mässiger und nothwendiger erscheint; so verschwinden dagegen alle untergeordneten Willen und Freiheiten in der Natur, so- gar der freie Wille des Menschen, und nur als unerklärliche Neigungen und Kräfte werden noch diejenigen Tendenzen ver- standen, welche nicht aus empfangener anderer Bewegung her- geleitet werden können; und auch das "liberum arbitrium in- differentiae" mag alsdann, nicht sowohl als Thatsache der Erfahrung wie als nothwendige Annahme, um den Allmäch- tigen und Allwissenden von der Urheberschaft der Verletzung seiner eigenen Ordnungen zu entlasten, wiederhergestellt wer- den, selber in Gestalt einer solchen unerklärlichen Kraft und geheimnissvollen Qualität. Diese ganze Betrachtung, wie auch die Einzigkeit des göttlichen Willens gehört aber schon einem Denken an, welches seinen Principien nach dem religiösen Glauben und volksthümlichen Anschauungen entgegengesetzt ist, wie sehr es auch noch die Spuren seiner Herkunft aus diesen Quellen tragen mag. Diese Principien entwickeln sich, bis sie auf sich selber stehen und gänzlich von ihrem Ur- sprunge unabhängig zu sein scheinen, mit ihres gleichen sich begegnend, welche auf den natürlichen Gebieten dieses Den- kens, von seinen Anfängen her, frei geschaltet haben. Es ist wissenschaftliches Denken. Dieses hat dort, wo es zu- erst und am leichtesten in seiner Reinheit erscheint, nicht mit den Ursachen der Erscheinungen und am wenigsten mit menschlichem und göttlichem Willen zu thun, sondern es geht aus den Künsten des Vergleichens und Messens von Grössen und Mengen, als ihre allgemeine Hülfs-Kunst, die des Rech- nens hervor, d. i. des Trennens und Zusammensetzens, des Theilens in gleiche Stücke, der Vervielfältigung gegebener Stücke, welche Operationen darum so leicht im blossen Gedanken voll- zogen werden, weil dieser ein geordnetes System von Namen dafür bereit hat und keine Verschiedenheit der wahrgenom- menen Objecte die gedachte Setzung gleicher Einheiten als be- liebig combinirbarer stört. Daher nimmt, sofern doch die Beherrschung solches Systemes eines Haltes an irgendwelchen Objecten bedarf, der Rechnende dazu nach Möglichkeit gleiche, leicht übersehbare, leicht hantirbare, und wenn sie nicht zur Verfügung stehen, so wird er sie machen und mit solchen Eigenschaften ausstatten. Denn wenn auch unzählige Körper
mässiger und nothwendiger erscheint; so verschwinden dagegen alle untergeordneten Willen und Freiheiten in der Natur, so- gar der freie Wille des Menschen, und nur als unerklärliche Neigungen und Kräfte werden noch diejenigen Tendenzen ver- standen, welche nicht aus empfangener anderer Bewegung her- geleitet werden können; und auch das »liberum arbitrium in- differentiae« mag alsdann, nicht sowohl als Thatsache der Erfahrung wie als nothwendige Annahme, um den Allmäch- tigen und Allwissenden von der Urheberschaft der Verletzung seiner eigenen Ordnungen zu entlasten, wiederhergestellt wer- den, selber in Gestalt einer solchen unerklärlichen Kraft und geheimnissvollen Qualität. Diese ganze Betrachtung, wie auch die Einzigkeit des göttlichen Willens gehört aber schon einem Denken an, welches seinen Principien nach dem religiösen Glauben und volksthümlichen Anschauungen entgegengesetzt ist, wie sehr es auch noch die Spuren seiner Herkunft aus diesen Quellen tragen mag. Diese Principien entwickeln sich, bis sie auf sich selber stehen und gänzlich von ihrem Ur- sprunge unabhängig zu sein scheinen, mit ihres gleichen sich begegnend, welche auf den natürlichen Gebieten dieses Den- kens, von seinen Anfängen her, frei geschaltet haben. Es ist wissenschaftliches