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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 11te Februar.
Der träge Müßiggang
Ist dir, o Gott! verhaßt;
Für uns der Laster Netz
Und unserm Nächsten Last.


Der Müßiggang, und dessen Begleiterinn, die gefährliche
Langeweile,
sind für gesunde und verständige Menschen
eine wahre Krankheit. Sie werden Gefangenen schwerer als
ihre Ketten; denn es gehöret ausserordentliche Geschicklichkeit oder
Dummheit dazu, wenn man sich lange mit nichts als vier Wän-
den beschäftigen soll. Der Müßiggang ist in mancher Absicht
eine gefährliche Windstille für die Seele, bey welcher wir uns
aufzehren, und den Hafen nicht erreichen.

Ganz unbeschäftiget zu seyn ist wider Gottes Absicht. Er
gab uns genug zu thun, und richtete die Welt so ein, daß der
Mangel dem Müßiggang auf den Fuß folget, wofern nicht unsre
Erblasser für uns mitgearbeitet haben. Und auch alsdann müs-
sen wir die jähnende Langeweile von zeit zu zeit mit nützlicher An-
strengung unsrer Kräfte wegscheuchen! Trägheit und Langeweile
sind wider unsre Natur. Gesundheit und Zufriedenheit können
nicht lange damit bestehen; gleich dem Wasser, welches Ge-
schmack und Klarheit verliert, wenn es nicht rieselt.

Im Schoosse des Müßiggangs werden viele Laster gesäugt.
So nimt das Unkraut auf Brachfeldern überhand. Der Fall
der Bathseba und der Tod des Urias erfolgten nicht, wenn Da-
vid nicht an einem unglücklichen Abend müßig gieng. Wir hät-
ten weniger Zweifler und Religionsspötter, wenn diese Leute nicht
für Langeweile auf Thorheiten versielen. Dem fleißigen Ackers-
mann, oder dem geflißnen Künstler wandelt der Unsinn so leicht

nicht
F 4


Der 11te Februar.
Der traͤge Muͤßiggang
Iſt dir, o Gott! verhaßt;
Fuͤr uns der Laſter Netz
Und unſerm Naͤchſten Laſt.


Der Muͤßiggang, und deſſen Begleiterinn, die gefaͤhrliche
Langeweile,
ſind fuͤr geſunde und verſtaͤndige Menſchen
eine wahre Krankheit. Sie werden Gefangenen ſchwerer als
ihre Ketten; denn es gehoͤret auſſerordentliche Geſchicklichkeit oder
Dummheit dazu, wenn man ſich lange mit nichts als vier Waͤn-
den beſchaͤftigen ſoll. Der Muͤßiggang iſt in mancher Abſicht
eine gefaͤhrliche Windſtille fuͤr die Seele, bey welcher wir uns
aufzehren, und den Hafen nicht erreichen.

Ganz unbeſchaͤftiget zu ſeyn iſt wider Gottes Abſicht. Er
gab uns genug zu thun, und richtete die Welt ſo ein, daß der
Mangel dem Muͤßiggang auf den Fuß folget, wofern nicht unſre
Erblaſſer fuͤr uns mitgearbeitet haben. Und auch alsdann muͤſ-
ſen wir die jaͤhnende Langeweile von zeit zu zeit mit nuͤtzlicher An-
ſtrengung unſrer Kraͤfte wegſcheuchen! Traͤgheit und Langeweile
ſind wider unſre Natur. Geſundheit und Zufriedenheit koͤnnen
nicht lange damit beſtehen; gleich dem Waſſer, welches Ge-
ſchmack und Klarheit verliert, wenn es nicht rieſelt.

Im Schooſſe des Muͤßiggangs werden viele Laſter geſaͤugt.
So nimt das Unkraut auf Brachfeldern uͤberhand. Der Fall
der Bathſeba und der Tod des Urias erfolgten nicht, wenn Da-
vid nicht an einem ungluͤcklichen Abend muͤßig gieng. Wir haͤt-
ten weniger Zweifler und Religionsſpoͤtter, wenn dieſe Leute nicht
fuͤr Langeweile auf Thorheiten verſielen. Dem fleißigen Ackers-
mann, oder dem geflißnen Kuͤnſtler wandelt der Unſinn ſo leicht

nicht
F 4
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[87[117]/0124] Der 11te Februar. Der traͤge Muͤßiggang Iſt dir, o Gott! verhaßt; Fuͤr uns der Laſter Netz Und unſerm Naͤchſten Laſt. Der Muͤßiggang, und deſſen Begleiterinn, die gefaͤhrliche Langeweile, ſind fuͤr geſunde und verſtaͤndige Menſchen eine wahre Krankheit. Sie werden Gefangenen ſchwerer als ihre Ketten; denn es gehoͤret auſſerordentliche Geſchicklichkeit oder Dummheit dazu, wenn man ſich lange mit nichts als vier Waͤn- den beſchaͤftigen ſoll. Der Muͤßiggang iſt in mancher Abſicht eine gefaͤhrliche Windſtille fuͤr die Seele, bey welcher wir uns aufzehren, und den Hafen nicht erreichen. Ganz unbeſchaͤftiget zu ſeyn iſt wider Gottes Abſicht. Er gab uns genug zu thun, und richtete die Welt ſo ein, daß der Mangel dem Muͤßiggang auf den Fuß folget, wofern nicht unſre Erblaſſer fuͤr uns mitgearbeitet haben. Und auch alsdann muͤſ- ſen wir die jaͤhnende Langeweile von zeit zu zeit mit nuͤtzlicher An- ſtrengung unſrer Kraͤfte wegſcheuchen! Traͤgheit und Langeweile ſind wider unſre Natur. Geſundheit und Zufriedenheit koͤnnen nicht lange damit beſtehen; gleich dem Waſſer, welches Ge- ſchmack und Klarheit verliert, wenn es nicht rieſelt. Im Schooſſe des Muͤßiggangs werden viele Laſter geſaͤugt. So nimt das Unkraut auf Brachfeldern uͤberhand. Der Fall der Bathſeba und der Tod des Urias erfolgten nicht, wenn Da- vid nicht an einem ungluͤcklichen Abend muͤßig gieng. Wir haͤt- ten weniger Zweifler und Religionsſpoͤtter, wenn dieſe Leute nicht fuͤr Langeweile auf Thorheiten verſielen. Dem fleißigen Ackers- mann, oder dem geflißnen Kuͤnſtler wandelt der Unſinn ſo leicht nicht F 4

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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 87[117]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/124>, abgerufen am 16.07.2024.