Sphären, welche sich wie um dasselbe Centrum bewegen. Die innerste Sphäre ist zugleich die älteste: der Herr und die Frau; oder Frauen, wenn sie in gleicher Würde neben einander stehen. Es folgen die Nachkommen; und diese mögen, selber der Ehe theilhaftig, dennoch in dieser Sphäre verharren. Den äussersten Kreis bilden die dienenden Glie- der: Knechte und Mägde: diese verhalten sich wie eine jüngste Schicht, es sind Anwüchse, mehr oder minder ver- wandten Stoffes, welche nur insofern der Gemeinschaft an- ders denn als Objecte und durch Zwang angehören, als sie durch den gemeinsamen Geist und Willen assimilirt werden und mit ihrem eigenen Willen sich darein fügen und zu- frieden sind. Aehnlich ist das Verhältniss der von aussen gewonnenen, heimgeführten Weiber zu ihren Gatten; und wie zwischen diesen die Kinder als Erzeugte entstehen, so bilden Kinder als Nachkommen und Abhängige eine Ver- mittlung und Zwischenstand von Herrschaft zu Knechtschaft. Von diesen constituirenden Elementen ist das letzte zwar am ehesten entbehrlich; aber es ist zugleich die nothwendige Form, in welche Feinde oder Fremde eingehen müssen, um am Leben eines Hauses Theil zu nehmen; wenn nicht Fremde als Gäste eines Mitgenusses gewürdigt werden, der seiner Natur nach undauernder ist, aber für die Weile einer Theil- nahme an der Herrschaft um so mehr sich nähert, je mehr der Gast mit Ehrfurcht und Liebe empfangen wird; je ge- ringer geachtet, desto mehr der Knechtschaft ähnlich. Der Knechtesstand selber kann der Kindschaft ähnlich werden, aber auf der anderen Seite in den Begriff des Sklaven übergehen, wenn die Würde des Menschen durch seine Behandlung verachtet wird. Ein so tiefes als gedankenloses Vorurtheil erklärt die Knechtschaft als an und für sich unwürdig, weil der Gleichheit des Menschen-Antlitzes wider- sprechend. In Wahrheit kann durch ein sklavisches Be- tragen, sei es aus Furcht, gewohnheitsmässig, abergläubisch, sei es aus kühler Erkenntniss seines Interesses und aus Berechnung, ein Mensch in den mannigfachsten Verhält- nissen, sich so tief unter einen Anderen erniedrigen, als Uebermuth und Wildheit eines tyrannischen Herren die ihm Untergebenen zu bedrücken und zu quälen versuchen
Sphären, welche sich wie um dasselbe Centrum bewegen. Die innerste Sphäre ist zugleich die älteste: der Herr und die Frau; oder Frauen, wenn sie in gleicher Würde neben einander stehen. Es folgen die Nachkommen; und diese mögen, selber der Ehe theilhaftig, dennoch in dieser Sphäre verharren. Den äussersten Kreis bilden die dienenden Glie- der: Knechte und Mägde: diese verhalten sich wie eine jüngste Schicht, es sind Anwüchse, mehr oder minder ver- wandten Stoffes, welche nur insofern der Gemeinschaft an- ders denn als Objecte und durch Zwang angehören, als sie durch den gemeinsamen Geist und Willen assimilirt werden und mit ihrem eigenen Willen sich darein fügen und zu- frieden sind. Aehnlich ist das Verhältniss der von aussen gewonnenen, heimgeführten Weiber zu ihren Gatten; und wie zwischen diesen die Kinder als Erzeugte entstehen, so bilden Kinder als Nachkommen und Abhängige eine Ver- mittlung und Zwischenstand von Herrschaft zu Knechtschaft. Von diesen constituirenden Elementen ist das letzte zwar am ehesten entbehrlich; aber es ist zugleich die nothwendige Form, in welche Feinde oder Fremde eingehen müssen, um am Leben eines Hauses Theil zu nehmen; wenn nicht Fremde als Gäste eines Mitgenusses gewürdigt werden, der seiner Natur nach undauernder ist, aber für die Weile einer Theil- nahme an der Herrschaft um so mehr sich nähert, je mehr der Gast mit Ehrfurcht und Liebe empfangen wird; je ge- ringer geachtet, desto mehr der Knechtschaft ähnlich. Der Knechtesstand selber kann der Kindschaft ähnlich werden, aber auf der anderen Seite in den Begriff des Sklaven übergehen, wenn die Würde des Menschen durch seine Behandlung verachtet wird. Ein so tiefes als gedankenloses Vorurtheil erklärt die Knechtschaft als an und für sich unwürdig, weil der Gleichheit des Menschen-Antlitzes wider- sprechend. In Wahrheit kann durch ein sklavisches Be- tragen, sei es aus Furcht, gewohnheitsmässig, abergläubisch, sei es aus kühler Erkenntniss seines Interesses und aus Berechnung, ein Mensch in den mannigfachsten Verhält- nissen, sich so tief unter einen Anderen erniedrigen, als Uebermuth und Wildheit eines tyrannischen Herren die ihm Untergebenen zu bedrücken und zu quälen versuchen
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0067"n="31"/>
Sphären, welche sich wie um dasselbe Centrum bewegen.<lb/>
Die innerste Sphäre ist zugleich die älteste: der Herr und<lb/>
die Frau; oder Frauen, wenn sie in gleicher Würde neben<lb/>
