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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887.

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sich ausschliesslich auf solche Gedankendinge, dergleichen
das allgemeine Object ist oder die Grösse, wo es sich um
Rechnung schlechthin handelt, oder der ausdehnungslose Punkt,
die gerade Linie, die Ebene ohne Tiefe, die regelmässigen
Körper, wo um die Bestimmung von Verhältnissen der räum-
lichen Erscheinungen. Ebenso werden endlich imaginäre Er-
eignisse der Zeit genommen als Typen wirklicher Ereignisse,
wie der Fall eines Körpers im luftleeren Raume, dessen Ge-
schwindigkeit als in willkürlich gesetzter Zeiteinheit durch-
messene Raumeinheit, als gleiche oder veränderliche, nach ge-
wissen Voraussetzungen berechnet wird. Die Anwendung
gestaltet sich immer um so schwieriger, je mehr der blos
denkbare allgemeine von den wahrnehmbaren besonderen Fällen
verschieden ist, daher je mannigfacher und unregelmässiger
diese sein mögen. Aus der Ansicht getrennter Körper, welche
durch ihre Bewegung in einen momentanen räumlichen Zu-
sammenhang kommen, entspringt aber der wissenschaft-
liche
Begriff der Ursache als einer Quantität von ge-
leisteter Arbeit (welche in der Bewegung enthalten ist), die
einer anderen -- der Wirkung -- gleich und damit vertausch-
bar ist, nach dem Princip der Gleichheit von Action und
Reaction: eine Vorstellung, welche erst ganz und gar sie selber
ist, nachdem aus dem Begriffe der Kraft, welcher sie zu-
nächst umfasst, alle Connotation der Realität und Produc-
tivität entfernt worden ist. Und also entsteht jenes grosse
System der reinen Mechanik, als dessen Anwendungen sodann
alle concreten Naturwissenschaften, zuvörderst Physik und
Chemie sich darstellen müssen.

Indessen neben und in dieser wissenschaftlichen An-
sicht der Causalität erhält und bildet sich aus als ihre letzte
Steigerung und Kritik zugleich, diejenige welche wir die philoso-
phische
, aber auch entgegen der mechanischen die organische,
gegen die physikalische die psychologische heissen mögen:
nach welcher vielmehr nichts als productive Kraft vorhanden
ist, die wirkliche und bleibende Einheit eines conservativen
Systems allgemeiner Energie, aus welcher alle ihre Besonder-
heiten als ihre Theile zugleich und Wirkungen hergeleitet
werden sollen. Dem Lebensgesetze des Universums dienen alle
übrigen Naturgesetze, wie dem Lebensgesetze jedes lebendigen

sich ausschliesslich auf solche Gedankendinge, dergleichen
das allgemeine Object ist oder die Grösse, wo es sich um
Rechnung schlechthin handelt, oder der ausdehnungslose Punkt,
die gerade Linie, die Ebene ohne Tiefe, die regelmässigen
Körper, wo um die Bestimmung von Verhältnissen der räum-
lichen Erscheinungen. Ebenso werden endlich imaginäre Er-
eignisse der Zeit genommen als Typen wirklicher Ereignisse,
wie der Fall eines Körpers im luftleeren Raume, dessen Ge-
schwindigkeit als in willkürlich gesetzter Zeiteinheit durch-
messene Raumeinheit, als gleiche oder veränderliche, nach ge-
wissen Voraussetzungen berechnet wird. Die Anwendung
gestaltet sich immer um so schwieriger, je mehr der blos
denkbare allgemeine von den wahrnehmbaren besonderen Fällen
verschieden ist, daher je mannigfacher und unregelmässiger
diese sein mögen. Aus der Ansicht getrennter Körper, welche
durch ihre Bewegung in einen momentanen räumlichen Zu-
sammenhang kommen, entspringt aber der wissenschaft-
liche
Begriff der Ursache als einer Quantität von ge-
leisteter Arbeit (welche in der Bewegung enthalten ist), die
einer anderen — der Wirkung — gleich und damit vertausch-
bar ist, nach dem Princip der Gleichheit von Action und
Reaction: eine Vorstellung, welche erst ganz und gar sie selber
ist, nachdem aus dem Begriffe der Kraft, welcher sie zu-
nächst umfasst, alle Connotation der Realität und Produc-
tivität entfernt worden ist. Und also entsteht jenes grosse
System der reinen Mechanik, als dessen Anwendungen sodann
alle concreten Naturwissenschaften, zuvörderst Physik und
Chemie sich darstellen müssen.

