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Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879.

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I. 2. Revolution und Fremdherrschaft.
die Armee durch den tiefen Schlummer des jüngsten Jahrzehnts gelitten
hatte. Am Richtigsten vielleicht urtheilte der König selbst; die Unordnung,
das Besserwissen, die Schwerfälligkeit in Allem und Jedem entgingen
seinem klaren Blicke nicht; doch wie hätte der Schüchterne gegen den welt-
berühmten alten Braunschweiger sein Ansehen brauchen sollen? Der ge-
meine Soldat that mechanisch seine Schuldigkeit. Die Massen des Volkes
blieben kalt und gleichgiltig; nur die Alten, die den großen König noch
gekannt, vertrauten fest auf die scharfen Fänge des preußischen Adlers,
sprachen prahlend von dem Zuge nach Paris.

So begann der einzige gänzlich verlorene Feldzug der glückhaften
preußischen Kriegsgeschichte. Beispiellos wie das Aufsteigen dieses Staates
gewesen, sollten auch seine Niederlagen werden, allen kommenden Ge-
schlechtern unvergeßlich wie selbsterlebtes Leid, allen eine Mahnung zur
Wachsamkeit, zur Demuth und zur Treue. Napoleon flammte auf in
wilder Schadenfreude, als er die ruhmreichste der alten Mächte so hilf-
los unter seinen Griffen sah; die Schmähungen troffen ihm von den
Lippen; noch niemals war er so ganz Leidenschaft, so ganz Haß und
Grimm gewesen. Er fühlte, daß in diesem Staate Deutschlands letzte Hoff-
nung lag; er ahnte mit dem Instinkte der Gemeinheit, daß diese Hohen-
zollern doch von anderem Metall waren als Kaiser Franz und die Satrapen
des Rheinbundes. In seinen Ansprachen an die Armee überschüttete er
vor Allen die edle Königin mit pöbelhaftem Schimpf; sie, die an den ent-
scheidenden Berathungen des Augusts gar keinen Antheil genommen, sollte
die Schuld tragen an "dem Bürgerkriege", der das arglose Frankreich so
ganz unvermuthet überraschte; sie dürstete nach Blut, sie setzte, eine andere
Armida, im Wahnsinn ihr eigenes Schloß in Brand. Noch bevor die
Schwerter an einander schlugen war bereits entschieden, daß zwischen Napo-
leon und den Hohenzollern nie wieder ein ehrlicher Friede bestehen konnte.
Höhnend schloß der Imperator sein Kriegsmanifest: möge Preußen lernen,
daß, wenn es leicht ist durch die Freundschaft der großen Nation Land
und Leute zu gewinnen, ihre Feindschaft schrecklicher ist als die Stürme
des Oceans!

Wie Haugwitz durch die Eigenmächtigkeiten des letzten Winters den
Staat in seine verzweifelte diplomatische Lage gebracht hatte, so verschuldete
er auch die verfehlte Einleitung des Feldzugs. Trotz ihres ungeheuren
Trosses hatte die preußische Armee ihren Aufmarsch in Thüringen früher
beendet als der Feind; aber der beabsichtigte Einfall in Franken unter-
blieb, weil Haugwitz erst den Erfolg seines Ultimatums abwarten wollte.
Man verlor einige unschätzbare Tage in zwecklosem Verweilen nördlich
des Thüringerwaldes. Da kam die Nachricht, daß der Feind durch das
östliche Thüringen auf der Nürnberg-Leipziger-Straße heraneile, die linke
Flanke der Preußen bedrohend. Der Herzog von Braunschweig fürchtete
für seine Rückzugslinie und befahl den Abmarsch nach der Elbe. Auf

I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft.
die Armee durch den tiefen Schlummer des jüngſten Jahrzehnts gelitten
hatte. Am Richtigſten vielleicht urtheilte der König ſelbſt; die Unordnung,
das Beſſerwiſſen, die Schwerfälligkeit in Allem und Jedem entgingen
ſeinem klaren Blicke nicht; doch wie hätte der Schüchterne gegen den welt-
berühmten alten Braunſchweiger ſein Anſehen brauchen ſollen? Der ge-
meine Soldat that mechaniſch ſeine Schuldigkeit. Die Maſſen des Volkes
blieben kalt und gleichgiltig; nur die Alten, die den großen König noch
gekannt, vertrauten feſt auf die ſcharfen Fänge des preußiſchen Adlers,
ſprachen prahlend von dem Zuge nach Paris.

