Ein frommer ehrfurchtsvoller Schauer bebet Durch alle Völker; jedes Volk erhebet Die Wunder deines Arms und deiner Stärke Ruhmvolle Werke! Sie jauchzen, wenn sie deine Sonne sehen In ihrem Morgenglanze dich erhöhen, Und wann die westlichen verborgnen Erden Erleuchtet werden.
Gott! alle Lande sind deiner Ehre voll; der betende Erd- kreis ist dein! Dieser Gedanke ist mir erfreulich, und söhnet mich mit mancher Unvollkommenheit der Erde wieder aus. Siehe! indenn ich jetzt vor deinen Thron hintrete, und dir mein Abendopfer weihe, so stehe ich mit Millionen meiner Brüder zu- gleich vor dir. Wir alle danken dir, allgemeiner Vater! daß du uns heute erhalten, und so viel Gutes erzeiget hast. Manche Stimme unter uns wimmert zwar bei ihrem Dank, und manche hallet nur unbedachte wilde Töne daher! Aber es sind doch noch immer viele Tausende, welche in dieser Stunde ihr Abendgebet mit Andacht verrichten. Viele beten so gar für mich und meine Wohlfart, von denen ich es zum theil nicht vermuthen solte. O! wie würde ich so angenehm beschämt werden, wenn ich jetzt einen vermeintlichen Feind behorchen könte, welcher mir Vergebung erflehet, mich segnet und sich aufs neue vor Gott verbindlich macht, meine Unarten, mein Poltern mit Geduld zu ertragen, und mein Böses mit Gutem zu vergelten! Die christliche Liebe heißt mich hoffen, daß ein solches Gebet nicht selten für mich ge- schehe. Solte ich es aber nur Einmal hören, so müßte ich ein Unmensch seyn, wenn ich nicht die Wangen eines solchen Beten- den mit meinen Thränen benetzen wolte.
So
D 4
Der 27te Januar.
Ein frommer ehrfurchtsvoller Schauer bebet Durch alle Voͤlker; jedes Volk erhebet Die Wunder deines Arms und deiner Staͤrke Ruhmvolle Werke! Sie jauchzen, wenn ſie deine Sonne ſehen In ihrem Morgenglanze dich erhoͤhen, Und wann die weſtlichen verborgnen Erden Erleuchtet werden.
Gott! alle Lande ſind deiner Ehre voll; der betende Erd- kreis iſt dein! Dieſer Gedanke iſt mir erfreulich, und ſoͤhnet mich mit mancher Unvollkommenheit der Erde wieder aus. Siehe! indenn ich jetzt vor deinen Thron hintrete, und dir mein Abendopfer weihe, ſo ſtehe ich mit Millionen meiner Bruͤder zu- gleich vor dir. Wir alle danken dir, allgemeiner Vater! daß du uns heute erhalten, und ſo viel Gutes erzeiget haſt. Manche Stimme unter uns wimmert zwar bei ihrem Dank, und manche hallet nur unbedachte wilde Toͤne daher! Aber es ſind doch noch immer viele Tauſende, welche in dieſer Stunde ihr Abendgebet mit Andacht verrichten. Viele beten ſo gar fuͤr mich und meine Wohlfart, von denen ich es zum theil nicht vermuthen ſolte. O! wie wuͤrde ich ſo angenehm beſchaͤmt werden, wenn ich jetzt einen vermeintlichen Feind behorchen koͤnte, welcher mir Vergebung erflehet, mich ſegnet und ſich aufs neue vor Gott verbindlich macht, meine Unarten, mein Poltern mit Geduld zu ertragen, und mein Boͤſes mit Gutem zu vergelten! Die chriſtliche Liebe heißt mich hoffen, daß ein ſolches Gebet nicht ſelten fuͤr mich ge- ſchehe. Solte ich es aber nur Einmal hoͤren, ſo muͤßte ich ein Unmenſch ſeyn, wenn ich nicht die Wangen eines ſolchen Beten- den mit meinen Thraͤnen benetzen wolte.
So
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[55[85]/0092]
Der 27te Januar.
Ein frommer ehrfurchtsvoller Schauer bebet
Durch alle Voͤlker; jedes Volk erhebet
Die Wunder deines Arms und deiner Staͤrke
Ruhmvolle Werke!
Sie jauchzen, wenn ſie deine Sonne ſehen
In ihrem Morgenglanze dich erhoͤhen,
Und wann die weſtlichen verborgnen Erden
Erleuchtet werden.
Gott! alle Lande ſind deiner Ehre voll; der betende Erd-
kreis iſt dein! Dieſer Gedanke iſt mir erfreulich, und
ſoͤhnet mich mit mancher Unvollkommenheit der Erde wieder aus.
Siehe! indenn ich jetzt vor deinen Thron hintrete, und dir mein
Abendopfer weihe, ſo ſtehe ich mit Millionen meiner Bruͤder zu-
gleich vor dir. Wir alle danken dir, allgemeiner Vater! daß du
uns heute erhalten, und ſo viel Gutes erzeiget haſt. Manche
Stimme unter uns wimmert zwar bei ihrem Dank, und manche
hallet nur unbedachte wilde Toͤne daher! Aber es ſind doch noch
immer viele Tauſende, welche in dieſer Stunde ihr Abendgebet
mit Andacht verrichten. Viele beten ſo gar fuͤr mich und meine
Wohlfart, von denen ich es zum theil nicht vermuthen ſolte. O!
wie wuͤrde ich ſo angenehm beſchaͤmt werden, wenn ich jetzt einen
vermeintlichen Feind behorchen koͤnte, welcher mir Vergebung
erflehet, mich ſegnet und ſich aufs neue vor Gott verbindlich
macht, meine Unarten, mein Poltern mit Geduld zu ertragen,
und mein Boͤſes mit Gutem zu vergelten! Die chriſtliche Liebe
heißt mich hoffen, daß ein ſolches Gebet nicht ſelten fuͤr mich ge-
ſchehe. Solte ich es aber nur Einmal hoͤren, ſo muͤßte ich ein
Unmenſch ſeyn, wenn ich nicht die Wangen eines ſolchen Beten-
den mit meinen Thraͤnen benetzen wolte.
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-05-24T12:24:22Z)
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 55[85]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/92>, abgerufen am 21.11.2024.
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