in der Natur vorhanden sind, die einander nach ihren wahr- genommenen Qualitäten ähnlich gefunden werden und sind, in mehr oder minder hohem Grade, so dass der vollkommene Grad endlich als Gleichheit bezeichnet wird, und wenn auch diejenige Gleichsetzung eine natürliche ist, durch welche sie auf einen Namen bezogen werden, so wird doch dieselbe eine künstliche und gewaltsame in dem Maasse, als sie auf bewusste und willkürliche Weise Namen bildet, und die ge- gebenen Unterschiede nicht blos in dieser Beziehung ausser Acht lässt, sondern sie mit Bedacht aus der Betrachtung aus- scheidet oder sogar wirklich vernichtet, zu dem bestimmten Zwecke, eine brauchbare, möglichst vollkommene Gleichheit her- zustellen. Alles wissenschaftliche Denken, wie das Rechnen, will aber Gleichheit zum Behufe irgendwelcher Messungen, da Messung entweder Gleichheit oder das Allgemeine, wovon Gleichheit ein besonderer Fall ist, nämlich ein exactes Ver- hältniss ergeben muss, welchem wiederum Gleichheit als Maasstab dient. So nämlich sind wissenschaftliche Gleichungen die Maasstäbe, auf welche die wirklichen Verhältnisse zwi- schen den wirklichen Objecten bezogen werden. Sie dienen der Ersparung von Gedankenarbeit. Was in unzähligen Fällen immer von Neuem ausgerechnet werden müsste, wird an einem ideellen Falle ein für allemal ausgerechnet und be- darf dann der blossen Anwendung; in Bezug auf den ideellen Fall sind alle wirklichen Fälle entweder gleich oder stehen in einem bestimmbaren Verhältnisse zu ihm und folglich zu einander. So sind allgemeine oder wissenschaftliche Begriffe, Sätze, Systeme Werkzeugen vergleichbar, durch welche für be- sondere gegebene Fälle ein Wissen oder wenigstens Vermuthen erreicht wird; das Verfahren des Gebrauches ist die Einsetzung der besonderen Namen und aller Bedingungen des gegebenen für diejenigen des fictiven und allgemeinen Falles: das Ver- fahren des Syllogismus. Dieses ist in aller angewandten Wissenschaft mit höchst mannigfacher Ausbildung enthalten (als das Denken nach dem Satze vom Grunde), wie aller reinen Wissenschaft die Beziehung auf ein System von Namen (eine Terminologie), welches auf die einfachste Weise durch das Zahlensystem dargestellt wird (als das Denken nach dem Satze der Identität). Denn alle reine Wissenschaft bezieht
in der Natur vorhanden sind, die einander nach ihren wahr- genommenen Qualitäten ähnlich gefunden werden und sind, in mehr oder minder hohem Grade, so dass der vollkommene Grad endlich als Gleichheit bezeichnet wird, und wenn auch diejenige Gleichsetzung eine natürliche ist, durch welche sie auf einen Namen bezogen werden, so wird doch dieselbe eine künstliche und gewaltsame in dem Maasse, als sie auf bewusste und willkürliche Weise Namen bildet, und die ge- gebenen Unterschiede nicht blos in dieser Beziehung ausser Acht lässt, sondern sie mit Bedacht aus der Betrachtung aus- scheidet oder sogar wirklich vernichtet, zu dem bestimmten Zwecke, eine brauchbare, möglichst vollkommene Gleichheit her- zustellen. Alles wissenschaftliche Denken, wie das Rechnen, will aber Gleichheit zum Behufe irgendwelcher Messungen, da Messung entweder Gleichheit oder das Allgemeine, wovon Gleichheit ein besonderer Fall ist, nämlich ein exactes Ver- hältniss ergeben muss, welchem wiederum Gleichheit als Maasstab dient. So nämlich sind wissenschaftliche Gleichungen die Maasstäbe, auf welche die wirklichen Verhältnisse zwi- schen den wirklichen Objecten bezogen werden. Sie dienen der Ersparung von Gedankenarbeit. Was in unzähligen Fällen immer von Neuem ausgerechnet werden müsste, wird an einem ideellen