Denken. Dieses hat dort, wo es zu- erst und am leichtesten in seiner Reinheit erscheint, nicht mit den Ursachen der Erscheinungen und am wenigsten mit menschlichem und göttlichem Willen zu thun, sondern es geht aus den Künsten des Vergleichens und Messens von Grössen und Mengen, als ihre allgemeine Hülfs-Kunst, die des Rech- nens hervor, d. i. des Trennens und Zusammensetzens, des Theilens in gleiche Stücke, der Vervielfältigung gegebener Stücke, welche Operationen darum so leicht im blossen Gedanken voll- zogen werden, weil dieser ein geordnetes System von Namen dafür bereit hat und keine Verschiedenheit der wahrgenom- menen Objecte die gedachte Setzung gleicher Einheiten als be- liebig combinirbarer stört. Daher nimmt, sofern doch die Beherrschung solches Systemes eines Haltes an irgendwelchen Objecten bedarf, der Rechnende dazu nach Möglichkeit gleiche, leicht übersehbare, leicht hantirbare, und wenn sie nicht zur Verfügung stehen, so wird er sie machen und mit solchen Eigenschaften ausstatten. Denn wenn auch unzählige Körper
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[XXI/0027]
mässiger und nothwendiger erscheint; so verschwinden dagegen
alle untergeordneten Willen und Freiheiten in der Natur, so-
gar der freie Wille des Menschen, und nur als unerklärliche
Neigungen und Kräfte werden noch diejenigen Tendenzen ver-
standen, welche nicht aus empfangener anderer Bewegung her-
geleitet werden können; und auch das »liberum arbitrium in-
differentiae« mag alsdann, nicht sowohl als Thatsache der
Erfahrung wie als nothwendige Annahme, um den Allmäch-
tigen und Allwissenden von der Urheberschaft der Verletzung
seiner eigenen Ordnungen zu entlasten, wiederhergestellt wer-
den, selber in Gestalt einer solchen unerklärlichen Kraft und
geheimnissvollen Qualität. Diese ganze Betrachtung, wie auch
die Einzigkeit des göttlichen Willens gehört aber schon einem
Denken an, welches seinen Principien nach dem religiösen
Glauben und volksthümlichen Anschauungen entgegengesetzt
ist, wie sehr es auch noch die Spuren seiner Herkunft aus
diesen Quellen tragen mag. Diese Principien entwickeln sich,
bis sie auf sich selber stehen und gänzlich von ihrem Ur-
sprunge unabhängig zu sein scheinen, mit ihres gleichen sich
begegnend, welche auf den natürlichen Gebieten dieses Den-
kens, von seinen Anfängen her, frei geschaltet haben. Es ist
wissenschaftliches Denken. Dieses hat dort, wo es zu-
erst und am leichtesten in seiner Reinheit erscheint, nicht mit
den Ursachen der Erscheinungen und am wenigsten mit
menschlichem und göttlichem Willen zu thun, sondern es geht
aus den Künsten des Vergleichens und Messens von Grössen
und Mengen, als ihre allgemeine Hülfs-Kunst, die des Rech-
nens hervor, d. i. des Trennens und Zusammensetzens, des
Theilens in gleiche Stücke, der Vervielfältigung gegebener Stücke,
welche Operationen darum so leicht im blossen Gedanken voll-
zogen werden, weil dieser ein geordnetes System von Namen
dafür bereit hat und keine Verschiedenheit der wahrgenom-
menen Objecte die gedachte Setzung gleicher Einheiten als be-
liebig combinirbarer stört. Daher nimmt, sofern doch die
Beherrschung solches Systemes eines Haltes an irgendwelchen
Objecten bedarf, der Rechnende dazu nach Möglichkeit gleiche,
leicht übersehbare, leicht hantirbare, und wenn sie nicht
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Tönnies, Ferdinand: Gemeinschaft und Gesellschaft. Berlin, 1887, S. XXI. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_gemeinschaft_1887/27>, abgerufen am 24.11.2024.
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