fall aller und jeder Thoren! Und wie mancher bückt sich, mit Gefahr zu fallen, nach einem glänzenden Scherben! Jedoch, wer kan alle Tändeleien bemerken, die in dieses Fach gehören? Endlich kan man sagen: die meisten Lasterhaften (denn Tugend- hafte wissen sich zu mäßigen, oder schämen sich bald ihrer heim- lich aufwallenden Thorheit!) wünschen sich -- Unglück. Sie erkennen die Güte Gottes nicht, die ihnen verlangtes Gift vor- enthält. Ach, kurzsichtiger Mensch! wie oft schmachtest du nach dem Besitz einer Person, welche eine Furie für dich würde! foderst ein schweres Amt, das deine schwache Schultern zu Bo- den drückte, und sehnst dich nach einer Höhe, da du doch so schwindlich bist! Ungenügsamer! denke zurück, was wärest du jetzt, wenn das Schicksal alle deine Begierden seit zehn oder zwan- zig Jahren gesättiget hätte! Hast du nicht oft schon im März verwünscht, was du im Februar mit Herzklopfen herbei seufztest? Wirst du jemals klüger seyn, als die weise Vorsehung, welche Zepter und Bettelstäbe nach genau überrechnetem Verhältniß austheilt?
So will ich mir denn nichts wünschen, als was ich von Gottes oder meinen Eigenschaften wahrscheinlich erwarten darf. Ein zufriednes christliches Herz, das versagt mir mein himmli- scher Vater nicht, wenn ich ihn mit Ernst darum bitte: und was brauche ich mehr? Ein gieriges Gemüth wird ja nur immer hungriger. Das Landvolk, welches mit rothen Wangen bei dürrem Brod und Wasser hüpft: und die zugespitzte blasse Gesich- ter an wohlbedienten Tafeln, sind eine Satyre auf unsre mei- sten Wünsche. Auf jedem mir angewiesenen Posten kan ich ge- sund und ruhig seyn: stelle ich mich aber eigenmächtig auf einen andern Platz, so ziehe ich mir Verdruß und Reue zu. Was wünsche ich mir jetzt? -- Vergebung meiner heutigen Sün- den! nun der Wunsch ist mir anbefolen; und eine ruhige Nacht! nun der Wunsch ist so erlaubt, und ich will ihn so kindlich thun, daß du, Vater! mir beides nicht versagen wirst!
Der
Der 10te Februar.
fall aller und jeder Thoren! Und wie mancher buͤckt ſich, mit Gefahr zu fallen, nach einem glaͤnzenden Scherben! Jedoch, wer kan alle Taͤndeleien bemerken, die in dieſes Fach gehoͤren? Endlich kan man ſagen: die meiſten Laſterhaften (denn Tugend- hafte wiſſen ſich zu maͤßigen, oder ſchaͤmen ſich bald ihrer heim- lich aufwallenden Thorheit!) wuͤnſchen ſich — Ungluͤck. Sie erkennen die Guͤte Gottes nicht, die ihnen verlangtes Gift vor- enthaͤlt. Ach, kurzſichtiger Menſch! wie oft ſchmachteſt du nach dem Beſitz einer Perſon, welche eine Furie fuͤr dich wuͤrde! foderſt ein ſchweres Amt, das deine ſchwache Schultern zu Bo- den druͤckte, und ſehnſt dich nach einer Hoͤhe, da du doch ſo ſchwindlich biſt! Ungenuͤgſamer! denke zuruͤck, was waͤreſt du jetzt, wenn das Schickſal alle deine Begierden ſeit zehn oder zwan- zig Jahren geſaͤttiget haͤtte! Haſt du nicht oft ſchon im Maͤrz verwuͤnſcht, was du im Februar mit Herzklopfen herbei ſeufzteſt? Wirſt du jemals kluͤger ſeyn, als die weiſe Vorſehung, welche Zepter und Bettelſtaͤbe nach genau uͤberrechnetem Verhaͤltniß austheilt?
