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Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775.

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Der 9te Februar.
Dein ists, o Gott! wenn gute Thaten
Dem Vorsatz wohl gerathen:
An Fehlern bin allein ich schuld!


Wir verhalten uns gegen Gott und Menschen gemeiniglich,
wie gegen uns selbst. Lobeserhebungen, die wir uns
in geheim machen, erwarten wir auch von unsern Nächsten,
ja auch von Gott dadurch, daß er uns vorzüglich bei Austhei-
lung seiner Gaben bedenken soll. Besonders schlüpfet der Stolz,
mit dem wir uns heimlich nähren, unvermerkt fast in alle
unsre Handlungen. Selbst das Gebet wird, wie dort beim
Pharisäer, ein blosses Kompliment für uns. Noch so tiefe
Verdeugungen gegen den Nächsten, und noch so kriechende
Liebkosungen verstecken den Eigendünkel nicht ganz. Man zie-
het uns, so viel möglich, die Larve ab; am Ende glückt es,
und wir stehen da in unsrer Blösse. Den Hoffärtigen wi-
derstehet Gott und Mensch: aber wahre, ungeschminkte De-
mut gegen sich selbst
gewinnet die Liebe von beiden.

Vor Gott mit niedergeschlagenen Augen hinknieen; mit
gesenktem Haupt einhergehen; jedem, von dem ein Vortheil zu
hoffen steht, ehrerbietige Verbindlichkeiten sagen: o! das kan
niemand besser, als der verschmitzte Stolze. Aber nur derje-
nige ist demütig, der es gegen sich selber ist. Die Selbst-
demut, (wenn man sich so ausdrücken darf) bestehet in der Fer-
tigkeit, sich richtig und hauptsächlich nach seinen Mängeln zu
beurtheilen. Gemeinhin aber kehren wir es um, und nehmen
unsre Vorzüge zum Maaßstab unsers Urtheils an: und alsbald
ist der kleine Götze fertig, und wehe dem, der ihm den Weih-
rauch versagt. Nun ist der ein Feind, der nicht diese noch so ver-
steckte kleine Vorzüge beim ersten Blicke entdeckt, und ihnen eine

Lob-
F 2


Der 9te Februar.
Dein iſts, o Gott! wenn gute Thaten
Dem Vorſatz wohl gerathen:
An Fehlern bin allein ich ſchuld!


Wir verhalten uns gegen Gott und Menſchen gemeiniglich,
wie gegen uns ſelbſt. Lobeserhebungen, die wir uns
in geheim machen, erwarten wir auch von unſern Naͤchſten,
ja auch von Gott dadurch, daß er uns vorzuͤglich bei Austhei-
lung ſeiner Gaben bedenken ſoll. Beſonders ſchluͤpfet der Stolz,
mit dem wir uns heimlich naͤhren, unvermerkt faſt in alle
unſre Handlungen. Selbſt das Gebet wird, wie dort beim
Phariſaͤer, ein bloſſes Kompliment fuͤr uns. Noch ſo tiefe
Verdeugungen gegen den Naͤchſten, und noch ſo kriechende
Liebkoſungen verſtecken den Eigenduͤnkel nicht ganz. Man zie-
het uns, ſo viel moͤglich, die Larve ab; am Ende gluͤckt es,
und wir ſtehen da in unſrer Bloͤſſe. Den Hoffaͤrtigen wi-
derſtehet Gott und Menſch: aber wahre, ungeſchminkte De-
mut gegen ſich ſelbſt
gewinnet die Liebe von beiden.

Vor Gott mit niedergeſchlagenen Augen hinknieen; mit
geſenktem Haupt einhergehen; jedem, von dem ein Vortheil zu
hoffen ſteht, ehrerbietige Verbindlichkeiten ſagen: o! das kan
niemand beſſer, als der verſchmitzte Stolze. Aber nur derje-
nige iſt demuͤtig, der es gegen ſich ſelber iſt. Die Selbſt-
demut, (wenn man ſich ſo ausdruͤcken darf) beſtehet in der Fer-
tigkeit, ſich richtig und hauptſaͤchlich nach ſeinen Maͤngeln zu
beurtheilen. Gemeinhin aber kehren wir es um, und nehmen
unſre Vorzuͤge zum Maaßſtab unſers Urtheils an: und alsbald
iſt der kleine Goͤtze fertig, und wehe dem, der ihm den Weih-
rauch verſagt. Nun iſt der ein Feind, der nicht dieſe noch ſo ver-
ſteckte kleine Vorzuͤge beim erſten Blicke entdeckt, und ihnen eine

Lob-
F 2
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[83[113]/0120] Der 9te Februar. Dein iſts, o Gott! wenn gute Thaten Dem Vorſatz wohl gerathen: An Fehlern bin allein ich ſchuld! Wir verhalten uns gegen Gott und Menſchen gemeiniglich, wie gegen uns ſelbſt. Lobeserhebungen, die wir uns in geheim machen, erwarten wir auch von unſern Naͤchſten, ja auch von Gott dadurch, daß er uns vorzuͤglich bei Austhei- lung ſeiner Gaben bedenken ſoll. Beſonders ſchluͤpfet der Stolz, mit dem wir uns heimlich naͤhren, unvermerkt faſt in alle unſre Handlungen. Selbſt das Gebet wird, wie dort beim Phariſaͤer, ein bloſſes Kompliment fuͤr uns. Noch ſo tiefe Verdeugungen gegen den Naͤchſten, und noch ſo kriechende Liebkoſungen verſtecken den Eigenduͤnkel nicht ganz. Man zie- het uns, ſo viel moͤglich, die Larve ab; am Ende gluͤckt es, und wir ſtehen da in unſrer Bloͤſſe. Den Hoffaͤrtigen wi- derſtehet Gott und Menſch: aber wahre, ungeſchminkte De- mut gegen ſich ſelbſt gewinnet die Liebe von beiden. Vor Gott mit niedergeſchlagenen Augen hinknieen; mit geſenktem Haupt einhergehen; jedem, von dem ein Vortheil zu hoffen ſteht, ehrerbietige Verbindlichkeiten ſagen: o! das kan niemand beſſer, als der verſchmitzte Stolze. Aber nur derje- nige iſt demuͤtig, der es gegen ſich ſelber iſt. Die Selbſt- demut, (wenn man ſich ſo ausdruͤcken darf) beſtehet in der Fer- tigkeit, ſich richtig und hauptſaͤchlich nach ſeinen Maͤngeln zu beurtheilen. Gemeinhin aber kehren wir es um, und nehmen unſre Vorzuͤge zum Maaßſtab unſers Urtheils an: und alsbald iſt der kleine Goͤtze fertig, und wehe dem, der ihm den Weih- rauch verſagt. Nun iſt der ein Feind, der nicht dieſe noch ſo ver- ſteckte kleine Vorzuͤge beim erſten Blicke entdeckt, und ihnen eine Lob- F 2

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Zitationshilfe: Tiede, Johann Friedrich: Unterhaltungen mit Gott in den Abendstunden. Halle, 1775, S. 83[113]. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tiede_unterhaltungen01_1775/120>, abgerufen am 13.06.2024.