einander stehen. Es folgen die Nachkommen; und diese<lb/>
mögen, selber der Ehe theilhaftig, dennoch in dieser Sphäre<lb/>
verharren. Den äussersten Kreis bilden die dienenden Glie-<lb/>
der: Knechte und Mägde: diese verhalten sich wie eine<lb/>
jüngste Schicht, es sind Anwüchse, mehr oder minder ver-<lb/>
wandten Stoffes, welche nur insofern der Gemeinschaft an-<lb/>
ders denn als Objecte und durch Zwang angehören, als sie<lb/>
durch den gemeinsamen Geist und Willen assimilirt werden<lb/>
und mit ihrem eigenen Willen sich darein fügen und zu-<lb/>
frieden sind. Aehnlich ist das Verhältniss der von aussen<lb/>
gewonnenen, heimgeführten Weiber zu ihren Gatten; und<lb/>
wie zwischen diesen die Kinder als Erzeugte entstehen, so<lb/>
bilden Kinder als Nachkommen und Abhängige eine Ver-<lb/>
mittlung und Zwischenstand von Herrschaft zu Knechtschaft.<lb/>
Von diesen constituirenden Elementen ist das letzte zwar<lb/>
am ehesten entbehrlich; aber es ist zugleich die nothwendige<lb/>
Form, in welche Feinde oder Fremde eingehen müssen, um<lb/>
am Leben eines Hauses Theil zu nehmen; wenn nicht Fremde<lb/>
als <hirendition="#g">Gäste</hi> eines Mitgenusses gewürdigt werden, der seiner<lb/>
Natur nach undauernder ist, aber für die Weile einer Theil-<lb/>
nahme an der Herrschaft um so mehr sich nähert, je mehr<lb/>
der Gast mit Ehrfurcht und Liebe empfangen wird; je ge-<lb/>
ringer geachtet, desto mehr der Knechtschaft ähnlich. Der<lb/>
Knechtesstand selber kann der Kindschaft ähnlich werden,<lb/>
aber auf der anderen Seite in den Begriff des Sklaven<lb/>
übergehen, wenn die Würde des Menschen durch seine<lb/>
Behandlung verachtet wird. Ein so tiefes als gedankenloses<lb/>
Vorurtheil erklärt die Knechtschaft als an und für sich<lb/>
unwürdig, weil der Gleichheit des Menschen-Antlitzes wider-<lb/>
sprechend. In Wahrheit kann durch ein sklavisches Be-<lb/>
tragen, sei es aus Furcht, gewohnheitsmässig, abergläubisch,<lb/>
sei es aus kühler Erkenntniss seines Interesses und aus<lb/>
Berechnung, ein Mensch in den mannigfachsten Verhält-<lb/>
nissen, sich so tief unter einen Anderen erniedrigen, als<lb/>
Uebermuth und Wildheit eines tyrannischen Herren die<lb/>
ihm Untergebenen zu bedrücken und zu quälen versuchen<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[31/0067]
Sphären, welche sich wie um dasselbe Centrum bewegen.
Die innerste Sphäre ist zugleich die älteste: der Herr und
die Frau; oder Frauen, wenn sie in gleicher Würde neben
einander stehen. Es folgen die Nachkommen; und diese
mögen, selber der Ehe theilhaftig, dennoch in dieser Sphäre
verharren. Den äussersten Kreis bilden die dienenden Glie-
der: Knechte und Mägde: diese verhalten sich wie eine
jüngste Schicht, es sind Anwüchse, mehr oder minder ver-
wandten Stoffes, welche nur insofern der Gemeinschaft an-
ders denn als Objecte und durch Zwang angehören, als sie
durch den gemeinsamen Geist und Willen assimilirt werden
und mit ihrem eigenen Willen sich darein fügen und zu-
frieden sind. Aehnlich ist das Verhältniss der von aussen
gewonnenen, heimgeführten Weiber zu ihren Gatten; und
wie zwischen diesen die Kinder als Erzeugte entstehen, so
bilden Kinder als Nachkommen und Abhängige eine Ver-
mittlung und Zwischenstand von Herrschaft zu Knechtschaft.
Von diesen constituirenden Elementen ist das letzte zwar
am ehesten entbehrlich; aber es ist zugleich die nothwendige
Form, in welche Feinde oder Fremde eingehen müssen, um
am Leben eines Hauses Theil zu nehmen; wenn nicht Fremde
als Gäste eines Mitgenusses gewürdigt werden, der seiner
Natur nach undauernder ist, aber für die Weile einer Theil-
nahme an der Herrschaft um so mehr sich nähert, je mehr
der Gast mit Ehrfurcht und Liebe empfangen wird; je ge-
ringer geachtet, desto mehr der Knechtschaft ähnlich. Der
Knechtesstand selber kann der Kindschaft ähnlich werden,
aber auf der anderen Seite in den Begriff des Sklaven
übergehen, wenn die Würde des Menschen durch seine
Behandlung verachtet wird. Ein so tiefes als gedankenloses
Vorurtheil erklärt die Knechtschaft als an und für sich
unwürdig, weil der Gleichheit des Menschen-Antlitzes wider-
sprechend. In Wahrheit kann durch ein sklavisches Be-
tragen, sei es aus Furcht, gewohnheitsmässig, abergläubisch,
sei es aus kühler Erkenntniss seines Interesses und aus
Berechnung, ein Mensch in den mannigfachsten Verhält-
nissen, sich so tief unter einen Anderen erniedrigen, als
Uebermuth und Wildheit eines tyrannischen Herren die
ihm Untergebenen zu bedrücken und zu quälen versuchen
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 31. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/67>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.