he und höre, ahnde und hoffe und lieben möchte, ist nur Traumgestalt in mir.
Jetzt schlug die Glocke im Dorfe. Er stand auf und trocknete sich die Augen, in¬ dem er weiter gieng, und nun schon die Hütte und die kleine Kirche durch das grü¬ ne Laub auf sich zuschimmern sah. Er gieng an einem Garten vorbei, und über dem Zaun herüber hieng ein Zweig voll ro¬ ther schöner Kirschen. Er konnte es nicht unterlassen, einige abzubrechen und sie zu kosten, weil die Frucht dieses Baumes ihn in der Kindheit oft erfreuet hatte; es waren dieselben Zweige, die sich ihm auch jetzt freundlich entgegenstreckten, aber die Frucht schmeckte ihm nicht wie damals. In der Kindheit wird der Mensch von den blanken, glänzenden, und vielfarbigen Früchten und ihrem süßen lieblichen Geschmacke angelockt, das Leben liebzugewinnen, wie es die
he und höre, ahnde und hoffe und lieben möchte, iſt nur Traumgeſtalt in mir.
Jetzt ſchlug die Glocke im Dorfe. Er ſtand auf und trocknete ſich die Augen, in¬ dem er weiter gieng, und nun ſchon die Hütte und die kleine Kirche durch das grü¬ ne Laub auf ſich zuſchimmern ſah. Er gieng an einem Garten vorbei, und über dem Zaun herüber hieng ein Zweig voll ro¬ ther ſchöner Kirſchen. Er konnte es nicht unterlaſſen, einige abzubrechen und ſie zu koſten, weil die Frucht dieſes Baumes ihn in der Kindheit oft erfreuet hatte; es waren dieſelben Zweige, die ſich ihm auch jetzt freundlich entgegenſtreckten, aber die Frucht ſchmeckte ihm nicht wie damals. In der Kindheit wird der Menſch von den blanken, glänzenden, und vielfarbigen Früchten und ihrem ſüßen lieblichen Geſchmacke angelockt, das Leben liebzugewinnen, wie es die
<TEI><text><body><divn="1"><divn="2"><divn="3"><p><pbfacs="#f0089"n="78"/>
he und höre, ahnde und hoffe und lieben<lb/>
möchte, iſt nur Traumgeſtalt in mir.</p><lb/><p>Jetzt ſchlug die Glocke im Dorfe. Er<lb/>ſtand auf und trocknete ſich die Augen, in¬<lb/>
dem er weiter gieng, und nun ſchon die<lb/>
Hütte und die kleine Kirche durch das grü¬<lb/>
ne Laub auf ſich zuſchimmern ſah. Er<lb/>
gieng an einem Garten vorbei, und über<lb/>
dem Zaun herüber hieng ein Zweig voll ro¬<lb/>
ther ſchöner Kirſchen. Er konnte es nicht<lb/>
unterlaſſen, einige abzubrechen und ſie zu<lb/>
koſten, weil die Frucht dieſes Baumes ihn<lb/>
in der Kindheit oft erfreuet hatte; es waren<lb/>
dieſelben Zweige, die ſich ihm auch jetzt<lb/>
freundlich entgegenſtreckten, aber die Frucht<lb/>ſchmeckte ihm nicht wie damals. In der<lb/>
Kindheit wird der Menſch von den blanken,<lb/>
glänzenden, und vielfarbigen Früchten und<lb/>
ihrem ſüßen lieblichen Geſchmacke angelockt,<lb/>
das Leben liebzugewinnen, wie es die<lb/></p></div></div></div></body></text></TEI>
[78/0089]
he und höre, ahnde und hoffe und lieben
möchte, iſt nur Traumgeſtalt in mir.
Jetzt ſchlug die Glocke im Dorfe. Er
ſtand auf und trocknete ſich die Augen, in¬
dem er weiter gieng, und nun ſchon die
Hütte und die kleine Kirche durch das grü¬
ne Laub auf ſich zuſchimmern ſah. Er
gieng an einem Garten vorbei, und über
dem Zaun herüber hieng ein Zweig voll ro¬
ther ſchöner Kirſchen. Er konnte es nicht
unterlaſſen, einige abzubrechen und ſie zu
koſten, weil die Frucht dieſes Baumes ihn
in der Kindheit oft erfreuet hatte; es waren
dieſelben Zweige, die ſich ihm auch jetzt
freundlich entgegenſtreckten, aber die Frucht
ſchmeckte ihm nicht wie damals. In der
Kindheit wird der Menſch von den blanken,
glänzenden, und vielfarbigen Früchten und
ihrem ſüßen lieblichen Geſchmacke angelockt,
das Leben liebzugewinnen, wie es die
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Tieck, Ludwig: Franz Sternbalds Wanderungen. Bd. 1. Berlin, 1798, S. 78. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/tieck_sternbald01_1798/89>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.