Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

Bild:
<< vorherige Seite

sind tausend Begebenheiten, die sich durch¬
aus nicht zu einer einzigen verbinden lassen.
Schwebende Gestalten, ruhende Selige und
Verdammte, Engel und die Madonna. Das
Auge findet keinen Ruhepunkt, es frägt:
was soll ich hier sehn? Mythologie der Al¬
ten mit christlicher Idee vermischt, Verzer¬
rung der Verzweiflung. Der Augenblick im
Gemählde selbst ist unentschieden, die Engel
oben mit Zubereitungen beschäftigt, ein all¬
gemeiner Moment des Entsetzens, und unten
schon die Verdammung Vieler entschieden.
Es scheint, das jüngste Gericht ist noch nicht
fertig, und darin hat der Mahler besonders
seine wenige Überlegung bewiesen. Was soll
ich aber genießen und fühlen, wenn die Aus¬
führung auch gar keinen Tadel verdiente?

Nichts! rief Camillo aus, indem er mit
dem höchsten Unwillen hervortrat. Glaubt
Ihr, daß der große, der übergroße Buona¬

ſind tauſend Begebenheiten, die ſich durch¬
aus nicht zu einer einzigen verbinden laſſen.
Schwebende Geſtalten, ruhende Selige und
Verdammte, Engel und die Madonna. Das
Auge findet keinen Ruhepunkt, es frägt:
was ſoll ich hier ſehn? Mythologie der Al¬
ten mit chriſtlicher Idee vermiſcht, Verzer¬
rung der Verzweiflung. Der Augenblick im
Gemählde ſelbſt iſt unentſchieden, die Engel
oben mit Zubereitungen beſchäftigt, ein all¬
gemeiner Moment des Entſetzens, und unten
ſchon die Verdammung Vieler entſchieden.
Es ſcheint, das jüngſte Gericht iſt noch nicht
fertig, und darin hat der Mahler beſonders
ſeine wenige Überlegung bewieſen. Was ſoll
ich aber genießen und fühlen, wenn die Aus¬
führung auch gar keinen Tadel verdiente?

Nichts! rief Camillo aus, indem er mit
dem höchſten Unwillen hervortrat. Glaubt
Ihr, daß der große, der übergroße Buona¬

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <div n="2">
          <p><pb facs="#f0405" n="397"/>
&#x017F;ind tau&#x017F;end Begebenheiten, die &#x017F;ich durch¬<lb/>
aus nicht zu einer einzigen verbinden la&#x017F;&#x017F;en.<lb/>
Schwebende Ge&#x017F;talten, ruhende Selige und<lb/>
Verdammte, Engel und die Madonna. Das<lb/>
Auge findet keinen Ruhepunkt, es frägt:<lb/>
was &#x017F;oll ich hier &#x017F;ehn? Mythologie der Al¬<lb/>
ten mit chri&#x017F;tlicher Idee vermi&#x017F;cht, Verzer¬<lb/>
rung der Verzweiflung. Der Augenblick im<lb/>
Gemählde &#x017F;elb&#x017F;t i&#x017F;t unent&#x017F;chieden, die Engel<lb/>
oben mit Zubereitungen be&#x017F;chäftigt, ein all¬<lb/>
gemeiner Moment des Ent&#x017F;etzens, und unten<lb/>
&#x017F;chon die Verdammung Vieler ent&#x017F;chieden.<lb/>
Es &#x017F;cheint, das jüng&#x017F;te Gericht i&#x017F;t noch nicht<lb/>
fertig, und darin hat der Mahler be&#x017F;onders<lb/>
&#x017F;eine wenige Überlegung bewie&#x017F;en. Was &#x017F;oll<lb/>
ich aber genießen und fühlen, wenn die Aus¬<lb/>
führung auch gar keinen Tadel verdiente?</p><lb/>
          <p>Nichts! rief Camillo aus, indem er mit<lb/>
dem höch&#x017F;ten Unwillen hervortrat. Glaubt<lb/>
Ihr, daß der große, der übergroße Buona¬<lb/></p>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[397/0405] ſind tauſend Begebenheiten, die ſich durch¬ aus nicht zu einer einzigen verbinden laſſen. Schwebende Geſtalten, ruhende Selige und Verdammte, Engel und die Madonna. Das Auge findet keinen Ruhepunkt, es frägt: was ſoll ich hier ſehn? Mythologie der Al¬ ten mit chriſtlicher Idee vermiſcht, Verzer¬ rung der Verzweiflung. Der Augenblick im Gemählde ſelbſt iſt unentſchieden, die Engel oben mit Zubereitungen beſchäftigt, ein all¬ gemeiner Moment des Entſetzens, und unten ſchon die Verdammung Vieler entſchieden. Es ſcheint, das jüngſte Gericht iſt noch nicht fertig, und darin hat der Mahler beſonders ſeine wenige Überlegung bewieſen. Was ſoll ich aber genießen und fühlen, wenn die Aus¬ führung auch gar keinen Tadel verdiente? Nichts! rief Camillo aus, indem er mit dem höchſten Unwillen hervortrat. Glaubt Ihr, daß der große, der übergroße Buona¬

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/405
Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 397. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/405>, abgerufen am 23.11.2024.