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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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mag. Beides hat mit dem Stande des Knechtes nicht
eine nothwendige, nicht einmal eine besonders wahrschein-
liche Verbindung. Wenn der dauernd Misshandelte, sowie
der Speichellecker, ihrer ganzen Beschaffenheit nach Sklaven
sind, so ist dagegen der Knecht, welcher Freud und Leid
der Familie theilt, welcher seinem Herren die Ehrfurcht
eines altersreifen Sohnes zollt, und das Vertrauen eines
Gehülfen, oder gar eines Rathgebers geniesst, seiner ganzen
Beschaffenheit nach ein Freier.

§ 14.

Die Verfassung des Hauses ist hier zuvörderst wichtig
als Haushaltung, d. i. in ihrem ökonomischen Aspect,
als zusammen arbeitende und zusammen geniessende Gemein-
schaft. Der sich gleich Athemzügen immer wiederholende
menschliche Genuss ist die Ernährung, daher Schaffung und
Bereitung von Speise und Trank die nothwendige und regel-
mässige Arbeit. Wie sich zwischen den Geschlechtern die-
selbe theilt, ist schon erwähnt worden. Und wie Wald,
Feld und Acker die natürliche äussere Sphäre, so ist der
Herd und sein lebendiges Feuer gleichsam der Kern und
die Essenz des Hauses selbst, die Stätte, um welche sich
Mann und Weib, Jung und Alt, Herr und Knecht, zur
Theilnahme am Mahle versammeln. So wird Herd-Feuer
und Tafel symbolisch bedeutend: jenes als die im
Wechsel der Generationen dauernde Lebenskraft des Hauses;
diese als die gegenwärtigen Mitglieder zur Erhaltung und
Erneuerung von Leib und Seele vereinend. Die Tafel ist
das Haus selber, insofern, als Jeder darin seinen Platz hat
und sein gebührend Theil zugewiesen erhält. Wie vorher
um der einheitlichen Arbeit willen die Genossen sich theilen
und trennen, so findet hier die Wiedervereinigung statt um
der nothwendigen Vertheilung des Genusses willen. Und
analog ist der gemeinschaftliche und gesonderte Genuss aller
übrigen Güter, welche getheilte und gemeinsame Arbeit
hervorbringt. Hingegen widerspricht der eigentliche Tausch
dem Wesen des Hauses; es sei denn insofern er unterhalb
der Vertheilung stattfindet und als die Individuen an dem
ihnen Zugewiesenen ein unabhängiges Eigenthum haben

mag. Beides hat mit dem Stande des Knechtes nicht
eine nothwendige, nicht einmal eine besonders wahrschein-
liche Verbindung. Wenn der dauernd Misshandelte, sowie
der Speichellecker, ihrer ganzen Beschaffenheit nach Sklaven
sind, so ist dagegen der Knecht, welcher Freud und Leid
der Familie theilt, welcher seinem Herren die Ehrfurcht
eines altersreifen Sohnes zollt, und das Vertrauen eines
Gehülfen, oder gar eines Rathgebers geniesst, seiner ganzen
Beschaffenheit nach ein Freier.

§ 14.

Die Verfassung des Hauses ist hier zuvörderst wichtig
als Haushaltung, d. i. in ihrem ökonomischen Aspect,
als zusammen arbeitende und zusammen geniessende Gemein-
schaft. Der sich gleich Athemzügen immer wiederholende
menschliche Genuss ist die Ernährung, daher Schaffung und
Bereitung von Speise und Trank die nothwendige und regel-
mässige Arbeit. Wie sich zwischen den Geschlechtern die-
selbe theilt, ist schon erwähnt worden. Und wie Wald,
Feld und Acker die natürliche äussere Sphäre, so ist der
Herd und sein lebendiges Feuer gleichsam der Kern und
die Essenz des Hauses selbst, die Stätte, um welche sich
Mann und Weib, Jung und Alt, Herr und Knecht, zur
Theilnahme am Mahle versammeln. So wird Herd-Feuer
und Tafel symbolisch bedeutend: jenes als die im
Wechsel der Generationen dauernde Lebenskraft des Hauses;
diese als die gegenwärtigen Mitglieder zur Erhaltung und
Erneuerung von Leib und Seele vereinend. Die Tafel ist
das Haus selber, insofern, als Jeder darin seinen Platz hat
und sein gebührend Theil zugewiesen erhält. Wie vorher
um der einheitlichen Arbeit willen die Genossen sich theilen
und trennen, so findet hier die Wiedervereinigung statt um
der nothwendigen Vertheilung des Genusses willen. Und
analog ist der gemeinschaftliche und gesonderte Genuss aller
übrigen Güter, welche getheilte und gemeinsame Arbeit
hervorbringt. Hingegen widerspricht der eigentliche Tausch
dem Wesen des Hauses; es sei denn insofern er unterhalb
der Vertheilung stattfindet und als die Individuen an dem
ihnen Zugewiesenen ein unabhängiges Eigenthum haben

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[32/0068] mag. Beides hat mit dem Stande des Knechtes nicht eine nothwendige, nicht einmal eine besonders wahrschein- liche Verbindung. Wenn der dauernd Misshandelte, sowie der Speichellecker, ihrer ganzen Beschaffenheit nach Sklaven sind, so ist dagegen der Knecht, welcher Freud und Leid der Familie theilt, welcher seinem Herren die Ehrfurcht eines altersreifen Sohnes zollt, und das Vertrauen eines Gehülfen, oder gar eines Rathgebers geniesst, seiner ganzen Beschaffenheit nach ein Freier. § 14. Die Verfassung des Hauses ist hier zuvörderst wichtig als Haushaltung, d. i. in ihrem ökonomischen Aspect, als zusammen arbeitende und zusammen geniessende Gemein- schaft. Der sich gleich Athemzügen immer wiederholende menschliche Genuss ist die Ernährung, daher Schaffung und Bereitung von Speise und Trank die nothwendige und regel- mässige Arbeit. Wie sich zwischen den Geschlechtern die- selbe theilt, ist schon erwähnt worden. Und wie Wald, Feld und Acker die natürliche äussere Sphäre, so ist der Herd und sein lebendiges Feuer gleichsam der Kern und die Essenz des Hauses selbst, die Stätte, um welche sich Mann und Weib, Jung und Alt, Herr und Knecht, zur Theilnahme am Mahle versammeln. So wird Herd-Feuer und Tafel symbolisch bedeutend: jenes als die im Wechsel der Generationen dauernde Lebenskraft des Hauses; diese als die gegenwärtigen Mitglieder zur Erhaltung und Erneuerung von Leib und Seele vereinend. Die Tafel ist das Haus selber, insofern, als Jeder darin seinen Platz hat und sein gebührend Theil zugewiesen erhält. Wie vorher um der einheitlichen Arbeit willen die Genossen sich theilen und trennen, so findet hier die Wiedervereinigung statt um der nothwendigen Vertheilung des Genusses willen. Und analog ist der gemeinschaftliche und gesonderte Genuss aller übrigen Güter, welche getheilte und gemeinsame Arbeit hervorbringt. Hingegen widerspricht der eigentliche Tausch dem Wesen des Hauses; es sei denn insofern er unterhalb der Vertheilung stattfindet und als die Individuen an dem ihnen Zugewiesenen ein unabhängiges Eigenthum haben

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 32. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/68>, abgerufen am 24.11.2024.