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Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

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mir alles ist, was ich liebe. Ich mache da
eben nicht sonderliche Unterschiede. Ich denke
an seinen schönen Gesang, an seine Liebe,
die er immer zu mir bewies, und darum
hätte ich mir diese Treulosigkeit um so we¬
niger vermuthet. Nun ist sein Gesang nicht
mehr für mich, sondern er durchfliegt den
Wald, und dieser einzelne, mir so bekannte
Vogel vermischt sich mit den übrigen seines
Geschlechts. Ich gehe vielleicht einmal aus
und höre ihn, und sehe ihn, und kenne ihn
doch nicht wieder, sondern halte ihn für eine
ganz fremde Person. So haben mich schon
so viele Freunde verlassen. Ein Freund,
der stirbt, thut auch nichts weiter, als daß
er sich wieder mit der großen allmächtigen
Erde vermischt, und mir unkenntlich wird.
So sind sie auch in den Wald hineingeflo¬
gen, die ich sonst wohl kannte, so daß ich
sie nun nicht wieder herausfinden kann.

mir alles iſt, was ich liebe. Ich mache da
eben nicht ſonderliche Unterſchiede. Ich denke
an ſeinen ſchönen Geſang, an ſeine Liebe,
die er immer zu mir bewies, und darum
hätte ich mir dieſe Treuloſigkeit um ſo we¬
niger vermuthet. Nun iſt ſein Geſang nicht
mehr für mich, ſondern er durchfliegt den
Wald, und dieſer einzelne, mir ſo bekannte
Vogel vermiſcht ſich mit den übrigen ſeines
Geſchlechts. Ich gehe vielleicht einmal aus
und höre ihn, und ſehe ihn, und kenne ihn
doch nicht wieder, ſondern halte ihn für eine
ganz fremde Perſon. So haben mich ſchon
ſo viele Freunde verlaſſen. Ein Freund,
der ſtirbt, thut auch nichts weiter, als daß
er ſich wieder mit der großen allmächtigen
Erde vermiſcht, und mir unkenntlich wird.
So ſind ſie auch in den Wald hineingeflo¬
gen, die ich ſonſt wohl kannte, ſo daß ich
ſie nun nicht wieder herausfinden kann.

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[126/0134] mir alles iſt, was ich liebe. Ich mache da eben nicht ſonderliche Unterſchiede. Ich denke an ſeinen ſchönen Geſang, an ſeine Liebe, die er immer zu mir bewies, und darum hätte ich mir dieſe Treuloſigkeit um ſo we¬ niger vermuthet. Nun iſt ſein Geſang nicht mehr für mich, ſondern er durchfliegt den Wald, und dieſer einzelne, mir ſo bekannte Vogel vermiſcht ſich mit den übrigen ſeines Geſchlechts. Ich gehe vielleicht einmal aus und höre ihn, und ſehe ihn, und kenne ihn doch nicht wieder, ſondern halte ihn für eine ganz fremde Perſon. So haben mich ſchon ſo viele Freunde verlaſſen. Ein Freund, der ſtirbt, thut auch nichts weiter, als daß er ſich wieder mit der großen allmächtigen Erde vermiſcht, und mir unkenntlich wird. So ſind ſie auch in den Wald hineingeflo¬ gen, die ich ſonſt wohl kannte, ſo daß ich ſie nun nicht wieder herausfinden kann.

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 126. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/134>, abgerufen am 26.04.2024.