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Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

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Müssen mich diese Töne durch mein
ganzes Leben verfolgen? seufzte Franz;
wenn ich einmal zufrieden und mit mir zur
Ruhe bin, dann dringen sie wie eine feind¬
liche Schaar in mein innerstes Gemüth,
und wecken die kranken Kinder, Erinnerung
und unbekannte Sehnsucht wieder auf. Dann
drängt es mir im Herzen, als wenn ich wie
auf Flügeln hinüberfliegen sollte, höher über
die Wolken hinaus, und von oben herab
meine Brust mit neuem, schöneren Klange
anfüllen und meinen schmachtenden Geist mit
dem höchsten, letzten Wohllaut ersättigen.
Ich möchte die ganze Welt mit Liebesgesang
durchströmen, den Mondschimmer und die
Morgenröthe anrühren, daß sie mein Leid
und Glück wiederklingen, daß die Melodie
Bäume, Zweige, Blätter und Gräser er¬
greife, damit alle spielend meinen Gesang
wie mit Millionen Zungen wiederholen
müßten. -- --

Müſſen mich dieſe Töne durch mein
ganzes Leben verfolgen? ſeufzte Franz;
wenn ich einmal zufrieden und mit mir zur
Ruhe bin, dann dringen ſie wie eine feind¬
liche Schaar in mein innerſtes Gemüth,
und wecken die kranken Kinder, Erinnerung
und unbekannte Sehnſucht wieder auf. Dann
drängt es mir im Herzen, als wenn ich wie
auf Flügeln hinüberfliegen ſollte, höher über
die Wolken hinaus, und von oben herab
meine Bruſt mit neuem, ſchöneren Klange
anfüllen und meinen ſchmachtenden Geiſt mit
dem höchſten, letzten Wohllaut erſättigen.
Ich möchte die ganze Welt mit Liebesgeſang
durchſtrömen, den Mondſchimmer und die
Morgenröthe anrühren, daß ſie mein Leid
und Glück wiederklingen, daß die Melodie
Bäume, Zweige, Blätter und Gräſer er¬
greife, damit alle ſpielend meinen Geſang
wie mit Millionen Zungen wiederholen
müßten. — —

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[89/0097] Müſſen mich dieſe Töne durch mein ganzes Leben verfolgen? ſeufzte Franz; wenn ich einmal zufrieden und mit mir zur Ruhe bin, dann dringen ſie wie eine feind¬ liche Schaar in mein innerſtes Gemüth, und wecken die kranken Kinder, Erinnerung und unbekannte Sehnſucht wieder auf. Dann drängt es mir im Herzen, als wenn ich wie auf Flügeln hinüberfliegen ſollte, höher über die Wolken hinaus, und von oben herab meine Bruſt mit neuem, ſchöneren Klange anfüllen und meinen ſchmachtenden Geiſt mit dem höchſten, letzten Wohllaut erſättigen. Ich möchte die ganze Welt mit Liebesgeſang durchſtrömen, den Mondſchimmer und die Morgenröthe anrühren, daß ſie mein Leid und Glück wiederklingen, daß die Melodie Bäume, Zweige, Blätter und Gräſer er¬ greife, damit alle ſpielend meinen Geſang wie mit Millionen Zungen wiederholen müßten. — —

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 89. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/97>, abgerufen am 24.04.2024.