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Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798.

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man recht unglücklich ist, und sich durchaus
verlassen fühlt, so sehnt man sich nach dem
Mitleiden einer guten Seele, wie nach ei¬
ner herrlichen Gabe, und darum will ich
Euch meine Leiden vertrauen. Kurz nach¬
her, als mich der Tod meines Vaters in
den Besitz meiner Güter setzte, erschien in
der Nachbarschaft hier ein junger Ritter,
der vorgab, er komme aus Franken. Er
war so jung, schön und liebenswürdig, daß
man ihn allenthalben gern sah: es verging
nur wenige Zeit, und es schien, daß er sich
in meiner Gegenwart am meisten gefalle,
daß ihn nur das freue, was auf mich eini¬
gen Bezug habe. Mir schmeichelte dieser
Vorzug, ich kam ihm eben so entgegen, wie
er mir, ich schenkte ihm mein reinstes Wohl¬
wollen; denn es ist einmal der Fehler un¬
seres Geschlechts, an List und Verstellung
nicht zu glauben, sondern sich von dem Irr¬

man recht unglücklich iſt, und ſich durchaus
verlaſſen fühlt, ſo ſehnt man ſich nach dem
Mitleiden einer guten Seele, wie nach ei¬
ner herrlichen Gabe, und darum will ich
Euch meine Leiden vertrauen. Kurz nach¬
her, als mich der Tod meines Vaters in
den Beſitz meiner Güter ſetzte, erſchien in
der Nachbarſchaft hier ein junger Ritter,
der vorgab, er komme aus Franken. Er
war ſo jung, ſchön und liebenswürdig, daß
man ihn allenthalben gern ſah: es verging
nur wenige Zeit, und es ſchien, daß er ſich
in meiner Gegenwart am meiſten gefalle,
daß ihn nur das freue, was auf mich eini¬
gen Bezug habe. Mir ſchmeichelte dieſer
Vorzug, ich kam ihm eben ſo entgegen, wie
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wollen; denn es iſt einmal der Fehler un¬
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[100/0108] man recht unglücklich iſt, und ſich durchaus verlaſſen fühlt, ſo ſehnt man ſich nach dem Mitleiden einer guten Seele, wie nach ei¬ ner herrlichen Gabe, und darum will ich Euch meine Leiden vertrauen. Kurz nach¬ her, als mich der Tod meines Vaters in den Beſitz meiner Güter ſetzte, erſchien in der Nachbarſchaft hier ein junger Ritter, der vorgab, er komme aus Franken. Er war ſo jung, ſchön und liebenswürdig, daß man ihn allenthalben gern ſah: es verging nur wenige Zeit, und es ſchien, daß er ſich in meiner Gegenwart am meiſten gefalle, daß ihn nur das freue, was auf mich eini¬ gen Bezug habe. Mir ſchmeichelte dieſer Vorzug, ich kam ihm eben ſo entgegen, wie er mir, ich ſchenkte ihm mein reinſtes Wohl¬ wollen; denn es iſt einmal der Fehler un¬ ſeres Geſchlechts, an Liſt und Verſtellung nicht zu glauben, ſondern ſich von dem Irr¬

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbald's Wanderungen. Bd. 2. Berlin, 1798, S. 100. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald02_1798/108>, abgerufen am 27.04.2024.