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Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798.

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Schulmeister in den Schulen machen, die
mit Süßigkeiten dem Kinde Lust zum Ler¬
nen beibringen wollen; nachher verliert sich
im Menschen dieses frohe Vorgefühl des
Lebens, er ist der Lockungen gewohnt und
dagegen abgestumpft.

Franz gieng über den Kirchhof und las
die Kreuze im Vorbeigehn schnell, aber an
keinem war der Name seines Vaters oder
seiner Mutter angeschrieben, und er fühlte
sich zuversichtlicher. Die Mauer des Thurms
kam ihm nicht so hoch vor, alles war ihm
beengter, das Haus seiner Eltern kannte er
kaum wieder. Er zitterte als er die Thür
anfaßte, und doch war es ihm schon wieder
so gewöhnlich, diese Thür zu öffnen. In
der Stube saß seine Mutter mit verbunde¬
nem Kopf und weinte; als sie ihn erkannte
weinte sie noch heftiger; der Vater lag im
Bette und war krank. Er umarmte sie bei¬

Schulmeiſter in den Schulen machen, die
mit Süßigkeiten dem Kinde Luſt zum Ler¬
nen beibringen wollen; nachher verliert ſich
im Menſchen dieſes frohe Vorgefühl des
Lebens, er iſt der Lockungen gewohnt und
dagegen abgeſtumpft.

Franz gieng über den Kirchhof und las
die Kreuze im Vorbeigehn ſchnell, aber an
keinem war der Name ſeines Vaters oder
ſeiner Mutter angeſchrieben, und er fühlte
ſich zuverſichtlicher. Die Mauer des Thurms
kam ihm nicht ſo hoch vor, alles war ihm
beengter, das Haus ſeiner Eltern kannte er
kaum wieder. Er zitterte als er die Thür
anfaßte, und doch war es ihm ſchon wieder
ſo gewöhnlich, dieſe Thür zu öffnen. In
der Stube ſaß ſeine Mutter mit verbunde¬
nem Kopf und weinte; als ſie ihn erkannte
weinte ſie noch heftiger; der Vater lag im
Bette und war krank. Er umarmte ſie bei¬

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[79/0090] Schulmeiſter in den Schulen machen, die mit Süßigkeiten dem Kinde Luſt zum Ler¬ nen beibringen wollen; nachher verliert ſich im Menſchen dieſes frohe Vorgefühl des Lebens, er iſt der Lockungen gewohnt und dagegen abgeſtumpft. Franz gieng über den Kirchhof und las die Kreuze im Vorbeigehn ſchnell, aber an keinem war der Name ſeines Vaters oder ſeiner Mutter angeſchrieben, und er fühlte ſich zuverſichtlicher. Die Mauer des Thurms kam ihm nicht ſo hoch vor, alles war ihm beengter, das Haus ſeiner Eltern kannte er kaum wieder. Er zitterte als er die Thür anfaßte, und doch war es ihm ſchon wieder ſo gewöhnlich, dieſe Thür zu öffnen. In der Stube ſaß ſeine Mutter mit verbunde¬ nem Kopf und weinte; als ſie ihn erkannte weinte ſie noch heftiger; der Vater lag im Bette und war krank. Er umarmte ſie bei¬

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Zitationshilfe: Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 79. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798/90>, abgerufen am 27.04.2024.