meinwesen, in welchen es vorhanden und durchaus wesent- lich ist; 3) städtische Gemeinwesen, in welchen es noch vorhanden, aber nicht mehr schlechthin wesentlich ist. Diese Begriffe wollen der fliessenden und überaus mannig- faltigen Beschaffenheit ihrer Gegenstände in einigem Maasse sich anzupassen versuchen. Haus, Dorf und Stadt -- in- sofern als jedes ein Gemeinwesen sein kann -- sind zugleich die Typen für grössere Complexe, in welchen sie sich leben- dig erhalten und entwickeln mögen. Das einzelne Haus hat am schwersten, die einzelne Stadt am leichtesten den Charakter eines eigenen und selbständigen Gemeinwesens. Demnach kann vorgestellt werden, dass ein allgemeinster und weitester Kreis als patriarchalisches und genokratisches Gemeinwesen sich ausdrücke, innerhalb desselben viele engere als landschaftliche, nachbarlich-heimathliche, endlich aus jedem von diesen einige engste, städtische sich erheben. Und so denken wir ein Reich, zerfallend in Landschaften oder Provinzen, eine Landschaft oder Provinz, zerfallend in Herrschaften, Dörfer und Städte; die Stadt hat keine Ge- meinwesen mehr innerhalb ihrer -- es sei denn als Dörfer -- sondern zerfällt in Corporationen und Häuser oder end- lich in Individuen. Aber so kann es auch Herrschaften, Dörfer und Städte geben, welche unmittelbar dem Reiche und seinem Rechte angehören; so auch Corporationen und Häuser, die unmittelbar unter Land und Landrecht fallen.
§ 25.
Gemeinwesen verhält sich zu Gemeinschaft schlecht- hin wie Thier (zoon) zu Pflanze (phyton). Die allgemeine Idee des lebendigen Wesens wird durch die Pflanze reiner, durch das Thier vollkommener dargestellt; so die Idee des socialen Körpers reiner durch Gemeinschaft, vollkom- mener durch Gemeinwesen. Wie die Pflanze in Dasein, Ernährung und Fortpflanzung ihr Leben vollendet, so ist die Gemeinschaft des Hauses ganz und gar nach innen ge- richtet und in Bezug auf sich selber thätig. Das Gemein- wesen wie das Thier, und im Thiere die besonderen dazu ausgebildeten Organe, wenden sich nach aussen, abwehrend, suchend, erobernd, in Allem kämpfend, so aber, dass in
meinwesen, in welchen es vorhanden und durchaus wesent- lich ist; 3) städtische Gemeinwesen, in welchen es noch vorhanden, aber nicht mehr schlechthin wesentlich ist. Diese Begriffe wollen der fliessenden und überaus mannig- faltigen Beschaffenheit ihrer Gegenstände in einigem Maasse sich anzupassen versuchen. Haus, Dorf und Stadt — in- sofern als jedes ein Gemeinwesen sein kann — sind zugleich die Typen für grössere Complexe, in welchen sie sich leben- dig erhalten und entwickeln mögen. Das einzelne Haus hat am schwersten, die einzelne Stadt am leichtesten den Charakter eines eigenen und selbständigen Gemeinwesens. Demnach kann vorgestellt werden, dass ein allgemeinster und weitester Kreis als patriarchalisches und genokratisches Gemeinwesen sich ausdrücke, innerhalb desselben viele engere als landschaftliche, nachbarlich-heimathliche, endlich aus jedem von diesen einige engste, städtische sich erheben. Und so denken wir ein Reich, zerfallend in Landschaften oder Provinzen, eine Landschaft oder Provinz, zerfallend in Herrschaften, Dörfer und Städte; die Stadt hat keine Ge- meinwesen mehr innerhalb ihrer — es sei denn als Dörfer — sondern zerfällt in Corporationen und Häuser oder end- lich in Individuen. Aber so kann es auch Herrschaften, Dörfer und Städte geben, welche unmittelbar dem Reiche und seinem Rechte angehören; so auch Corporationen und Häuser, die unmittelbar unter Land und Landrecht fallen.
§ 25.
