgerufen am 24.11.2024.
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