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Tönnies, Johann Heinrich: Auszug der Geschichte zur Erklärung der Offenbarung Johannis. Leipzig, 1776.

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wodurch sie die Schicksale der Menschen, und oft beträchtlicher Theile des Erdbodens zu bestimmen berechtiget sind. Und was könnte die Würde der Regenten mehr erhöhen, als dieses? Woferne die Fürsten der Gottheit ähnlich seyn wollen, so müssen sie ihre Gewalt nur zum Besten ihrer Unterthanen ausüben, gleichwie er, der nichts bedarf, seine unendliche Macht nie anwendet, sich Ehre oder Vortheil zu erwerben, sondern blos um andere von ihm abhängige Wesen zu beglücken. Ist also dieses gewiß, so sollen nach dieser Grund-Regel die Gesetze, die Strafen, die Begnadigungen, die Ertheilung der Freyheiten, die Einschränkung gewisser natürlicher Gerechtsame, und die gesamte Behandlung der Bürger und Einwohner eines Staats abgemessen werden; woferne man anders dem Ausspruche der Vernunft folgen will. Das Recht und die wahre Staats-Klugheit sind nie mit einander im Widerspruche. Es wird also auch die letzte den Ausspruch der Gesetze der Vernunft billigen. Ich kann mich hier nicht damit aufhalten, die Meynung derjenigen zu widerlegen, welche glauben, daß oftmals die Politik gewisse Maaßregeln rechtfertigen könne, welche sich nach den Regeln der Gerechtigkeit nicht rechtfertigen lassen. So viel aber muß ich doch bemerken, daß alles, was ungerecht ist, auch böse sey, indem der Begriff des Ungerechten den Begriff des Bösen in sich fasset, und ohne diesen nicht gedacht werden kann. Diejenigen also, wel-

wodurch sie die Schicksale der Menschen, und oft beträchtlicher Theile des Erdbodens zu bestimmen berechtiget sind. Und was könnte die Würde der Regenten mehr erhöhen, als dieses? Woferne die Fürsten der Gottheit ähnlich seyn wollen, so müssen sie ihre Gewalt nur zum Besten ihrer Unterthanen ausüben, gleichwie er, der nichts bedarf, seine unendliche Macht nie anwendet, sich Ehre oder Vortheil zu erwerben, sondern blos um andere von ihm abhängige Wesen zu beglücken. Ist also dieses gewiß, so sollen nach dieser Grund-Regel die Gesetze, die Strafen, die Begnadigungen, die Ertheilung der Freyheiten, die Einschränkung gewisser natürlicher Gerechtsame, und die gesamte Behandlung der Bürger und Einwohner eines Staats abgemessen werden; woferne man anders dem Ausspruche der Vernunft folgen will. Das Recht und die wahre Staats-Klugheit sind nie mit einander im Widerspruche. Es wird also auch die letzte den Ausspruch der Gesetze der Vernunft billigen. Ich kann mich hier nicht damit aufhalten, die Meynung derjenigen zu widerlegen, welche glauben, daß oftmals die Politik gewisse Maaßregeln rechtfertigen könne, welche sich nach den Regeln der Gerechtigkeit nicht rechtfertigen lassen. So viel aber muß ich doch bemerken, daß alles, was ungerecht ist, auch böse sey, indem der Begriff des Ungerechten den Begriff des Bösen in sich fasset, und ohne diesen nicht gedacht werden kann. Diejenigen also, wel-

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[914/0926] wodurch sie die Schicksale der Menschen, und oft beträchtlicher Theile des Erdbodens zu bestimmen berechtiget sind. Und was könnte die Würde der Regenten mehr erhöhen, als dieses? Woferne die Fürsten der Gottheit ähnlich seyn wollen, so müssen sie ihre Gewalt nur zum Besten ihrer Unterthanen ausüben, gleichwie er, der nichts bedarf, seine unendliche Macht nie anwendet, sich Ehre oder Vortheil zu erwerben, sondern blos um andere von ihm abhängige Wesen zu beglücken. Ist also dieses gewiß, so sollen nach dieser Grund-Regel die Gesetze, die Strafen, die Begnadigungen, die Ertheilung der Freyheiten, die Einschränkung gewisser natürlicher Gerechtsame, und die gesamte Behandlung der Bürger und Einwohner eines Staats abgemessen werden; woferne man anders dem Ausspruche der Vernunft folgen will. Das Recht und die wahre Staats-Klugheit sind nie mit einander im Widerspruche. Es wird also auch die letzte den Ausspruch der Gesetze der Vernunft billigen. Ich kann mich hier nicht damit aufhalten, die Meynung derjenigen zu widerlegen, welche glauben, daß oftmals die Politik gewisse Maaßregeln rechtfertigen könne, welche sich nach den Regeln der Gerechtigkeit nicht rechtfertigen lassen. So viel aber muß ich doch bemerken, daß alles, was ungerecht ist, auch böse sey, indem der Begriff des Ungerechten den Begriff des Bösen in sich fasset, und ohne diesen nicht gedacht werden kann. Diejenigen also, wel-

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Zitationshilfe: Tönnies, Johann Heinrich: Auszug der Geschichte zur Erklärung der Offenbarung Johannis. Leipzig, 1776, S. 914. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/toennies_auszug_1776/926>, abgerufen am 23.11.2024.