Indessen neben und in dieser wissenschaftlichen An-
sicht der Causalität erhält und bildet sich aus als ihre letzte
Steigerung und Kritik zugleich, diejenige welche wir die philoso-
phische
, aber auch entgegen der mechanischen die organische,
gegen die physikalische die psychologische heissen mögen:
nach welcher vielmehr nichts als productive Kraft vorhanden
ist, die wirkliche und bleibende Einheit eines conservativen
Systems allgemeiner Energie, aus welcher alle ihre Besonder-
heiten als ihre Theile zugleich und Wirkungen hergeleitet
werden sollen. Dem Lebensgesetze des Universums dienen alle
übrigen Naturgesetze, wie dem Lebensgesetze jedes lebendigen

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[XXIII/0029] sich ausschliesslich auf solche Gedankendinge, dergleichen das allgemeine Object ist oder die Grösse, wo es sich um Rechnung schlechthin handelt, oder der ausdehnungslose Punkt, die gerade Linie, die Ebene ohne Tiefe, die regelmässigen Körper, wo um die Bestimmung von Verhältnissen der räum- lichen Erscheinungen. Ebenso werden endlich imaginäre Er- eignisse der Zeit genommen als Typen wirklicher Ereignisse, wie der Fall eines Körpers im luftleeren Raume, dessen Ge- schwindigkeit als in willkürlich gesetzter Zeiteinheit durch- messene Raumeinheit, als gleiche oder veränderliche, nach ge- wissen Voraussetzungen berechnet wird. Die Anwendung gestaltet sich immer um so schwieriger, je mehr der blos denkbare allgemeine von den wahrnehmbaren besonderen Fällen verschieden ist, daher je mannigfacher und unregelmässiger diese sein mögen. Aus der Ansicht getrennter Körper, welche durch ihre Bewegung in einen momentanen räumlichen Zu- sammenhang kommen, entspringt aber der wissenschaft- liche Begriff der Ursache als einer Quantität von ge- leisteter Arbeit (welche in der Bewegung enthalten ist), die einer anderen — der Wirkung — gleich und damit vertausch- bar ist, nach dem Princip der Gleichheit von Action und Reaction: eine Vorstellung, welche erst ganz und gar sie selber ist, nachdem aus dem Begriffe der Kraft, welcher sie zu- nächst umfasst, alle Connotation der Realität und Produc- tivität entfernt worden ist. Und also entsteht jenes grosse System der reinen Mechanik, als dessen Anwendungen sodann alle concreten Naturwissenschaften, zuvörderst Physik und Chemie sich darstellen müssen. Indessen neben und in dieser wissenschaftlichen An- sicht der Causalität erhält und bildet sich aus als ihre letzte Steigerung und Kritik zugleich, diejenige welche wir die philoso- phische, aber auch entgegen der mechanischen die organische, gegen die physikalische die psychologische heissen mögen: nach welcher vielmehr nichts als productive Kraft vorhanden ist, die wirkliche und bleibende Einheit eines conservativen Systems allgemeiner Energie, aus welcher alle ihre Besonder- heiten als ihre Theile zugleich und Wirkungen hergeleitet werden sollen. Dem Lebensgesetze des Universums dienen alle übrigen Naturgesetze, wie dem Lebensgesetze jedes lebendigen

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Zitationshilfe: Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. XXIII. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/29>, abgerufen am 24.11.2024.