Falle ein für allemal ausgerechnet und be- darf dann der blossen Anwendung; in Bezug auf den ideellen Fall sind alle wirklichen Fälle entweder gleich oder stehen in einem bestimmbaren Verhältnisse zu ihm und folglich zu einander. So sind allgemeine oder wissenschaftliche Begriffe, Sätze, Systeme Werkzeugen vergleichbar, durch welche für be- sondere gegebene Fälle ein Wissen oder wenigstens Vermuthen erreicht wird; das Verfahren des Gebrauches ist die Einsetzung der besonderen Namen und aller Bedingungen des gegebenen für diejenigen des fictiven und allgemeinen Falles: das Ver- fahren des Syllogismus. Dieses ist in aller angewandten Wissenschaft mit höchst mannigfacher Ausbildung enthalten (als das Denken nach dem Satze vom Grunde), wie aller reinen Wissenschaft die Beziehung auf ein System von Namen (eine Terminologie), welches auf die einfachste Weise durch das Zahlensystem dargestellt wird (als das Denken nach dem Satze der Identität). Denn alle reine Wissenschaft bezieht
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[XXII/0028]
in der Natur vorhanden sind, die einander nach ihren wahr-
genommenen Qualitäten ähnlich gefunden werden und sind,
in mehr oder minder hohem Grade, so dass der vollkommene
Grad endlich als Gleichheit bezeichnet wird, und wenn
auch diejenige Gleichsetzung eine natürliche ist, durch welche
sie auf einen Namen bezogen werden, so wird doch dieselbe
eine künstliche und gewaltsame in dem Maasse, als sie auf
bewusste und willkürliche Weise Namen bildet, und die ge-
gebenen Unterschiede nicht blos in dieser Beziehung ausser
Acht lässt, sondern sie mit Bedacht aus der Betrachtung aus-
scheidet oder sogar wirklich vernichtet, zu dem bestimmten
Zwecke, eine brauchbare, möglichst vollkommene Gleichheit her-
zustellen. Alles wissenschaftliche Denken, wie das Rechnen,
will aber Gleichheit zum Behufe irgendwelcher Messungen,
da Messung entweder Gleichheit oder das Allgemeine, wovon
Gleichheit ein besonderer Fall ist, nämlich ein exactes Ver-
hältniss ergeben muss, welchem wiederum Gleichheit als
Maasstab dient. So nämlich sind wissenschaftliche Gleichungen
die Maasstäbe, auf welche die wirklichen Verhältnisse zwi-
schen den wirklichen Objecten bezogen werden. Sie dienen
der Ersparung von Gedankenarbeit. Was in unzähligen
Fällen immer von Neuem ausgerechnet werden müsste, wird
an einem ideellen Falle ein für allemal ausgerechnet und be-
darf dann der blossen Anwendung; in Bezug auf den ideellen
Fall sind alle wirklichen Fälle entweder gleich oder stehen
in einem bestimmbaren Verhältnisse zu ihm und folglich zu
einander. So sind allgemeine oder wissenschaftliche Begriffe,
Sätze, Systeme Werkzeugen vergleichbar, durch welche für be-
sondere gegebene Fälle ein Wissen oder wenigstens Vermuthen
erreicht wird; das Verfahren des Gebrauches ist die Einsetzung
der besonderen Namen und aller Bedingungen des gegebenen
für diejenigen des fictiven und allgemeinen Falles: das Ver-
fahren des Syllogismus. Dieses ist in aller angewandten
Wissenschaft mit höchst mannigfacher Ausbildung enthalten
(als das Denken nach dem Satze vom Grunde), wie aller
reinen Wissenschaft die Beziehung auf ein System von Namen
(eine Terminologie), welches auf die einfachste Weise durch
das Zahlensystem dargestellt wird (als das Denken nach dem
Satze der Identität). Denn alle reine Wissenschaft bezieht
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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. XXII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/28>, abgerufen am 24.11.2024.
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