So will ich mir denn nichts wuͤnſchen, als was ich von Gottes oder meinen Eigenſchaften wahrſcheinlich erwarten darf. Ein zufriednes chriſtliches Herz, das verſagt mir mein himmli- ſcher Vater nicht, wenn ich ihn mit Ernſt darum bitte: und was brauche ich mehr? Ein gieriges Gemuͤth wird ja nur immer hungriger. Das Landvolk, welches mit rothen Wangen bei duͤrrem Brod und Waſſer huͤpft: und die zugeſpitzte blaſſe Geſich- ter an wohlbedienten Tafeln, ſind eine Satyre auf unſre mei- ſten Wuͤnſche. Auf jedem mir angewieſenen Poſten kan ich ge- ſund und ruhig ſeyn: ſtelle ich mich aber eigenmaͤchtig auf einen andern Platz, ſo ziehe ich mir Verdruß und Reue zu. Was wuͤnſche ich mir jetzt? — Vergebung meiner heutigen Suͤn- den! nun der Wunſch iſt mir anbefolen; und eine ruhige Nacht! nun der Wunſch iſt ſo erlaubt, und ich will ihn ſo kindlich thun, daß du, Vater! mir beides nicht verſagen wirſt!
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[86[116]/0123]
Der 10te Februar.
fall aller und jeder Thoren! Und wie mancher buͤckt ſich, mit
Gefahr zu fallen, nach einem glaͤnzenden Scherben! Jedoch,
wer kan alle Taͤndeleien bemerken, die in dieſes Fach gehoͤren?
Endlich kan man ſagen: die meiſten Laſterhaften (denn Tugend-
hafte wiſſen ſich zu maͤßigen, oder ſchaͤmen ſich bald ihrer heim-
lich aufwallenden Thorheit!) wuͤnſchen ſich — Ungluͤck. Sie
erkennen die Guͤte Gottes nicht, die ihnen verlangtes Gift vor-
enthaͤlt. Ach, kurzſichtiger Menſch! wie oft ſchmachteſt du
nach dem Beſitz einer Perſon, welche eine Furie fuͤr dich wuͤrde!
foderſt ein ſchweres Amt, das deine ſchwache Schultern zu Bo-
den druͤckte, und ſehnſt dich nach einer Hoͤhe, da du doch ſo
ſchwindlich biſt! Ungenuͤgſamer! denke zuruͤck, was waͤreſt du
jetzt, wenn das Schickſal alle deine Begierden ſeit zehn oder zwan-
zig Jahren geſaͤttiget haͤtte! Haſt du nicht oft ſchon im Maͤrz
verwuͤnſcht, was du im Februar mit Herzklopfen herbei ſeufzteſt?
Wirſt du jemals kluͤger ſeyn, als die weiſe Vorſehung, welche
Zepter und Bettelſtaͤbe nach genau uͤberrechnetem Verhaͤltniß
austheilt?
So will ich mir denn nichts wuͤnſchen, als was ich von
Gottes oder meinen Eigenſchaften wahrſcheinlich erwarten darf.
Ein zufriednes chriſtliches Herz, das verſagt mir mein himmli-
ſcher Vater nicht, wenn ich ihn mit Ernſt darum bitte: und
was brauche ich mehr? Ein gieriges Gemuͤth wird ja nur immer
hungriger. Das Landvolk, welches mit rothen Wangen bei
duͤrrem Brod und Waſſer huͤpft: und die zugeſpitzte blaſſe Geſich-
ter an wohlbedienten Tafeln, ſind eine Satyre auf unſre mei-
ſten Wuͤnſche. Auf jedem mir angewieſenen Poſten kan ich ge-
ſund und ruhig ſeyn: ſtelle ich mich aber eigenmaͤchtig auf einen
andern Platz, ſo ziehe ich mir Verdruß und Reue zu. Was
wuͤnſche ich mir jetzt? — Vergebung meiner heutigen Suͤn-
den! nun der Wunſch iſt mir anbefolen; und eine ruhige Nacht!
nun der Wunſch iſt ſo erlaubt, und ich will ihn ſo kindlich thun,
daß du, Vater! mir beides nicht verſagen wirſt!
Der
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Matthias Boenig, Benjamin Fiechter, Susanne Haaf, Li Xang: Bearbeitung und strukturelle Auszeichnung der durch die Grepect GmbH bereitgestellten Texttranskription.
(2023-05-24T12:24:22Z)
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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 86[116]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/123>, abgerufen am 13.06.2024.
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