So begann der einzige gänzlich verlorene Feldzug der glückhaften
preußiſchen Kriegsgeſchichte. Beiſpiellos wie das Aufſteigen dieſes Staates
geweſen, ſollten auch ſeine Niederlagen werden, allen kommenden Ge-
ſchlechtern unvergeßlich wie ſelbſterlebtes Leid, allen eine Mahnung zur
Wachſamkeit, zur Demuth und zur Treue. Napoleon flammte auf in
wilder Schadenfreude, als er die ruhmreichſte der alten Mächte ſo hilf-
los unter ſeinen Griffen ſah; die Schmähungen troffen ihm von den
Lippen; noch niemals war er ſo ganz Leidenſchaft, ſo ganz Haß und
Grimm geweſen. Er fühlte, daß in dieſem Staate Deutſchlands letzte Hoff-
nung lag; er ahnte mit dem Inſtinkte der Gemeinheit, daß dieſe Hohen-
zollern doch von anderem Metall waren als Kaiſer Franz und die Satrapen
des Rheinbundes. In ſeinen Anſprachen an die Armee überſchüttete er
vor Allen die edle Königin mit pöbelhaftem Schimpf; ſie, die an den ent-
ſcheidenden Berathungen des Auguſts gar keinen Antheil genommen, ſollte
die Schuld tragen an „dem Bürgerkriege“, der das argloſe Frankreich ſo
ganz unvermuthet überraſchte; ſie dürſtete nach Blut, ſie ſetzte, eine andere
Armida, im Wahnſinn ihr eigenes Schloß in Brand. Noch bevor die
Schwerter an einander ſchlugen war bereits entſchieden, daß zwiſchen Napo-
leon und den Hohenzollern nie wieder ein ehrlicher Friede beſtehen konnte.
Höhnend ſchloß der Imperator ſein Kriegsmanifeſt: möge Preußen lernen,
daß, wenn es leicht iſt durch die Freundſchaft der großen Nation Land
und Leute zu gewinnen, ihre Feindſchaft ſchrecklicher iſt als die Stürme
des Oceans!

Wie Haugwitz durch die Eigenmächtigkeiten des letzten Winters den
Staat in ſeine verzweifelte diplomatiſche Lage gebracht hatte, ſo verſchuldete
er auch die verfehlte Einleitung des Feldzugs. Trotz ihres ungeheuren
Troſſes hatte die preußiſche Armee ihren Aufmarſch in Thüringen früher
beendet als der Feind; aber der beabſichtigte Einfall in Franken unter-
blieb, weil Haugwitz erſt den Erfolg ſeines Ultimatums abwarten wollte.
Man verlor einige unſchätzbare Tage in zweckloſem Verweilen nördlich
des Thüringerwaldes. Da kam die Nachricht, daß der Feind durch das
öſtliche Thüringen auf der Nürnberg-Leipziger-Straße heraneile, die linke
Flanke der Preußen bedrohend. Der Herzog von Braunſchweig fürchtete
für ſeine Rückzugslinie und befahl den Abmarſch nach der Elbe. Auf

