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Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

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Morgenbegeisterung, die die Natur selbst
nicht lange aushält.

Oder daß es uns nur gegeben wäre,
sagte Sternbald, diese Fülle, diese Allmacht
der Lieblichkeit in uns zu saugen, und im
hellsten Bewußtseyn diese Schätze aufzuspa¬
ren. Ich wünsche nichts mehr, als daß ich
in Tönen und Gesängen den übrigen Men¬
schen diese Gefühle geben könnte; daß ich
unter Musik und Frühlingswehen dichtete,
und die höchsten Lieder sänge, die der Geist
des Menschen bisher noch ausgeströmt hat:
Ich fühle es jedesmal, wie Musik die Seele
erhebt, und die jauchzenden Klänge wie En¬
gel mit himmlischer Unschuld alle irrdischen
Begierden und Wünsche fern abhalten.
Wenn man ein Fegfeuer glauben will, wo
die Seele durch Schmerzen geläutert und
gereinigt wird, so ist im Gegentheil die

B 2

Morgenbegeiſterung, die die Natur ſelbſt
nicht lange aushält.

Oder daß es uns nur gegeben wäre,
ſagte Sternbald, dieſe Fülle, dieſe Allmacht
der Lieblichkeit in uns zu ſaugen, und im
hellſten Bewußtſeyn dieſe Schätze aufzuſpa¬
ren. Ich wünſche nichts mehr, als daß ich
in Tönen und Geſängen den übrigen Men¬
ſchen dieſe Gefühle geben könnte; daß ich
unter Muſik und Frühlingswehen dichtete,
und die höchſten Lieder ſänge, die der Geiſt
des Menſchen bisher noch ausgeſtrömt hat:
Ich fühle es jedesmal, wie Muſik die Seele
erhebt, und die jauchzenden Klänge wie En¬
gel mit himmliſcher Unſchuld alle irrdiſchen
Begierden und Wünſche fern abhalten.
Wenn man ein Fegfeuer glauben will, wo
die Seele durch Schmerzen geläutert und
gereinigt wird, ſo iſt im Gegentheil die

B 2
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[19/0027] Morgenbegeiſterung, die die Natur ſelbſt nicht lange aushält. Oder daß es uns nur gegeben wäre, ſagte Sternbald, dieſe Fülle, dieſe Allmacht der Lieblichkeit in uns zu ſaugen, und im hellſten Bewußtſeyn dieſe Schätze aufzuſpa¬ ren. Ich wünſche nichts mehr, als daß ich in Tönen und Geſängen den übrigen Men¬ ſchen dieſe Gefühle geben könnte; daß ich unter Muſik und Frühlingswehen dichtete, und die höchſten Lieder ſänge, die der Geiſt des Menſchen bisher noch ausgeſtrömt hat: Ich fühle es jedesmal, wie Muſik die Seele erhebt, und die jauchzenden Klänge wie En¬ gel mit himmliſcher Unſchuld alle irrdiſchen Begierden und Wünſche fern abhalten. Wenn man ein Fegfeuer glauben will, wo die Seele durch Schmerzen geläutert und gereinigt wird, ſo iſt im Gegentheil die B 2

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 19. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/27>, abgerufen am 24.04.2024.