Gemeinwesen verhält sich zu Gemeinschaft schlecht- hin wie Thier (zoon) zu Pflanze (phyton). Die allgemeine Idee des lebendigen Wesens wird durch die Pflanze reiner, durch das Thier vollkommener dargestellt; so die Idee des socialen Körpers reiner durch Gemeinschaft, vollkom- mener durch Gemeinwesen. Wie die Pflanze in Dasein, Ernährung und Fortpflanzung ihr Leben vollendet, so ist die Gemeinschaft des Hauses ganz und gar nach innen ge- richtet und in Bezug auf sich selber thätig. Das Gemein- wesen wie das Thier, und im Thiere die besonderen dazu ausgebildeten Organe, wenden sich nach aussen, abwehrend, suchend, erobernd, in Allem kämpfend, so aber, dass in
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0291"n="255"/>
meinwesen, in welchen es vorhanden und durchaus wesent-<lb/>
lich ist; 3) städtische Gemeinwesen, in welchen es noch<lb/>
vorhanden, aber <hirendition="#g">nicht mehr</hi> schlechthin wesentlich ist.<lb/>
Diese Begriffe wollen der fliessenden und überaus mannig-<lb/>
faltigen Beschaffenheit ihrer Gegenstände in einigem Maasse<lb/>
sich anzupassen versuchen. Haus, Dorf und Stadt — in-<lb/>
sofern als jedes ein Gemeinwesen sein kann — sind zugleich<lb/>
die Typen für grössere Complexe, in welchen sie sich leben-<lb/>
dig erhalten und entwickeln mögen. Das einzelne Haus<lb/>
hat am schwersten, die einzelne Stadt am leichtesten den<lb/>
Charakter eines eigenen und selbständigen Gemeinwesens.<lb/>
Demnach kann vorgestellt werden, dass ein allgemeinster<lb/>
und weitester Kreis als patriarchalisches und genokratisches<lb/>
Gemeinwesen sich ausdrücke, innerhalb desselben viele<lb/>
engere als landschaftliche, nachbarlich-heimathliche, endlich<lb/>
aus jedem von diesen einige engste, städtische sich erheben.<lb/>
Und so denken wir ein <hirendition="#g">Reich</hi>, zerfallend in Landschaften<lb/>
oder Provinzen, eine Landschaft oder Provinz, zerfallend in<lb/>
Herrschaften, Dörfer und Städte; die Stadt hat keine Ge-<lb/>
meinwesen mehr innerhalb ihrer — es sei denn als Dörfer<lb/>— sondern zerfällt in Corporationen und Häuser oder end-<lb/>
lich in Individuen. Aber so kann es auch Herrschaften,<lb/>
Dörfer und Städte geben, welche unmittelbar dem Reiche<lb/>
und seinem Rechte angehören; so auch Corporationen und<lb/>
Häuser, die unmittelbar unter Land und Landrecht fallen.</p></div><lb/><divn="3"><head>§ 25.</head><lb/><p>Gemeinwesen verhält sich zu Gemeinschaft schlecht-<lb/>
hin wie Thier <hirendition="#i">(zoon)</hi> zu Pflanze <hirendition="#i">(phyton)</hi>. Die allgemeine<lb/>
Idee des lebendigen Wesens wird durch die Pflanze reiner,<lb/>
durch das Thier vollkommener dargestellt; so die Idee des<lb/><hirendition="#g">socialen</hi> Körpers reiner durch Gemeinschaft, vollkom-<lb/>
mener durch Gemeinwesen. Wie die Pflanze in Dasein,<lb/>
Ernährung und Fortpflanzung ihr Leben vollendet, so ist<lb/>
die Gemeinschaft des Hauses ganz und gar nach innen ge-<lb/>
richtet und in Bezug auf sich selber thätig. Das Gemein-<lb/>
wesen wie das Thier, und im Thiere die besonderen dazu<lb/>
ausgebildeten Organe, wenden sich nach aussen, abwehrend,<lb/>
suchend, erobernd, in Allem <hirendition="#g">kämpfend</hi>, so aber, dass in<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[255/0291]
meinwesen, in welchen es vorhanden und durchaus wesent-
lich ist; 3) städtische Gemeinwesen, in welchen es noch
vorhanden, aber nicht mehr schlechthin wesentlich ist.
Diese Begriffe wollen der fliessenden und überaus mannig-
faltigen Beschaffenheit ihrer Gegenstände in einigem Maasse
sich anzupassen versuchen. Haus, Dorf und Stadt — in-
sofern als jedes ein Gemeinwesen sein kann — sind zugleich
die Typen für grössere Complexe, in welchen sie sich leben-
dig erhalten und entwickeln mögen. Das einzelne Haus
hat am schwersten, die einzelne Stadt am leichtesten den
Charakter eines eigenen und selbständigen Gemeinwesens.
Demnach kann vorgestellt werden, dass ein allgemeinster
und weitester Kreis als patriarchalisches und genokratisches
Gemeinwesen sich ausdrücke, innerhalb desselben viele
engere als landschaftliche, nachbarlich-heimathliche, endlich
aus jedem von diesen einige engste, städtische sich erheben.
Und so denken wir ein Reich, zerfallend in Landschaften
oder Provinzen, eine Landschaft oder Provinz, zerfallend in
Herrschaften, Dörfer und Städte; die Stadt hat keine Ge-
meinwesen mehr innerhalb ihrer — es sei denn als Dörfer
— sondern zerfällt in Corporationen und Häuser oder end-
lich in Individuen. Aber so kann es auch Herrschaften,
Dörfer und Städte geben, welche unmittelbar dem Reiche
und seinem Rechte angehören; so auch Corporationen und
Häuser, die unmittelbar unter Land und Landrecht fallen.
§ 25.
Gemeinwesen verhält sich zu Gemeinschaft schlecht-
hin wie Thier (zoon) zu Pflanze (phyton). Die allgemeine
Idee des lebendigen Wesens wird durch die Pflanze reiner,
durch das Thier vollkommener dargestellt; so die Idee des
socialen Körpers reiner durch Gemeinschaft, vollkom-
mener durch Gemeinwesen. Wie die Pflanze in Dasein,
Ernährung und Fortpflanzung ihr Leben vollendet, so ist
die Gemeinschaft des Hauses ganz und gar nach innen ge-
richtet und in Bezug auf sich selber thätig. Das Gemein-
wesen wie das Thier, und im Thiere die besonderen dazu
ausgebildeten Organe, wenden sich nach aussen, abwehrend,
suchend, erobernd, in Allem kämpfend, so aber, dass in
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. 255. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/291>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.