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[246/0262] I. 2. Revolution und Fremdherrſchaft. die Armee durch den tiefen Schlummer des jüngſten Jahrzehnts gelitten hatte. Am Richtigſten vielleicht urtheilte der König ſelbſt; die Unordnung, das Beſſerwiſſen, die Schwerfälligkeit in Allem und Jedem entgingen ſeinem klaren Blicke nicht; doch wie hätte der Schüchterne gegen den welt- berühmten alten Braunſchweiger ſein Anſehen brauchen ſollen? Der ge- meine Soldat that mechaniſch ſeine Schuldigkeit. Die Maſſen des Volkes blieben kalt und gleichgiltig; nur die Alten, die den großen König noch gekannt, vertrauten feſt auf die ſcharfen Fänge des preußiſchen Adlers, ſprachen prahlend von dem Zuge nach Paris. So begann der einzige gänzlich verlorene Feldzug der glückhaften preußiſchen Kriegsgeſchichte. Beiſpiellos wie das Aufſteigen dieſes Staates geweſen, ſollten auch ſeine Niederlagen werden, allen kommenden Ge- ſchlechtern unvergeßlich wie ſelbſterlebtes Leid, allen eine Mahnung zur Wachſamkeit, zur Demuth und zur Treue. Napoleon flammte auf in wilder Schadenfreude, als er die ruhmreichſte der alten Mächte ſo hilf- los unter ſeinen Griffen ſah; die Schmähungen troffen ihm von den Lippen; noch niemals war er ſo ganz Leidenſchaft, ſo ganz Haß und Grimm geweſen. Er fühlte, daß in dieſem Staate Deutſchlands letzte Hoff- nung lag; er ahnte mit dem Inſtinkte der Gemeinheit, daß dieſe Hohen- zollern doch von anderem Metall waren als Kaiſer Franz und die Satrapen des Rheinbundes. In ſeinen Anſprachen an die Armee überſchüttete er vor Allen die edle Königin mit pöbelhaftem Schimpf; ſie, die an den ent- ſcheidenden Berathungen des Auguſts gar keinen Antheil genommen, ſollte die Schuld tragen an „dem Bürgerkriege“, der das argloſe Frankreich ſo ganz unvermuthet überraſchte; ſie dürſtete nach Blut, ſie ſetzte, eine andere Armida, im Wahnſinn ihr eigenes Schloß in Brand. Noch bevor die Schwerter an einander ſchlugen war bereits entſchieden, daß zwiſchen Napo- leon und den Hohenzollern nie wieder ein ehrlicher Friede beſtehen konnte. Höhnend ſchloß der Imperator ſein Kriegsmanifeſt: möge Preußen lernen, daß, wenn es leicht iſt durch die Freundſchaft der großen Nation Land und Leute zu gewinnen, ihre Feindſchaft ſchrecklicher iſt als die Stürme des Oceans! Wie Haugwitz durch die Eigenmächtigkeiten des letzten Winters den Staat in ſeine verzweifelte diplomatiſche Lage gebracht hatte, ſo verſchuldete er auch die verfehlte Einleitung des Feldzugs. Trotz ihres ungeheuren Troſſes hatte die preußiſche Armee ihren Aufmarſch in Thüringen früher beendet als der Feind; aber der beabſichtigte Einfall in Franken unter- blieb, weil Haugwitz erſt den Erfolg ſeines Ultimatums abwarten wollte. Man verlor einige unſchätzbare Tage in zweckloſem Verweilen nördlich des Thüringerwaldes. Da kam die Nachricht, daß der Feind durch das öſtliche Thüringen auf der Nürnberg-Leipziger-Straße heraneile, die linke Flanke der Preußen bedrohend. Der Herzog von Braunſchweig fürchtete für ſeine Rückzugslinie und befahl den Abmarſch nach der Elbe. Auf

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Zitationshilfe: Treitschke, Heinrich von: Deutsche Geschichte im Neunzehnten Jahrhundert. Bd. 1: Bis zum zweiten Pariser Frieden. Leipzig, 1879, S. 246. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/treitschke_geschichte01_1879/262>, abgerufen am 24.11.2024.