Mehrwerths. Die von der unteren Classe (wie bisher) her- vorgebrachten Güter könnten von der oberen nur noch an- geeignet werden, weil und insofern als sie den Staat ver- tritt, im Namen des Staates, in dessen Namen sie auch den Theil derselben, welcher nicht zur Unterhaltung der Arbeiter nothwendig erschiene, unter sich vertheilen würde. Die willkürliche Basis des Rechtes kommt zu deutlicherem Ausdruck, wenn das staatliche und gesetzliche Recht alles gesellschaftliche und contractliche Recht verschlungen hat. Sie ist immer vorhanden; aber sie wird nicht begriffen, bis das Subject auch des Naturrechtes als der fortwährenden Willkür fähige und doch ganz und gar fictive (juristische) Per- son sich geltend macht. Auch nach dem ersten Begriffe, wo der Staat als blosser Mandatar der Gesellschaft dargestellt wird, ist es nur scheinbar die Willkür aller Waarenver- käufer, welche das conventionelle und erst in zweiter Linie politische Naturrecht setzt, in demselben Maasse scheinbar, als die Arbeitskraft scheinbare Waare ist; in Wahrheit ist es die Willkür aller Verkäufer wirklicher Waaren, der in Producten verkörperten Arbeitskräfte. Der Staat ist kapitalistische Institution und bleibt es, wenn er sich für identisch mit der Gesellschaft erklärt. Er hört daher auf, wenn die Arbeiter-Classe sich zum Subjecte seines Willens macht, um die kapitalistische Production zu zer- stören. Und hieraus folgt, dass die politische Bestrebung derselben ihrem Ziele nach ausserhalb des Rahmens der Gesellschaft fällt, welche den Staat und die Politik als nothwendige Ausdrücke und Formen ihres Willens ein- schliesst. Hingegen findet der tiefste gesellschaftliche Gegen- satz zwischen den beiden Begriffen vom Staate statt, deren Skizze gezeichnet worden ist. Sie stehen sich als Systeme der Volkssouveränetät -- wofür Gesellschaftssouveränetät -- und der Herrschersouveränetät -- wofür Staatssouveränetät gesagt werden sollte -- gegenüber und können doch in mannigfache Mischungen und Verwirrungen eingehen.
§ 30.
Die dritte und endliche Gestaltung eines gemeinsamen und verbindenden Willens muss als mentale begriffen wer-
Mehrwerths. Die von der unteren Classe (wie bisher) her- vorgebrachten Güter könnten von der oberen nur noch an- geeignet werden, weil und insofern als sie den Staat ver- tritt, im Namen des Staates, in dessen Namen sie auch den Theil derselben, welcher nicht zur Unterhaltung der Arbeiter nothwendig erschiene, unter sich vertheilen würde. Die willkürliche Basis des Rechtes kommt zu deutlicherem Ausdruck, wenn das staatliche und gesetzliche Recht alles gesellschaftliche und contractliche Recht verschlungen hat. Sie ist immer vorhanden; aber sie wird nicht begriffen, bis das Subject auch des Naturrechtes als der fortwährenden Willkür fähige und doch ganz und gar fictive (juristische) Per- son sich geltend macht. Auch nach dem ersten Begriffe, wo der Staat als blosser Mandatar der Gesellschaft dargestellt wird, ist es nur scheinbar die Willkür aller Waarenver- käufer, welche das conventionelle und erst in zweiter Linie politische Naturrecht setzt, in demselben Maasse scheinbar, als die Arbeitskraft scheinbare Waare ist; in Wahrheit ist es die Willkür aller Verkäufer wirklicher Waaren, der in Producten verkörperten Arbeitskräfte. Der Staat ist kapitalistische Institution und bleibt es, wenn er sich für identisch mit der Gesellschaft erklärt. Er hört daher auf, wenn die Arbeiter-Classe sich zum Subjecte seines Willens macht, um die kapitalistische Production zu zer- stören. Und hieraus folgt, dass die politische Bestrebung derselben ihrem Ziele nach ausserhalb des Rahmens der Gesellschaft fällt, welche den Staat und die Politik als nothwendige Ausdrücke und Formen ihres Willens ein- schliesst. Hingegen findet der tiefste gesellschaftliche Gegen- satz zwischen den beiden Begriffen vom Staate statt, deren Skizze gezeichnet worden ist. Sie stehen sich als Systeme der Volkssouveränetät — wofür Gesellschaftssouveränetät — und der Herrschersouveränetät — wofür Staatssouveränetät gesagt werden sollte — gegenüber und können doch in mannigfache Mischungen und Verwirrungen eingehen.
§ 30.
Die dritte und endliche Gestaltung eines gemeinsamen und verbindenden Willens muss als mentale begriffen wer-
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Mehrwerths. Die von der unteren Classe (wie bisher) her-
vorgebrachten Güter könnten von der oberen nur noch an-
geeignet werden, weil und insofern als sie den Staat ver-
tritt, im Namen des Staates, in dessen Namen sie auch
den Theil derselben, welcher nicht zur Unterhaltung der
Arbeiter nothwendig erschiene, unter sich vertheilen würde.
Die willkürliche Basis des Rechtes kommt zu deutlicherem
Ausdruck, wenn das staatliche und gesetzliche Recht alles
gesellschaftliche und contractliche Recht verschlungen hat.
Sie ist immer vorhanden; aber sie wird nicht begriffen, bis
das Subject auch des Naturrechtes als der fortwährenden
Willkür fähige und doch ganz und gar fictive (juristische) Per-
son sich geltend macht. Auch nach dem ersten Begriffe, wo
der Staat als blosser Mandatar der Gesellschaft dargestellt
wird, ist es nur scheinbar die Willkür aller Waarenver-
käufer, welche das conventionelle und erst in zweiter
Linie politische Naturrecht setzt, in demselben Maasse
scheinbar, als die Arbeitskraft scheinbare Waare ist; in
Wahrheit ist es die Willkür aller Verkäufer wirklicher
Waaren, der in Producten verkörperten Arbeitskräfte. Der
Staat ist kapitalistische Institution und bleibt es, wenn er
sich für identisch mit der Gesellschaft erklärt. Er hört
daher auf, wenn die Arbeiter-Classe sich zum Subjecte seines
Willens macht, um die kapitalistische Production zu zer-
stören. Und hieraus folgt, dass die politische Bestrebung
derselben ihrem Ziele nach ausserhalb des Rahmens der
Gesellschaft fällt, welche den Staat und die Politik als
nothwendige Ausdrücke und Formen ihres Willens ein-
schliesst. Hingegen findet der tiefste gesellschaftliche Gegen-
satz zwischen den beiden Begriffen vom Staate statt, deren
Skizze gezeichnet worden ist. Sie stehen sich als Systeme
der Volkssouveränetät — wofür Gesellschaftssouveränetät —
und der Herrschersouveränetät — wofür Staatssouveränetät
gesagt werden sollte — gegenüber und können doch in
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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 267. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/303>, abgerufen am 23.11.2024.
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