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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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gen Personen gesetzt, sondern als die absolute Person, in
Bezug auf welche die übrigen Personen allein ihre Existenz
haben; in diesem Sinne gibt es kein Recht gegen sein
Recht, das Recht der Politik ist das Recht der Natur. Mit-
hin ist auch keine Recht sprechende Instanz zwischen Staat
und Gesellschaft -- welche doch, wie der Staat selber, aus
der Gesellschaft hervorgehen müsste -- noch denkbar; die
gesammte Jurisdiction wird vom Staate abhängig und wird
Anwendung seiner Gesetze. Denn es wird geleugnet, dass
die Gesellschaft ohne den Staat eines allgemeinen Willens
fähig sei, oder doch gesagt, dass sie dessen nur in dem
Maasse fähig sei, um den Willen des Staates als ihren Willen
zu erkennen. Demnach ergibt sich als die natürliche Ord-
nung anstatt der blos negativen eine positive Bestimmung
der Individuen; deren einige durch den Staat mit einem ge-
bietenden Mandate ausgerüstet werden, welches sie weiter-
zugeben fähig sind und gehiessen, so dass endlich jede Per-
son in vermittelter Abhängigkeit an dem Staatswillen theil-
nehmen würde. Dieser Gedanke erfährt eine beschränkte
Durchführung im Systeme der Verwaltung; seine Ver-
allgemeinerung würde die gesammte Güterproduction zu
einem Theile der Verwaltung machen und ist eine (dem Be-
griffe nach) mögliche Form des Socialismus. Diese
kann gedacht werden, ohne die fundamentale Distinction der
gesellschaftlichen Classen aufzuheben. Der Staat würde die
alle Concurrenz ausschliessende Coalition der Kapitalisten
sein; die Production würde fortfahren, zu ihrem Nutzen zu
geschehen. In der internationalen Arbeitstheilung, welche
der Weltmarkt regulirt, würde immer noch die vereinigte
Kapitalistenschaft als Urheber und Verkäufer ihres Gesammt-
products auftreten; wenn auch die Productionsmittel dem
Staate gehören, so würde jene doch als formelles Subject
und Dirigentin der Arbeit Eigenthümer des ganzen Werth-
Theiles sein, welcher nicht zum Ersatze der Productions-
mittel erfordert wird. Aber sobald die Gesellschaft über
alle Grenzen hinaus sich erstreckt hätte und folglich der
Welt-Staat eingerichtet würde, so hätte die Waaren-Produc-
tion ein Ende, mithin auch die wahre Ursache des "Unter-
nehmergewinnes", des Handelsprofits und aller Formen des

gen Personen gesetzt, sondern als die absolute Person, in
Bezug auf welche die übrigen Personen allein ihre Existenz
haben; in diesem Sinne gibt es kein Recht gegen sein
Recht, das Recht der Politik ist das Recht der Natur. Mit-
hin ist auch keine Recht sprechende Instanz zwischen Staat
und Gesellschaft — welche doch, wie der Staat selber, aus
der Gesellschaft hervorgehen müsste — noch denkbar; die
gesammte Jurisdiction wird vom Staate abhängig und wird
Anwendung seiner Gesetze. Denn es wird geleugnet, dass
die Gesellschaft ohne den Staat eines allgemeinen Willens
fähig sei, oder doch gesagt, dass sie dessen nur in dem
Maasse fähig sei, um den Willen des Staates als ihren Willen
zu erkennen. Demnach ergibt sich als die natürliche Ord-
nung anstatt der blos negativen eine positive Bestimmung
der Individuen; deren einige durch den Staat mit einem ge-
bietenden Mandate ausgerüstet werden, welches sie weiter-
zugeben fähig sind und gehiessen, so dass endlich jede Per-
son in vermittelter Abhängigkeit an dem Staatswillen theil-
nehmen würde. Dieser Gedanke erfährt eine beschränkte
Durchführung im Systeme der Verwaltung; seine Ver-
allgemeinerung würde die gesammte Güterproduction zu
einem Theile der Verwaltung machen und ist eine (dem Be-
griffe nach) mögliche Form des Socialismus. Diese
kann gedacht werden, ohne die fundamentale Distinction der
gesellschaftlichen Classen aufzuheben. Der Staat würde die
alle Concurrenz ausschliessende Coalition der Kapitalisten
sein; die Production würde fortfahren, zu ihrem Nutzen zu
geschehen. In der internationalen Arbeitstheilung, welche
der Weltmarkt regulirt, würde immer noch die vereinigte
Kapitalistenschaft als Urheber und Verkäufer ihres Gesammt-
products auftreten; wenn auch die Productionsmittel dem
Staate gehören, so würde jene doch als formelles Subject
und Dirigentin der Arbeit Eigenthümer des ganzen Werth-
Theiles sein, welcher nicht zum Ersatze der Productions-
mittel erfordert wird. Aber sobald die Gesellschaft über
alle Grenzen hinaus sich erstreckt hätte und folglich der
Welt-Staat eingerichtet würde, so hätte die Waaren-Produc-
tion ein Ende, mithin auch die wahre Ursache des »Unter-
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[266/0302] gen Personen gesetzt, sondern als die absolute Person, in Bezug auf welche die übrigen Personen allein ihre Existenz haben; in diesem Sinne gibt es kein Recht gegen sein Recht, das Recht der Politik ist das Recht der Natur. Mit- hin ist auch keine Recht sprechende Instanz zwischen Staat und Gesellschaft — welche doch, wie der Staat selber, aus der Gesellschaft hervorgehen müsste — noch denkbar; die gesammte Jurisdiction wird vom Staate abhängig und wird Anwendung seiner Gesetze. Denn es wird geleugnet, dass die Gesellschaft ohne den Staat eines allgemeinen Willens fähig sei, oder doch gesagt, dass sie dessen nur in dem Maasse fähig sei, um den Willen des Staates als ihren Willen zu erkennen. Demnach ergibt sich als die natürliche Ord- nung anstatt der blos negativen eine positive Bestimmung der Individuen; deren einige durch den Staat mit einem ge- bietenden Mandate ausgerüstet werden, welches sie weiter- zugeben fähig sind und gehiessen, so dass endlich jede Per- son in vermittelter Abhängigkeit an dem Staatswillen theil- nehmen würde. Dieser Gedanke erfährt eine beschränkte Durchführung im Systeme der Verwaltung; seine Ver- allgemeinerung würde die gesammte Güterproduction zu einem Theile der Verwaltung machen und ist eine (dem Be- griffe nach) mögliche Form des Socialismus. Diese kann gedacht werden, ohne die fundamentale Distinction der gesellschaftlichen Classen aufzuheben. Der Staat würde die alle Concurrenz ausschliessende Coalition der Kapitalisten sein; die Production würde fortfahren, zu ihrem Nutzen zu geschehen. In der internationalen Arbeitstheilung, welche der Weltmarkt regulirt, würde immer noch die vereinigte Kapitalistenschaft als Urheber und Verkäufer ihres Gesammt- products auftreten; wenn auch die Productionsmittel dem Staate gehören, so würde jene doch als formelles Subject und Dirigentin der Arbeit Eigenthümer des ganzen Werth- Theiles sein, welcher nicht zum Ersatze der Productions- mittel erfordert wird. Aber sobald die Gesellschaft über alle Grenzen hinaus sich erstreckt hätte und folglich der Welt-Staat eingerichtet würde, so hätte die Waaren-Produc- tion ein Ende, mithin auch die wahre Ursache des »Unter- nehmergewinnes«, des Handelsprofits und aller Formen des

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/302>, abgerufen am 23.11.2024.